Hitler „Erfinder“ der Autobahn?
Neuartige Kraftwagenbahn gab es
schon vor Errichtung der NS-Diktatur



Propagandaplakat der Nationalsozialisten zur Popularisierung der damals noch ziemlich leeren Reichsautobahn. (Foto: Archiv)

Die Autobahn in Deutschland ist keine Erfindung der Nazis und ihres Führers Adolf Hitler, der ein großer Autofreund war, sondern war schon vor der Errichtung der nationalsozialistischen Diktatur (1933) geplant. Die 1929 begonnene „Kraftwagenbahn“ Köln-Bonn wurde im August 1932 eingeweiht. Die 20 Kilometer lange Strecke gilt als erste Autobahn der Welt. Dessen ungeachtet taten die 1933 an die Macht gelangten Nazis alles, die vierspurige Autostraße mit einem Mythos zu umgeben und sich das Verdienst, sie gebaut zu haben, auf ihre zu heften. Sowohl der erste Spatenstich für eine neue Strecke am 23. September 1933 als auch die Eröffnung eines Abschnittes zwischen Frankfurt (Main) und Darmstadt wurden von Hitler persönlich vollzogen und landesweit in dem von Propagandaminister Goebbels kontrollierten Rundfunk sowie in der Presse und der Wochenschau verbreitet. Die Welt hielt den Atem an, denn andere Länder waren, was Straßenbau und Infrastruktur betraf, noch ziemlich hinterm Mond.

Nach dem Willen der Nationalsozialisten sollte die mit großem finanziellem Einsatz im Rahmen eines Arbeitsbeschaffungsprogramms unter quasi militärischen Bedingungen gebaute Autobahn die Einheit von technischem Fortschritt, sozialer Harmonie und Versöhnung mit der Natur verkörpern. Die Baumaßnahmen halfen, Arbeitslosen wieder Lohn und Brot zu geben, und das war auch gut fürs Image.

Die Autobahn wurde als Symbol einer grandiosen Zukunft und heilen Welt gefeiert, in der die Volksgemeinschaft alles ist. Die von unzähligen Menschen quasi in Handarbeit mit Schaufeln und Loren geschaffene Betonpiste wurde als Zeichen der Einheit von Reich und Führer, von deutscher Größe und wieder gewonnener Stabilität gefeiert, und zwar auch im Ausland. Ähnliche Funktionen hatten unter anderem die Olympischen Spiele von 1936, deren Planung ebenfalls auf die Zeit vor der Errichtung der NS-Diktatur zurückgeht.

Hitler und Goebbels erkannten den Symbolwert der Betonschlangen. Sie ließen sie durch Spielfilme, Zeitungsreportagen, Romane, Gemälde und Gedichte, Plakate und Briefmarken verherrlichen und strickten damit am eigenen Mythos. Das da und dort sich auch heute noch bei Unverbesserlichen haltende Wort, bei den Nazis sei zwar „nicht alles“ in Ordnung gewesen, wenigstens aber hätten sie die Autobahn gebaut, stammt aus diesen trüben Propagandaquellen.

Zum nationalsozialistischen Schöpfungsmythos gehört die Legende, dass Hitler schon Mitte der 1920er Jahre auf die Idee gekommen ist, Deutschland mit einer Autobahn zu beglücken. Das stimmt nicht, denn schon vor dem Ersten Weltkrieg (1914-1918) gab es erste Pläne dieser Art. Kurios ist, dass in der Zeit der Weimarer Republik die „Nur Autostraßen“ von den Kommunisten und Nationalsozialisten als „Straßen der Reichen“ abgelehnt wurden, weil sie nicht in deren ideologisches Weltbild passten. Es gab auch andere Widerstände, etwa bei der Deutschen Reichsbahn, die um ihr Monopol der Güterbeförderung fürchtete.

Das Projekt wurde nach der Errichtung der Nazidiktatur unter neuen Vorzeichen belebt und besaß, was man damals natürlich verheimlichte, auch eine militärpolitische Komponente. Eisenbahnstrecken und gut ausgebaute Straßen standen schon im 19. Jahrhundert bei Kriegsplanungen ganz oben. Die tatsächliche Nutzung als Straße für Kriegszwecke hielt sich allerdings in Grenzen, weil das meiste militärische Gerät mit der Eisenbahn transportiert wurde. Im Zweiten Weltkrieg dienten die Autobahnen den englischen und amerikanischen Flugzeugen als Orientierungsflächen für Bombenangriffe. Nach dem Krieg wurden die Betonstraßen im Westen zum Teil zerstört und dann in einem neuen Aufbauprogramm und viel dichter als je zuvor ausgebaut. Die Modernisierung der Autobahnen in der DDR ließ derweil auf sich warten und wurde erst nach der Wiedervereinigung (1990) massiv in Angriff genommen.

Helmut Caspar

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