Dubiose Erbansprüche als „casus belli“ -
Bei der Begründung von Kriegen und Landraub
waren Könige wenig zimperlich



Seine Kriege und Siege ließ der preußische König Friedrich II. auch auf Medaillen feiern. Auf der Spottmedaille anlässlich der Schlacht bei Prag (1757) versetzt Victoria der knieenden Bohemia einen Fußtritt. (Foto: Caspar)

Potentaten, Diktatoren und andere Herrscher, ob gekrönt oder nicht, fanden schon immer Gründe, um andere Länder zu überfallen, sich deren Bewohner untertan zu machen und fremde Schätze anzueignen. Dubiose Erbansprüche eroberungslustiger Monarchen und gefälschte Urkunden dienten häufig als „casus belli“, als Kriegsgrund. Einer, der Archivare und Historiker eigens zum Aufspüren verstaubter und vergessener Ansprüche auf fremde Territorien beschäftigte, war der französische Sonnenkönig Ludwig XIV., der von 1640 bis 1715 regierte und den feudalen Lebensstil einer ganzen Epoche prägte.

Der Monarch, der sich als allerchristlichster König bezeichnen ließ, bestritt auf der Suche nach neuen Ländereien die Existenz vieler kleiner Herrschaften im Westen des römisch-deutschen Reiches, also in unmittelbarer Reichweite Frankreichs. Deutsche Grafen, Fürsten und andere Herrschaften, aber auch die Magistrate von Städten wurden vom französischen Hof aufgefordert, Besitzurkunden vorzulegen und ihre Existenzberechtigung nachzuweisen. Das wurde in der Regel abgelehnt und war meist auch nicht möglich, und so brach der Sonnenkönig militärische Konflikte vom Zaun und setzte die so genannte Réunion (Wiedervereinigung) militärisch und mit großer Grausamkeit durch. Da sich das zersplitterte römisch-deutsche Reich kaum zur Gegenwehr aufraffen konnte und Ludwig XIV. unter deutschen Fürsten willige Helfer fand und bezahlte, hatte er bei der Eroberung und Okkupation der Pfalz, der Stadt Straßburg und vieler anderer Territorien leichtes Spiel.

Ähnlich ging ein paar Jahrzehnte später der preußische König Friedrich II. vor. Wenige Monate nach seiner Thronbesteigung überfiel er im Winter 1740 mit seinen Truppen die wohlhabende Provinz Schlesien, die mit Böhmen und Ungarn seit dem 16. Jahrhundert zum Reich der Habsburger gehörte. „Wahrhaftig, es ist ein großer Wahnsinn, aber einer, von dem man schwerlich los kommt, wenn man einmal ergriffen ist“, gestand der der von Ruhmsucht befallene König, den man später den „Großen“ nannte, dem von ihm verehrten Dichter und Vertrauten Voltaire. Friedrich II. nutzte die unklaren Machtverhältnisse in Wien aus, wo Kaiser Karl VI. gestorben war, für seine mit fragwürdigen Erbansprüchen untermauerten Eroberungsgelüste. Die Tochter des verstorbenen Kaisers, Maria Theresia, sollte das Habsburgerreich erben, hatte aber einen unsicheren Stand. Frankreich und England waren miteinander verfeindet, und das wusste der Preuße für sich auszunutzen.

Als Begründung für sein militärisches Vorgehen im Winter 1740 gegen Schlesien dienten verstaubte „Rechtstitel“, die des Königs Beamte aus den Archiven hervor gekramt hatten. „Die Rechtsfrage ist Sache der Minister, also die Ihrige“, schrieb Friedrich II. an seinen Außenminister Podewils. „Es ist Zeit, im Geheimen daran zu arbeiten, denn die Befehle an die Truppen sind gegeben“. Die Urkunden wurden wie gewünscht gefunden und im Sinne des Königs interpretiert. „Ich fasste sofort den Entschluss, die Fürstentümer Schlesiens in Anspruch zu nehmen, auf welche mein Haus sehr begründete Rechte hatte, und ich ergriff Maßregeln, um meine Ansprüche auf dem Wege der Waffen zu verfolgen. Das war ein unfehlbares Mittel, die Macht meines Hauses zu vermehren und Ruhm zu erwerben“. Insgesamt gab es drei Schlesische Kriege, die unzählige Tote forderten und Preußen an den Abgrund brachten. 1763 stand es zwar verarmt, aber als Sieger dar, und Friedrich II. konnte sich als großer Feldherr und Stratege sonnen.

Helmut Caspar

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