Die Zarin ließ sich von ihrem Geliebten täuschen - Potemkinsche Dörfer wurden sprichwörtlich politisch motivierte Kulissenschieberei



Aus Zerbst nach Sankt Petersburg – Zarin Katharina II., die Große, auf einer Medaille anlässlich der Errichtung des Reiterdenkmals Peters des Großen in Sankt Petersburg. (Foto: Caspar)

Die aus dem kleinen deutschen Fürstentum Anhalt-Zerbst stammende russische Kaiserin Katharina II. soll bei ihren vielen Geliebten nicht gerade wählerisch gewesen sein, zumindest legte sie sich keine züchtigen Zügel an, die man von Damen ihres Standes erwartete. Sankt Petersburg wurde in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts mit einem Sündenbabel verglichen, und an diesem Ruf hatte die Kaiserin einen großen Anteil.

Nachdem ihr rechtmäßiger Gemahl, Zar Peter III., 1762 in einer Palastrevolution vermutlich mit Katharinas Wissen, wenn nicht dar auf ihre Initiative, ermordet worden war, konnte die Witwe auch im privaten Bereich tun und lassen, was sie wollte. Wen sie zu ihrem Favoriten erkor, der durfte auf reiche Geschenke, Orden und fürstliche Titel hoffen, lebte allerdings auch nicht ganz ungefährlich, wenn sich die Zarin von ihm abwandte und ihre Gunst einem anderen Mann schenkte. Am längsten hielt es Grigori Potemkin (1739-1791) an der Seite der Kaiserin aus, ein Offizier von imposanter Erscheinung, der bei jenem Mordanschlag auf den im Kopf nicht ganz richtigen Peter III. mitgemacht hatte. Katharina war ihm verpflichtet, liebte ihn und schenkte ihm ihr Vertrauen. Es störte die Herrscherin aller Reußen sie nicht, dass Potemkin nur ein Augenlicht hatte und pockennarbig war, sich ziemlich nachlässig kleidete und zudem noch einen Harem schöner Frauen um sich hatte, wie Widersacher behaupteten.

Die Zarin sah in ihrem Grigori ihren Gemahl, obwohl die beiden offiziell nicht verheiratet waren. Umgekehrt war der Fürst von Taurien, so einer der vielen Titel, die Potemkin führte, der Zarin von Herzen zugetan, spürte aber auch den großen Abstand zwischen sich und der Selbstherrscherin aller Reußen. Als Katharina im Jahr 1787 eine große Schiffsreise auf dem Dnepr in ihre neu eroberten Provinzen in Südrussland bis auf die Krim unternahm, wusste der zum Generalgouverneur von Neurussland berufene Geliebte sie auf vielfältige Weise zu beeindrucken - mit Feuerwerk, Truppen- und Schiffsparaden und angeblich auch den legendären Potemkinschen Dörfern. Um sie ranken sich manche Legenden, mal soll es sich um Attrappen aus Gips und Pappe gehandelt haben, an denen der kaiserliche Konvoi vorbei fuhr, mal um echte Bauwerke, die nur angestrichen wurden. In Wirklichkeit beruht die Geschichte auf Hofklatsch und Hörensagen.

Potemkins Staffagen, wenn es die überhaupt gegeben hat, wurden nach dem Tod der Kaiserin (1797) mit immer neuen, abenteuerlichen Zutaten garniert und aufgebauscht. Ein Körnchen Wahrheit allerdings ist an dem Hofklatsch doch dran, denn der Zarin wurde vorgespiegelt, dass ihre Inspektionsreise durch blühende Landschaften führt und die Menschen über den hohen Besuch glücklich sind. Potemkin, der Arrangeur glänzender Lustbarkeiten auf den wie kleine Paläste hergerichteten kaiserlichen Schiffen, half kräftig nach, dass dieser Eindruck entstand. Er hatte allen Grund, seiner Herrin zu imponieren, denn er war zu diesem Zeitpunkt als Geliebter der Zarin abgehalftert, hatte aber die Regierungszügel noch fest in der Hand. Deshalb fiel es ihm auch nicht schwer, die spektakuläre Reise der Kaiserin in ein nicht enden wollendes Vergnügen zu Wasser und auf dem Land zu verwandeln.

Die Zarin ließ sich nur zu gern von so viel Luxus und Macht blenden, und sie erkannte offenbar nicht, wie wenig Realität hinter den Fassaden aus winkenden Menschen und properen Bauwerken stand. Schaden nahm das Ansehen des Organisationsgenies Potemkin. Sein Name ist auf immer mit politischer Gaukelei, Kulissenschieberei und Täuschung verbunden.

Helmut Caspar

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