Prinzessin setzte Legenden in die Welt -
Wenig glaubhaft: Hunger soll an des Soldatenkönigs Tafel geherrscht haben

Der Soldatenkönig inspiziert seine Riesengarde, die „Langen Kerls“. Holzschnitt aus dem 19. Jahrhundert. (Repro: Caspar)

Dass an der Tafel des preußischen Soldatenkönigs Friedrich Wilhelm I. gehungert wurde, ist eine langlebige Legende, die auf Erzählungen der Markgräfin Wilhelmine von Bayreuth, einer der Töchter Tochter dieses tatsächlich, was seine persönlichen Bedürfnisse betraf, sehr sparsamen Monarchen, beruht. Wie bei allen diesen Geschichten ist allerdings auch ein Körnchen Wahrheit dran.

Berlins goldenes Zeitalter endete 1713 mit dem Tod des ersten Preußenkönigs Friedrich I. War Berlin bisher ein Hort der Künste und Wissenschaften, so zogen unter dem Soldatenkönig Friedrich Wilhelm I. spartanische Verhältnisse ein. Berlin wurde, so berichtet sein Sohn Friedrich II., zum „Vorratshaus des Kriegsgottes Mars“, kommandiert von einem Herrscher, der einfache Lebensweise liebte. „Viele Personen, die sich bisher eine Kutsche gehalten hatten, gingen nun zu Fuß; und daher sagten denn die Leute: der König habe die Lahmen wieder gehend gemacht“, spottete der Alte Fritz.

Das von Andreas Schlüter, Eosander von Göte und anderen prunkvoll ausstaffierte Berliner Schloss verwaiste, weil der Soldatenkönig von seinen Schlössern aus in Potsdam, Königs Wusterhausen, Kossenblatt und anderenorts regierte. Friedrich Wilhelm I. verwirklichte in dem altertümlichen Schloss Königs Wusterhausen bereits als Kronprinz seine Vorstellungen von sparsamer Haus- und Hofhaltung im krassen Gegensatz zu dem Prunk und Pomp, den sein Vater in Berlin, Potsdam und Königsberg entwickelte. Er unterhielt hier eine militärische Eliteeinheit, aus der sich die Leibgarde der Langen Kerls entwickelte.

Der Soldatenkönig hielt sich in Königs Wusterhausen bevorzugt zwischen August und November auf. Jagd und Exerzieren, Rauchen und Trinken, Aktenstudien und zwischendurch auch Malen waren seine wichtigsten Beschäftigungen. Wenn es das Wetter zuließ, tagte das Tabakskollegium im Schlosshof, sonst kam man zu den durch „Stocknarren“ aufgeheiterten Gelagen in der ersten Etage zusammen. Widerwillig musste Kronprinz Friedrich an den Saufereien teilnehmen. Als er 1740 als Friedrich II. den Thron bestieg und in Sanssouci heiteres Rokoko schuf, versammelte auch er eine Tafelrunde um sich, bei der allerdings nicht mehr Trinkfestigkeit und rüdes Benehmen zählten, sondern Witz und Charme.

Der Saal, in dem der Herr zu Wusterhausen sein Tabakskollegium veranstaltete, ist, wie auch andere Wohn-, Schlaf-, Empfangs- und Wirtschaftsräume, erhalten. Bezeichnend für den eher bürgerlichen Lebensstil des Monarchen ist, dass sein Schlafzimmer nicht der zentrale Punkt des Schlosses war wie in Versailles und anderen Barock-Residenzen, sondern unauffälliger Abschluss einer bescheidenen Zimmerflucht. In dem mäßig beleuchteten Raum hat Friedrich Wilhelm I. manchen Rausch ausgeschlafen.

Theodor Fontane sah noch das große Waschbecken, dessen Standort heute durch eine Vertiefung im Boden angedeutet wird. „Beim Anblick dieses Waschfasses glaubt man ohne weiteren Zweifel was vom Soldatenkönig berichtet wird, dass er einer der reinlichsten Menschen war und sich wohl zwanzigmal des Tages wusch“, berichtet der Dichter in den „Wanderungen durch die Mark Brandenburg“.

Im Abschnitt „Links der Spree“ zitiert Fontane die eingangs erwähnte Markgräfin Wilhelmine von Bayreuth. Sie hat wenig Schmeichelhaftes über das „verzauberte Schloss“ in Königs Wusterhausen mitgeteilt, das ursprünglich Wendisch Wusterhausen hieß und erst von Friedrich Wilhelm I. den heute gültigen Namen erhielt. „Mit unsäglicher Mühe hatte der König an diesem Ort einen Hügel aufführen lassen, der die Aussicht so gut begrenzte, daß man das verzauberte Schloss nicht eher sah, als bis man herabgestiegen war. Dieses sogenannte Palais bestand aus einem sehr kleinen Hauptgebäude, dessen Schönheit durch einen alten Turm erhöht wurde, zu dem eine hölzerne Wendeltreppe führte. Der Turm selber war ein ehemaliger Diebswinkel, von einer Bande Räuber erbaut, denen dieses Schloss gehört hatte. Das Gebäude war von einem Erdwall und einem Graben umgeben, dessen schwarzes und fauliges Wasser dem Styxe glich.... Am Eingang in den Schlosshof hielten zwei Bären Wacht, sehr böse Tiere, die auf ihren Hintertatzen umherspazierten, weil man ihnen die vorderen abgeschnitten hatte...Wir waren immer 24 Personen zu Tisch, von denen drei Viertel jederzeit fasteten, denn es wurden nie mehr als sechs Schüsseln aufgetragen, und diese waren so schmal zugeschnitten, dass ein nur halbwegs hungriger Mensch sie mit vieler Bequemlichkeit allein aufzehren konnte.“

Die Lieblingsschwester Friedrichs des Großen, der zu Ehren im Park von Sanssouci der Freundschaftstempel mit ihrer Sitzfigur aus errichtet wurde, behauptet, all die Zeit in Wusterhausen leidend gewesen zu sein und versichert, „von nichts anderem als Wasser und trockenem Brot gelebt zu haben“.

Fontane bezweifelt, dass man an der Tafel des Königs von Preußen gehungert hat, und zählt auf, was der „starke Esser“ Friedrich Wilhelm I. und seine Gäste nach dem Motto „leben und leben lassen“ verspeisten. Dass die Prinzessinnen mit ihrem Gefolge in winzigen Dachkammern untergebracht waren, stellt der Romancier aber nicht in Abrede. Ebenso dass man, wie Wilhelmine schrieb, mittags selbst bei starkem Regen in einem Zelt aß, das im Hof aufgebaut war, und „bis zu den Waden“ im Wasser stand. Versteht sich, dass Friedrich II. den unköniglichen Platz, Ort böser Jugenderinnerungen, verschmähte, ihn seinem Schicksal überließ und sich in Sanssouci ein heiteres Refugium schuf, in dem er, wenn er nicht gerade im Krieg war, „ohne Sorgen“ lebte.

Helmut Caspar

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