Neubeginn nach dem Desaster -
Berliner Geschichtsfestival Historiale widmet sich den preußischen Reformen vor 200 Jahren



Vor dem Berliner Abgeordnetenhaus wacht, ganz in Bronze gegossen, der Reichsfreiherr vom Stein, einer von Preußens führenden Reformpolitikern vor 200 Jahren. (Foto: Caspar)

Preußen erlebte vor 200 Jahren ein politisches und militärisches Desaster ohnegleichen. Im Krieg gegen Frankreich unterlegen, wurde das Königreich im Sommer 1807 durch den Frieden von Tilsit stark verkleinert und verlor die Hälfte seiner Einwohner. Überall machten sich die Franzosen breit. Auch Berlin wurde besetzt, während König Friedrich Wilhelm III. und seine Familie weit weg in Ostpreußen auf ihre Rückkehr warteten.

In dieser Zeit tiefster Erniedrigung meldeten sich Politiker, Gelehrte und andere kluge Leute zu Wort und verlangten, dass der altpreußische Staat von Grund auf erneuert wird. Längst fällige Reformen wie die Beseitigung der Leibeigenschaft, eine neue städtische Selbstverwaltung und Gewerbeordnung, die Modernisierung des Heeres und eine Bildungsoffensive wurden auf den Weg gebracht, um Preußen fit für die Aufgaben des neuen Jahrhunderts zu machen. Andere Forderungen wie die Abschaffung der Privilegien des Adels, ja die Überwindung der Kleinstaaterei konnten nicht durchgesetzt werden.

Wie es in Berlin vor 200 Jahren während der Franzosenzeit aussah und welche Anstrengungen es gab, Preußen zu modernisieren, ist Thema des Geschichtsfestivals Historiale 2007, das vom 20. bis 26. August an verschiedenen Orten in Berlins Mitte unter dem Motto „Agenda 1807 - Den Staat umkrempeln“ veranstaltet wird. „Wir nutzen die Erfahrungen von der ersten Historiale im vergangenen Oktober, als ein fast waschechter Kaiser Napoleon mit seinem Tross wie 200 Jahre zuvor durchs Brandenburger Tor einritt und in Berlin und Preußen die Macht übernahm. Das Echo auf die Ausstellungen, Führungen, Lesungen, Konzerte und die Aufmärsche von Laiendarstellern in historischen Uniformen war überwältigend, und das hoffen wir auch von der Fortsetzung des Geschichtsspektakels Ende August“, sagte gestern (19. 7.) der Berliner Verleger und Historiale-Initiator Wieland Giebel bei der Vorstellung des randvoll gepackten Programms.

Mit von der Partie sind das Berliner Landesparlament, vor dem das Denkmal des preußischen Reformpolitikers Reichsfreiherr vom Stein steht, und die Wohnungsbaugesellschaft Mitte, die mit Geschäftsleuten und Anwohnern im Nikolaiviertel einen historischen Markt aufbaut und zum Mitmachen in verschiedensten Handwerkstechniken einlädt. Im Deutschen Historischen Museum Unter den Linden werden Vorträge über die preußische Reformbewegung von damals gehalten, und die Staatlichen Museen machen in die Alte Nationalgalerie mit der Kunst um 1800 bekannt. Studentinnen und Studenten der Universität der Künste und weitere Darsteller wollen mit Lesungen und szenischen Darbietungen sowohl im Nikolaiviertel als auch im Abgeordnetenhaus schildern, wie es den Berlinern vor 200 Jahren erging und wie sie die Besatzungszeit ertragen haben. Um ein Gefühl dafür zu geben, werden alle Ein- und Ausgänge zum Nikolaiviertel von „Franzosen“ bewacht, und wer passieren will, muss wie damals einen historischen Vorbildern nachgebildeten Pass vorweisen. Gegen eine kleine Spende kann er am Schlagbaum erworben werden. In der Nikolaikirche findet am 24. August, 20 Uhr, in Zusammenarbeit mit dem Stadtmuseum Berlin ein Konzert der Sing-Akademie mit Werken von Karl Friedrich Zelter statt, umrahmt von Auszügen aus dem Briefwechsel, den Zelter mit Goethe pflegte.

Wieland Giebel und der Projektleiter der Historiale, Norbert König, sehen in dem Veranstaltungsmarathon eine gute Gelegenheit, geschichtliche Ereignisse und Personen, aber Befindlichkeiten der damaligen Zeit gut verständlich und emotional wirksam zu vermitteln. „Wir holen die Geschichte in die Gegenwart, wollen komplizierte Vorgänge verständlich machen und zeigen, dass der preußische Zusammenbruch von 1806/7 ungeahnte Kräfte mobilisierte“, sagt König. Ins gleiche Horn stößt Walter Momper, Historiker und Präsident des Berliner Abgeordnetenhauses. Er begrüßt die Veranstaltungen während der Historiale, weil sie die Reformen von damals und ihre Auswirkungen auf die Entwicklung Preußens zu einem modernen Staat wieder mehr ins öffentliche Bewusstsein rücken und überdies Gelegenheit bieten, mit den Initiatoren der Stein-Hardenbergschen Reformen zwei herausragende Gestalten des frühen 19. Jahrhunderts hautnah zu erleben. Das laufend aktualisierte Programm ist im Internet unter www.historiale.de veröffentlicht; Nachfragen bei den Veranstaltern unter 030/20454673.

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