Opfer politischer Gewalt –
Grausiger Erinnerungsort in Potsdam hinter roter Ziegelsteinfassade



Wer das ehemalige Nazi- und Stasi-Gefängnis besucht, fühlt sich in eine andere, beängstigende Welt versetzt



Unter strenger Aufsicht durften Häftlinge in solchen Steinkäfigen ("Freigangzellen") ein wenig frische Luft schnappen. Links steht die Skulptur „Das Opfer“ von Wieland Förster. (Fotos: Caspar)

Dass es mitten in Potsdam ein berüchtigtes Stasi-Gefängnis gab, in dem Menschen inhaftiert waren, die für Freiheit, Demokratie und Einheit eintraten, bei so genannter Republikflucht gefasst wurden oder der Zusammenarbeit mit dem „Klassenfeind“ beschuldigt wurden, wissen viele Bewohner der brandenburgischen Landshauptstadt nicht. „Das Haus Lindenstraße 54 erinnert an dunkle Kapitel in der deutschen Geschichte und deren Verknüpfung mit diktatorischen Staats- und Sicherheitsapparaten dieses Jahrhunderts“, heißt es auf einer Gedenktafel an der roten Backsteinfassade. Das 1737 als Kommandantur erbaute Gebäude repräsentiert wichtige Etappen deutscher, preußischer und Potsdamer Geschichte. 1809 tagte hier die erste frei gewählte Stadtverordnetenversammlung, ab 1820 gab es hier ein Stadtgericht und Gefängnis. Während der NS-Diktatur wurde in der Lindenstraße 54 über Widerstandskämpfer gerichtet. Der Potsdamer Volksgerichtshof verurteilte den bekannten Sportler Werner Seelenbinder und andere Oppositionelle zum Tode, der Vollzug fand im Zuchthaus Brandenburg statt. Darüber hinaus verurteilte vom März 1934 bis November 1944 das hier tagende so genannte Erbgesundheitsgericht mehr als 4000 Menschen zur Zwangssterilisation. „Die ,Erbgesundheitsgerichte’ entstanden zur Durchsetzung des ,Gesetzes zur Verhütung erbkranken Nachwuchses’. Sie waren ein Instrument des rassistischen Terrors, der sich gegen Menschen richtete, die nicht in das NS-Menschenbild passten. Die hier verhandelten Zwangssterilisationsverfahren waren ein Eingriff in die Würde und Autonomie der Opfer“, heißt es auf einer im März 2009 an der Hausfassade angebrachten Tafel. Die Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes - Bund der Antifaschistinnen und Antifaschisten (VVN-BdA) macht darauf aufmerksam, dass die Opfer dieser unmenschlichen Praktiken Jahrzehnte ausgegrenzt und erst 2007 rehabilitiert wurden.

Die bedrückende Kontinuität von Willkür und Unterdrückung in beiden deutschen Diktaturen sind Themen von Führungen und Veranstaltungen in der Gedenkstätte, die vom Potsdam-Museum betreut wird. Wer sie besucht, fühlt sich in eine ferne Zeit zurückversetzt. Texte und Fotos an den Wänden dokumentieren die Verbrechen, die hier vor und nach 1945 geschahen, und sie geben einigen Opfern Gesicht und Stimme. Berichtet wird von Denunziationen und den Folgen, von sowjetischen Schnellgerichten und ihren im Viertelstundentakt gefällten Urteilen, von Folter und Krankheit, von Mord und Selbstmord. Die von den sowjetischen Militärtribunalen Verurteilten mussten ihre Haftstrafen entweder in so genannten Speziallagern auf ostdeutschem Boden absitzen oder wurden zur Zwangsarbeit in die Sowjetunion deportiert. Ein Teil der Häftlinge kam 1948 von dort zurück, blieb aber weiter in ostdeutschem Gewahrsam, Männer kamen nach Bautzen, Brandenburg und Torgau, Frauen ins Zuchthaus Hoheneck.

Vom britischen Bombenangriff am 14. April 1945 verschont, war das von außen heiter, innen aber düster und unheimlich wirkende Haus in der Potsdamer Lindenstraße zwischen 1945 und 1952 Gefängnis des sowjetischen Geheimdienstes. Aus dieser Zeit hat sich nichts mehr in der heutigen Gedenkstätte erhalten, wohl aber aus jenen Jahren, als die DDR-Staatssicherheit in dem weitläufigen, aus Nebengebäuden und Höfen bestehenden Komplex eine Untersuchungshaftanstalt unterhielt. Wer dort arbeitete, hatte im „Wendeherbst“ 1989 großes Interesse, seine Spuren zu verwischen. Doch im Auftrag der Stadt sicherte und sammelte das Potsdam-Museum schon frühzeitig Dokumente, befragte Zeitzeugen, veranstaltete Besichtigungen. Unterstützt wird die Gedenkstättenarbeit von der „Fördergemeinschaft Lindenstraße 54“, die sich im Februar 1995 als parteiunabhängiger Verein gründete, um am Beispiel der Geschichte des Hauses Lindenstraße 54 an die Unterdrückung von Menschen durch Menschen zu erinnern. Die Ausstellung schildert, was hier mit den Gefangenen geschah, wie man sie drangsalierte und von ihnen Aussagen und Schuldbekenntnisse erpresste, wie man sie durch Isolation zermürbte, ja regelrecht folterte und manchmal in den Selbstmord trieb.

Informationen über das ehemalige Potsdamer Stadtgefängnis und seine Geschichte sowie über ähnliche Haftanstalten enthält die Dokumentation „Orte des Erinnerns – Gedenkzeichen, Gedenkstätten und Museen zur Diktatur in SBZ (Sowjetische Besatzungszone) und DDR“. Das von Anette Kaminsky herausgegebene Buch listet, nach Bundesländern gegliedert, Erinnerungsstätten an die deutsche Teilung sowie Einrichtungen des sowjetischen und des DDR-Geheimdienstes auf und schildert die Leidensgeschichte derer, die nach 1945 in ehemaligen Konzentrationslagern, aber auch in Gefängnissen, Zuchthäusern und an anderen Orten inhaftiert waren.

In Potsdam gab es mehrere Gefängnisse des sowjetischen Geheimdienstes KGB. Einer dieser Erinnerungsorte liegt in der Nauener Vorstadt nicht weit vom Neuen Garten und hat die Adresse Leistikowstraße 1. Hier und in weiteren Häusern wohnten Personen, die am Attentatsversuch gegen Hitler am 20. Juli 1944 teilgenommen hatten und ihn mit dem Leben bezahlen mussten. Die Erinnerung an diese Seite des deutschen Widerstand war über ein halbes Jahrhundert verschüttet, denn das von der Roten Armee besetzte Viertel unterhalb des klassizistischen Belvederes auf dem Pfingstberg war hermetisch von der Außenwelt abgeriegelt. Nach der Vertreibung der Bewohner errichtete die sowjetische Besatzungsmacht in diesem stillen Teil der damaligen Bezirkshauptstadt Potsdam das „Militärstädtchen Nr. 7“ ein.

In den vornehmen Villen waren die Hauptverwaltungen der sowjetischen Geheimdienste sowie andere Kommandozentralen untergebracht. Von den etwa 15 000 in Potsdam stationierten sowjetischen Soldaten wohnten in dem Viertel, das von einer Mauer und Wachtürmen umschlossen war, nur die höchsten Offiziere und ihre Familien. Untergebracht war in der ehemaligen Villa des „Evangelisch-Kirchlichen Hülfsvereins“ die sowjetische Spionageabwehr. Dieses und weitere Gebäude dienten als Gefängnis und Verhörzentralen, hier mussten ab Frühjahr 1947 Menschen auf die Vollstreckung ihrer Todesurteile warten. Die sowjetische Spionageabwehr inhaftierte massenweise Bewohner der Sowjetischen Besatzungszone, und es war ihr egal, ob sie sich in der Nazizeit etwas hatten zuschulden kommen lassen oder nicht. Dies belegen von russischen Behörden nach 1990 ausgesprochene Rehabilitationen sowie in der Gedenkstätte ausgelegte Zeitzeugenberichte. Darin ist von Exekutionen auf dem Gelände die Rede, doch fehlen bisher konkrete Untersuchungen sowohl über die Vorgänge in den KGB-Gefängnissen, und an den Erschießungsständen, denn die in russischen Archiven liegenden Dokumente einzusehen, ist fast unmöglich. Überhaupt besteht Aufklärungsbedarf über das, was im „Militärstädtchen Nr. 7“ geschah, das nach dem Abzug der Besatzer 1994 aus dem Dornröschenschlaf erwachte und sich inzwischen zu einer edlen Adresse gemausert hat.

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