Spitzbart, Bauch und Brille sind nicht des Volkes Wille -
Wer über die „führenden Persönlichkeiten“ der DDR Witze machte,
hatte nichts zu lachen



Sie waren je nach Standpunkt sowohl Objekt kriecherischer Verehrung als auch der Verachtung: Pieck, Grotewohl und Ulbricht auf dem SED-Vereinigungsparteitag im April 1946 in Berlin. (Repro: Caspar)

Angesichts bedrückender politischer und wirtschaftlicher Verhältnisse blieb vielen DDR-Bewohnern oft das Lachen in Halse stecken. Aber wenn sie unter sich waren und gerade mal keine „Sicherheitsnadel“ dabei war, gaben sie mit politischen Witzen ihrem Ärger freien Lauf. Man durfte sich allerdings nicht erwischen lassen, denn auf "Herabwürdigung" der so genannten führenden Persönlichkeiten sowie "Staatsverleumdung" – im Westen Deutschlands unbekannte, undenkbare Delikte – standen hohe Strafen. Schnell konnte man in Verdacht kommen, denn das Denunziantenwesen blühte, und es gab zahlreiche Verurteilungen nur wegen einer abfälligen Bemerkung über Ulbricht, Honecker & Co., aber auch über Volkspolizisten, Stasispitzel und die sowjetischen Freunde, wie man die nach Hunderttausenden zählenden Besatzungstruppen mal ernsthaft, mal sarkastisch nannte. Die SED- und Staatsführer waren sehr auf ihr Ansehen im Lande und im Ausland bedacht. Nichts ärgerte sie mehr, wenn man an ihrer vermeintlichen historischen Bedeutung kratzte oder persönliche Eigenschaften, etwa hölzerne Sprache, Bildungsdefizite oder ungelenkes Auftreten, aufs Korn nahm, von ernsten politischen Fehlern ganz zu schweigen.

Angeblich sollen die besten DDR-Witze im Zentralkomitee der SED erfunden worden sein. Doch ist das kaum vorstellbar, denn die im Machtzentrum des Staates agierenden Funktionäre betrieben ihr Geschäft bierernst und taten alles, um das Ansehen der Partei zu heben und auf Angriffe von außen und von innen zu parieren. Die Angst vor Kritik durch das Ausland, und dazu gehörte auch die Bundesrepublik, und die Furcht vor Selbstentlarvung und unfreiwilliger Komik waren immens. Die tatsächlich im ZK ausgedachten Politparolen fielen, witzig um- und abgewandelt, auf die Urheber zurück. Unterhalb dieser Hürde aber gab es auch in Kabaretts und den Medien manche Kritik am System, freilich musste man genau hinhören und zwischen den Zeilen lesen, um sie zu verstehen.

Über den Reim „Spitzbart, Bauch und Brille sind nicht des Volkes Wille“ dürften der damit charakterisierte Bartträger Walter Ulbricht, seines Zeichens SED-Generalsekretär und stellvertretender DDR-Ministerpräsident, ferner der sich jovial gebende, mit einem mächtigen Bauch gesegnete Staatspräsident Wilhelm Pieck sowie der den Feingeist und Künstler gebende Brillenträger Ministerpräsident Otto Grotewohl, der 1946 per Handschlag die Fusion der Ost-SPD mit der KPD vollzogen hatte, kaum amüsiert gewesen sein. Der freche Zweizeiler kursierte im Juni 1953 unter aufgebrachten Arbeitern und war auf einem Schild deutlich zu lesen, das diese dem Händeldenkmal auf dem Marktplatz zu Halle an der Saale umgehängt hatten. Ulbricht war als derjenige verhasst, der am 13. August 1961 in enger Abstimmung mit der Sowjetregierung die Mauer und die innerdeutsche Grenze errichten ließ, was ihm weitere Spitznamen, nämlich Mauerbauer sowie Genosse Niemand, eintrug, weil er im Juni 1961 noch behauptet hatte, „niemand“ habe die Absicht, eine Mauer zu errichten.

Ein anderer Spruch, nämlich „Putz die Zähne mit Odol, / pfeif auf Pieck und Grotewohl“ gehörte ebenfalls in die Kategorie Boykotthetze, die laut Verfassung und DDR-Strafgesetzbuch unter strengster Bestrafung standen. Laut Verfassung von 1949 wurden Boykotthetze gegen demokratische Einrichtungen und Organisationen, Mordhetze gegen demokratische Politiker, Bekundung von Glaubens-, Rassen-, Völkerhass, militaristische Propaganda sowie Kriegshetze und alle sonstigen Handlungen, die sich gegen die Souveränität des sozialistischen Staates richten, als Verbrechen streng geahndet. Schon kleinste Verstöße gegen die dehnbare Bestimmung hatten böse Folgen. Das galt auch für die Herstellung, den Besitz und die Verbreitung von so genannten Hetzschriften und von Karikaturen. Massive Hetze gegen die Bundesrepublik und ihre Politiker und ganz allgemein gegen den Westen war von der Verfassung und den Strafgesetzen der DDR gedeckt, weil sie dem Klassenfeind galt, und dazu war jedes Mittel recht.

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