Aus dem Dornröschenschlaf erwacht -
Landgut Borsig im Havelland mauserte sich zu einem wichtigen Kulturstandort



Als erstes wurde das Verwaltungsgebäude des Landgutes in Groß Behnitz saniert, es dient seit 2006 unter anderem als Standesamt.



Der barocke Sandsteinschmuck auf den Torhäusern am Eingang zum Gut stammt aus Berlin, eine Tafel darunter erinnert an Ernst von Borsig und seine Mitstreiter vom Kreisauer Kreis. (Fotos: Caspar)

Antifaschistischer Widerstand wurde in der DDR ganz groß geschrieben, es gab kaum keine Stadt und kein Dorf, wo man nicht mit Straßen und Plätzen, Denkmälern und Büsten sowie mit den Namen von Schulen und Betrieben an Ernst Thälmann und andere kommunistische Kämpfer gegen das Hitlerregime gedacht hätte. Wer nicht in dieses Konzept passte, wurde ausgeblendet. So erging es Ernst von Borsig jun., der auf seinem Gut Groß Behnitz im Landkreis Havelland mehrfach unter konspirativen Bedingungen Vertreter des Kreisauer Kreises empfing, um mit ihnen agrarpolitische Pläne für die Zeit „nach Hitler“ zu besprechen. Was von der Gruppe um Peter Graf Yorck von Wartenburg, Helmuth James Graf von Moltke, Ernst von Borsig und anderen besprochen und was 1949 zum Teil in das bundesdeutsche Grundgesetzt aufgenommen wurde, war in den Augen der Naziführung Hochverrat. Äußerlich tarnte sich der Urenkel des Berliner Eisenbahnkönigs August Borsig als regimetreu, tatsächlich aber war er ein entschiedener Gegner der NS-Diktatur, und so führte der promovierte Land- und Volkswirt ein gefährliches Leben zwischen Anpassung und Widerstand.

Die meisten Mitglieder des nach dem Gut des Grafen Peter Graf Yorck von Wartenberg benannten Kreisauer Kreises wurden nach dem gescheiterten Attentat des Grafen Klaus Graf von Stauffenberg auf Hitler am 20. Juli verhaftet, zum Tode verurteilt und hingerichtet. Ernst von Borsig hatte Glück, seine Mitstreiter verrieten ihn auch unter Folter nicht, und so entging er der Todesstrafe. Wenige Monate nach Kriegsende wurde er ungeachtet seiner Tätigkeit als Widerstandskämpfer von der Roten Armee verschleppt. Am 30. September 1945 kam er in einem sowjetischen Internierungslager ums Leben. Bei der Enteignung des Gutes war es unerheblich, dass Borsig Nazigegner war und dass er zur Widerstandsgruppe des Kreisauer Kreises gehörte.

Von Ernst von Borsig jun. und seinen Freunden, aber auch von der wechselvollen Geschichte des Landgutes mit Bahnanschluss nach Berlin erzählt eine Ausstellung in der oberen Etage des Restaurants „Seeterrassen“ auf dem Gutsgelände direkt am Groß Behnitzer See. Das Borsig-Gut, das 1866 von dem Großindustriellen Albert Borsig, einem Sohn von August Borsig, von einem bankrott gegangenen Adligen gekauft und in ein Mustergut mit damals modernsten Aggregaten natürlich aus der eigenen Maschinenbauanstalt umgewandelt hatte, wurde 1946 nach dem Motto „Junkerland in Bauernhand“ enteignet, und die Erinnerung an Ernst von Borsig und seine Freunde gelöscht. Nach einem Dachstuhlbrand hat man das kostbar eingerichtete Schloss abgerissen. Das Feuer kam den Kommunisten in Ostberlin gelegen, auch anderswo gab es solchen „warmen Abriss“ nach der Parole „Friede den Hütten - Krieg den Schlössern“. Die Fläche, die das Schloss einnahm, blieb leer, hingegen überstanden andere Bauten mit ihren auffälligen roten Backsteinmauern die DDR.

Nach dem Ende des zweiten deutschen Staates und der Auflösung der LPG war die weitläufige Anlage dem Verfall preisgegeben. Niemand hätte darauf gewettet, dass das ehemalige Borsig-Gut eines Tages aus dem Dornröschenschlaf erwachen und zu einem wichtigen Kulturfaktor im Havelland und einer überregional bekannten Touristenattraktion werden würde. Der aus Baden stammende Fotograf, Bronzegießer, Tischler und Akustikbauer Michael Stober erwarb im Jahre 2000 die Kernflächen des Landgutes. In Süddeutschland und in Berlin hatte er bereits Erfahrungen bei der Sanierung historischer Bauten gesammelt, doch was ihn in Groß Behnitz erwartete, hatte gigantische Ausmaße. Unterstützt von der Deutschen Stiftung Denkmalschutz, dem brandenburgischen Landesdenkmalamt, der Bundesanstalt für Arbeit sowie einzelnen Ministerien der Landesregierung in Potsdam, vor allem aber getragen von vielen Enthusiasten machten sich Michael Stober und seine Frau Franziska mit vielen Helfern daran, die heruntergekommenen Gebäude zu retten, zu sanieren und zu restaurieren. „Wir mussten vom Gelände 20 000 Quadratmeter Müll und Wildwuchs entfernen, mit ABM-Kräften und Helfern aus dem Dorf wurden mehr als 1200 Kubikmeter Schutt aus den halbverfallenen Gebäuden fortgeschafft. Was bei den Aufräum- und Wiederherstellungsarbeiten gefunden wurde und wiederverwendbar ist, etwa alte Kessel und Dampfmaschinen sowie Ziegel- und Schmucksteine, wurde aufgehoben, restauriert und neu eingebaut, wie es der Denkmalschutz forderte“, sagt Stober beim Rundgang durch das Gut. Er plant Kurse für Besucher, die eigenes Brot backen oder eigenen Schnaps brennen wollen. Vorgesehen ist die Einrichtung einer Drucker- und Lithographenwerkstatt, in der wie zu Zeiten des Eisenbahnkönigs August Borsigs gearbeitet wird, und wer möchte, kann sich im Weben und Filzen üben oder sich als Tischler betätigen. Eines Tages wird es auch möglich sein, im alten Brennhaus auf einer Prägemaschine Medaillen anzufertigen. Wiederhergestellt als Hotel mit 48 Betten ist das Logierhaus, in dem schon die als Teilnehmer einer Jagdgesellschaft getarnten Mitglieder des Kreisauer Kreises gewohnt hatten, aber auch der ehemalige Rinderstall, in dem Konzerte und andere Veranstaltungen stattfinden. Das frühere Verwaltungsgebäude ist heute Standesamt, und weitere Bauten stehen den Besuchern offen. Intakt sind der Kornspeicher und die ehemalige Brennerei, in der Michael Stober zur Freude der Besucher alte Borsig-Dampfmaschinen wieder in Gang bringen will. Wieder erlebbar ist der See am Borsig-Gut. Wer das Gewässer vor ein paar Jahren sah, blickte auf einen fauligen Tümpel mit undurchdringlichem Uferbewuchs. „Die Revitalisierung ist ganz im Sinne der Familie Borsig. Sie hatte immer ein enges Verhältnis zu Pflanzen, auf seinem Fabrikgelände in Berlin besaß August Borsig ein seinerzeit berühmtes Gewächshaus mit vielen exotischen Pflanzen, die Liebe zur Natur setzte sich bei den Erben fort“, sagt Michael Stober.

Was vielen vor zehn Jahren als Utopie erschien, ist weitgehend in Erfüllung gegangen – die Erweckung eines geschichtsträchtigen Bauensembles. „Groß Behnitz ist wieder als Kleinod preußischer Agrarkultur erlebbar, doch kommt bei uns auch die havelländische Küche zu ihrem Recht“, beschreibt Stober die Ergebnisse zähen Ringens um die Wiederbelebung des ehemaligen Mustergutes, das gelegentlich als Treffpunkt von Oldtimer-Fans von sich reden macht, aber auch als malerischer Ort für Hochzeits- und Familienfeiern einen guten Ruf besitzt. Zielgruppen für das Landgut Borsig sind laut Stober die Berliner, doch kommen auch Touristen von weiter her und selbstverständlich Bewohner des Havellandes nach Groß Behnitz. Damit sie auch Gedrucktes mitnehmen können, plant Michael Stober eine Publikationsreihe, in deren Mittelpunkt die auch stark sozial und kulturell engagierte Familie Borsig, die 1908 geadelt wurde, und das Landgut Groß Behnitz stehen. Weitere Informationen beim Landgut Borsig, Dorfstraße 24, 14641 Groß Behnitz, Tel. 033239/20 80 60 oder in Berlin 030/20 054 054 sowie und im Internet unter www.landgut-borsig.de.

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"Märkische und Berliner Schlössergeschichten"