Ratternde Pferdedroschken ohne Pferde
Sehr früh mauserte sich das 1886 patentierte Automobil zu einem teuren Statussymbol der "oberen Zehntausend" / Friedensfahrt des Eisernen Gustav von Berlin nach Paris und zurück



In der Kaiserzeit war das Automobil ein ausgesprochenes Luxusobjekt,
und wer zu den Reichen und Schönen gehörte,ließ sich von
seinem Chauffeur durch die Gegend kutschieren oder tat das selbst.





Oldtimer gehören zu den Highlights in der Auto-Ausstellung des
Deutschen Technikmuseums Berlin. Im Bild unten schaut der Eiserne
Gustav zu, hier als Modell des Originals an der Potsdamer Straße.




Dass Gustav Hartmanns Kutschfahrt Berlin-Paris-Berlin als Friedensfahrt
ein großes Medienspektakel war, muss man sich beim Anblick
dieses eindrucksvollen Monuments aus Gusseisen hinzu denken.
(Fotos: Caspar)

Ohne Autos läuft heute nichts. Die großen und kleinen Schlitten sind von unseren Straßen nicht wegzudenken, und ihre Produktion ist eine der wichtigsten Stützen unserer Wirtschaft, bringen aber auch für unser Klima vielfältige Gefahren, von der Umweltzerstörung durch immer neue Verkehrstrassen und den Toten und Verletzten abgesehen, die unsere Automobilität fordern. Die Hymnen auf das vor 130 Jahren mit mäßiger Geschwindigkeit über holprige Straßen tuckernde Automobil waren lang und enthusiastisch, als im vergangenen Jahr das Auto-Jubiläum gefeiert wurde. Das von Carl Benz konstruierte Automobil ähnelte ursprünglich einer Pferdedroschke ohne Pferd. In der neuen Auto-Ausstellung des Deutschen Technikmuseums an der Trebbiner Straße in Berlin-Kreuzberg ist neben vielen anderen Oldtimern auch ein Nachbau des ersten Autos aufgestellt. Man erfährt in der ehemaligen Eisenbahnhalle, dass Carl Benz seinen mit einem Verbrennungsmotor ausgestatteten Selbstfahrer, und nichts anderes bedeutet das Kunstwort Automobil, am 29. Januar 1886 patentieren ließ, weshalb das Jahr 1886 als Erfindungsjahr gilt. Ein paar Jahre zuvor hatte Benz einen verdichtungslosen Zweitakt-Verbrennungsmotor und einen Viertakter sowie weitere Elemente einschließlich der Kupplung und Gangschaltung konstruiert.

Das Benzinauto hieß anfangs laut Patentschrift Tricycle. Es hatte eine Leistung von 0,8 PS und erreichte eine Höchstgeschwindigkeit von damals recht beachtlichen 18 km/h. Mit dieser laut hupend, schnaufenden und tuckernden Benzinkutsche fuhr Benz, der Absolvent des Karlsruher Polytechnikums, durch die Straßen und wurde ehrfürchtig bestaunt. Der Anblick des Fahrzeugs war gewöhnungsbedürftig. Es musste sich mühsam seinen Weg bahnen, denn Verkehrsregeln gab es noch nicht, und auch Ampeln waren noch nicht erfunden. Etwa zur gleichen Zeit befassten sich die deutschen Ingenieure Gottlieb Daimler, Wilhelm Maybach und Siegfried Marcus mit dem Bau eines, wie sie damals sagten, Selbstbewegers. Daimler hatte den Ottomotor zur Serienreife entwickelt, sein Name lebt wie der von Benz weiter im Namen eines weltbekannten Autokonzerns. Mit Maybach hatte Daimler ziemlich geheimkrämerisch in einem Gewächshaus an seinen Konstruktionen gearbeitet. Misstrauische Nachbarn riefen die Polizei, weil sie meinten, die beiden Männer würden Falschgeld herstellen. Doch gefunden wurden nur eine Drehbank, ein Schmiedeofen, ein Amboss und mehrere Schraubstöcke sowie Motoren.

Viele Schwierigkeiten überwunden

Was sich liest, als sei die Geschichte des Automobils einfach verlaufen, irrt sich. Carl Benz musste vielfältige Schwierigkeiten überwinden. Doch als er 1888 und 1889 sein Vehikel erst auf einer Messe in München und dann in Paris vorstellte, nahm die Skepsis ab, und der Zug setzte langsam sich in Richtung Sieg und Anerkennung in Bewegung. Die Geburt des Automobils fiel in eine technikbegeisterte Zeit. Seit Jahrzehnten fuhren schon die Eisenbahnen und machten das Reisen zu einer erschwinglichen und vor allem schnellen Angelegenheit. Man fotografierte einander, unterhielt sich am Telefon und schickte Telegramme und Botschaften über große Distanzen. Als die Bilder laufen lernten, wurde das Kino zu einem Massenmedium, ebenso wurde die Luftfahrt zu einem Spektakel, das unzählige Menschen auf die Beine brachte. Wer damals auf sich hielt und Geld hatte, legte sich eines der nach und nach mit vielen technischen Innovationen versehenen Fahrzeuge zu und setzte mit diesem luxuriösen Statussymbol die Mitwelt in Erstaunen. Die witzige Aufforderung eines Automobilisten an seinen Chauffeur "Fahr'n Se 30, will Tod ins Auge sehen" galt freilich nicht lange, denn das Auto wurde immer schneller und komfortabler. Mehr und mehr verzichteten die "oberen Zehntausend" auf Pferd und Wagen. Jetzt ließ man sich im Auto durch das Land kutschieren, und ganz Mutige fuhren sogar bei Autorennen mit.

Waren Autos anfangs sehr teuer, so konnte ihr Preis nach und nach dank massenhafter Fertigung am Fließband reduziert werden. Wie das ging, machte Ford in den USA vor. Zur Geschichte des Automobils gehört, dass sich der Führer der Nazipartei und deutsche Diktator Adolf Hitler medienwirksam in großen und schweren Wagen kutschieren ließ. Für seine Untertanen baute das Volkswagenwerk preiswerte Autos. Das trug dem NS-Regime manche Sympathien ein, ebenso der Bau von Autobahnen. Von deren militärischem Zweck wurde offiziell nicht gesprochen, aber sie wurden zur Verlegung von Truppen, Waffen und Munitionen und als Startbahnen für Flugzeuge gebraucht.

Hartmann wurde Roman- und Filmfigur

"Wat Stresemann nich jeschafft hat, det werde ick machen" - mit diesem auf den damaligen deutschen Außenminister Gustav Stresemann gemünzten Vorsatz setzte sich am 2. April 1928 der Berliner Droschkenkutscher Gustav Hartmann, von seinem schon recht klapprigen Gaul namens Grasmus gezogen, auf der Reichsstraße 1 nach Paris in Bewegung. Die über 2000 Kilometer lange Fahrt nur mit 1 PS war ein Werbezug für Frieden und Verständigung zwischen den ehemaligen "Erbfeinden" Deutschland und Frankreich zehn Jahre nach dem Ersten Weltkrieg und gleichzeitig eine Kampagne gegen den Niedergang des Pferdedroschkenwesens in Berlin angesichts boomender Automobilität. Als Hartmann am 4. Juni 1928, seinem 69. Geburtstag, an der Seine ankam, war er ein berühmter Mann. Die Pariser Kollegen ernannten ihn zum Ehrendroschkenkutscher. Drei Monate später, am 12. September 1928, begrüßten die Berliner Hartmann mit unbeschreiblichem Jubel. Heinz Rühmann setzte ihm ein rührendes Filmdenkmal, Hans Fallada machte ihn zur Romanfigur.

Berlin hat dem wegen seiner eisernen Energie und steten Pünktlichkeit mit dem Spitznamen "Eiserner Gustav" ausgezeichneten Original erst im Jahr 2001 auf der Potsdamer Straße ein Denkmal gesetzt. Nach zermürbenden Debatten über den Standort fand man für die von dem Bildhauer Gerhard Rommel geschaffenen Figur einen Platz mitten im Verkehrsgewühl an der Potsdamer Straße gleich beim Kulturforum. Den obligatorischen Zylinder auf dem Kopf und den weiten Radmantel um die Schultern, ein Hufeisen auf der Brust, die Hände verschränkt, schaut der Eiserne Gustav hinüber zur Neuen Nationalgalerie, eine imposante Erscheinung mit langem Bart und aufmerksamem Blick. Es ist, als ob der aus Magdeburg stammende Fuhrunternehmer aus einem Felsen herauswächst. In der Kaiserzeit war das Automobil ein ausgesprochenes Luxusobjekt, und wer von Rang und Stand war, ließ sich von seinem Chauffeur durch die Gegend kutschieren. (16. Juni 2016)



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