Victoria regia blühte in Moabit
Warum das Feuerland vor den Toren Berlins im 19. Jahrhundert ein Besuchermagnet war und womit der Eisenbahnkönig August Borsig viel Geld verdiente



Die Figur eines Schmieds mit aufgekrempelten Armen, Hammer und
Amboss schmückt das Bor-sighaus in der Berliner Chausseestraße.




Im Deutschen Technikmuseum Berlin sind diese Büste von August Borsig
und weitere Zeugnisse aus der Geschichte der Eisebbahnfabrik ausgestellt.



Im gleichen Museum kann man auch eine von Borsig gebaute Lokomotive
bewundern, allerdings nur als Nachbau aus dem Jahr 1912.




Für langjährige Treue erhielten Mitarbeiter des Unternehmens diese
Medaille mit den Köpfen von August Borsig und Albert Borsig,
der die weltberühmten Borsigwerke in Tegel gründete.
Die Rückseite zeigt die Villa Borsig in Moabit. (Fotos: Caspar)

Rechts und links der Chausseestraße in der Oranienburger Vorstadt siedelten sich im 19. Jahrhundert zahlreiche Industriebetriebe an. Das bekannteste Unternehmen war die auf Lokomotiven spezialisierte Maschinenbauanstalt von August Borsig. Eine Gedenktafel am Haus Chausseestraße 1 erinnert daran, dass Borsig hier im Jahr 1837 eine der bedeutendsten Maschinenfabriken Deutschlands gegründet und der industriellen Revolution einen wichtigen Impuls gegeben hat. Wenige Schritte weiter macht das Borsighaus Chausseestraße 13/14 auf sich aufmerksam. Das Gebäude steht unter Denkmalschutz, seine kaiserzeitliche Fassade mit neogotischen Elementen ist sorgsam restauriert. Unter einem kleinen Dach hält in einer halbrunden Nische die Bronzefigur eines Schmieds Wache. Mit aufgekrempelten Ärmeln, langer Schürze und einen Hammer in der Hand verkörpert er einen selbstbewussten Industriearbeiter der Kaiserzeit. Nach dem Abriss der Borsigwerke an der Chausseestraße und ihrem Umzug Ende des 19. Jahrhunderts nach Tegel blieb nur noch die Firmenspitze an ihrem Platz und richtete sich im Borsighaus ein, das den Krieg und Abrisswellen nach 1945 gut überstanden hat. Von 1999 bis 2001 wurde es vom Versorgungswerk der Zahnärztekammer Berlin saniert und restauriert.

Neben Borsig hatten sich an der Chausseestraße und in ihrer Umgebung auch andere Unternehmen der Metallbranche angesiedelt. Straßennamen wie Pflug-, Schwartzkopff- oder Wöhlertstraße erinnern noch heute an sie. Zu den bekannten Anrainern gehörte auch die Königliche Eisengießerei, die 1804 gegründet wurde und 70 Jahre später ihren Betrieb einstellte. In der Invalidenstraße, die die Chausseestraße kreuzt, erinnert eine Gedenktafel an die Gießerei, deren Erzeugnisse wie Denkmäler, Brückengeländer, Grabschmuck sowie Eisenträger und Brückenkonstruktionen überall in Berlin und Umgebung zu finden sind. Da beim Schmelzen und Gießen viel Hitze und Qualm entstand, nannte man die Gegend damals noch vor den Toren der Residenzstadt "Feuerland". Was sich hier abspielte, war eine Sehenswürdigkeit, weshalb sich Schaulustige gern in den Werkhallen einfanden.

In seinem Roman "Leberecht Hühnchen" hat Heinrich Seidel ein anschauliches Bild vom Leben und Treiben an der Chausseestraße überliefert. "Von dem Oranienburger Tor (aus) reihte sich an ihrer rechten Seite eine große Maschinenfabrik an die andere in fast ununterbrochener Reihenfolge. Den Reigen eröffnete die weltberühmte Lokomotivenfabrik von Borsig mit den von Strack erbauten schönen Säulengängen, dann folgten Egells, Pflug, Schwartzkopf, Wöhlert und viele andere von geringerem Umfang. In den Straßenlärm hinein tönte überall schallendes Geräusch, und das dumpfe Pochen mächtiger Dampfhämmer erschütterten weithin den Boden, dass in den Wohnhäusern gegenüber die Fußböden zitterten, die Gläser klirrten und die Kampenkuppeln klapperten. Zu gewissen Stunden war die Straße ein Flussbett mächtiger Ströme von schwärzlichen Arbeitern, die aus allen Fabriktoren einmündeten, und es gab eine Zeit, da in ihr jährlich mehr Lokomotiven gebaut wurden als im ganzen übrigen Deutschland zusammengenommen."

Am 23. Juni 1804 in Breslau als Sohn eines Zimmermanns geboren, erlernte August Borsig zunächst den Beruf seines Vaters, doch er strebte nach Höherem. Eigentlich wollte der junge Mann Baumeister werden und hatte auch alle Möglichkeiten, um in diesem Fach zu reüssieren. In Berlin ausgebildet, war er aber nicht als Architekt tätig, sondern machte eine eigene Maschinenbauanstalt und Eisengießerei auf. Die Fabrikgründung fiel in eine überaus günstige Periode, das Eisenbahnzeitalter war angebrochen. Während der alt gewordene preußische König Friedrich Wilhelm III. zu wissen glaubte und sich damit fundamental irrte, Eisenbahnen würden nicht gebraucht, und es sei doch egal, wie schnell man von Berlin nach Potsdam komme, vertrat der Kronprinz und ab 1840 König Friedrich Wilhelm IV. den Standpunkt: "Diesen Karren, meine Herren, der durch die Welt rollt, hält kein Mensch mehr auf."

In der Tat war der Zug der Zeit nicht mehr aufzuhalten, und so wurde 1838 die Eisenbahnstrecke Berlin-Potsdam ungeachtet von Unkenrufen und Mäkeleien über die geringe Geschwindigkeit der ersten Züge mit ihren schwarzen Rauchfahnen eröffnet. Mit der Eisenbahn schnell und preiswert zu fahren, wurde schnell populär, und bald verstummten auch die Kritiker. Borsig baute nach englischem Vorbild eigene Lokomotiven, die bei Wettfahrten schneller waren als die teuren Importe aus England, der damaligen Werkstatt der Welt. Sein Leben endete schnell und tragisch. Erst fünfzigjährig starb er 1854 an den Folgen eines Schlaganfalls. Kurz zuvor hatte der vom König zum Geheimen Kommerzienrat ernannte Fabrikant mit seinen Arbeitern noch den Bau seiner 500. Lokomotive mit einem großen Fest gefeiert. 1873 hatte das Unternehmen 3000 und 1885 4100 Lokomotiven geschafft. Ergänzt wurde das Fertigungsprogramm des durch Zukauf von Gruben und Fabriken mächtig aufgeblühten Unternehmens durch Dampfmaschinen, Wasserhaltungs- und Fördermaschinen, Einrichtungen zu gewerblichen Anlagen, Dampfkessel sowie Brücken.

August Borsig wird meistens mit dem Eisenbahnbau in Verbindung gebracht, dabei hat er wesentlich mehr als die schnaufenden und feuerspuckenden Zugmaschinen geschaffen, vielmehr ging es auch als Konstrukteur von großen Hallen und Freund exotischer Pflanzen in die Geschichte ein. Sein Villengarten in Moabit war eine große Sehenswürdigkeit. 1842 hatte Borsig das Grundstück Alt Moabit 5 (heute Nummer 86) gekauft. Hier ließ er sich in den folgenden Jahren von seinem Hausarchitekten Johann Heinrich Strack eine Villa errichten. Die sich anschließenden Treibhäuser konnten dienstags und freitags besichtigt werden. Das Eintrittsgeld kam der von Borsig gegründeten Unterstützungskasse für in Not geratene Arbeiter seines Betriebs zugute. In seinem Villengarten ließ Borsig 1851 von seinen Konstrukteuren ein kreisrundes Gewächshaus mit einem Durchmesser von zehn Metern erbauen. Bestehend aus einer Eisenkonstruktion mit viel Glasfläche, war das Gewächshaus eine absolute Novität und Berliner Sehenswürdigkeit, die man unbedingt besucht haben musste.

In dem eleganten Kuppelbau, der durch warmes Wasser aus der benachbarten Fabrik temperiert und gespeist wurde, wuchs die berühmte Riesenseerose Victoria regia (Victoria amazonica). Aus Südamerika stammend, wurde sie zunächst in England kultiviert und trat um 1850 von dort ihren Siegeszug durch die botanischen Gärten auf dem Kontinent an. Natürlich bemühte man sich auch in Berlin um die Wunderblume, auf deren runden Blättern ein Mann stehen kann. Borsig wetteiferte mit dem Königlichen Botanischen Garten damals an der Potsdamer Straße in Berlin um die Ehre, welche Victoria regia als erste blüht. Als die Pflanze in seinem Gewächshaus am 19. Juli 1852 drei Tage vor der im Botanischen Garten erblühte, war Borsig der strahlende Sieger. Natürlich meldeten die Zeitungen das Ereignis und sorgten so für reichliches Besucherinteresse in beiden Gärten. Außerdem wurde der Name des Berliner Eisenbahnkönigs nun auch mit der Züchtung seltener Pflanzen in Verbindung gebracht.

August Borsig wäre nicht August Borsig gewesen, hätte er nicht mit der spektakulären Aktion auch ein praktisches Ziel verfolgt. Denn sein Victoria-Haus aus Eisen und Glas war ein technischer Prototyp, und indem er die Vorzüge der Konstruktion pries und auch das frühe Erblühen der Wasserpflanze herausstrich, machte er Werbung für Treibhäuser sowie für Fontänen- und Bewässerungsanlagen, die in seiner Fabrik gebaut wurden. In Borsigs Wundergarten wuchsen und blühten Palmen und Kamelien, Azaleen, Orangen und Orchideen, Farne und viele andere Pflanzen aus fernen Ländern. Der Fabrikant hegte und pflegte die exotischen Pflanzen nicht nur zu eigenem Vergnügen, sondern war ebenso an ihrer Erforschung in den Ursprungsländern interessiert. Deshalb unterstützte er verschiedene Forschungsreisen und ließ sich von ihnen Pflanzensamen mitbringen. Einige Palmen und Farne wurden nach ihm benannt.

Zeitgenossen fanden bewundernde Worte für das von Borsig geschaffene Gartenparadies. Der Berliner Chronist Ludwig Rellstab befand, dass der großartige Aufschwung des Geistes, wie ihn Borsig in seinen Anlagen zeigte, ihm auch die entsprechenden Früchte eingetragen hat. "Sein Landhaus in Moabit ist ganz auf den Fuß der königlichen Villa eingerichtet. Mit den Wohngebäuden verbinden sich die Treibhäuser, die schönsten, die Berlin besitzt. Und doch überbot der Besitzer die Schönheit dieser Anlage bald durch eine zweite, die er leider nicht lange in ihrer Vollendung sah. Denn, in einer dieser Konstruktionen nur aus Glas und Eisen, doch in selbständig schönen Formen, baute Borsig sich ein Palmenhaus. Dieser Bau erregte bei seiner Vollendung das Staunen und die Bewunderung aller Welt".

Alexander von Humboldt, der berühmte Weltreisende, stand mit Borsig auf freundschaftlichem Fuß. Er empfahl König Friedrich Wilhelm VI., das "zierliche Treibhaus und die Anlagen von Borsig in Moabit" zu besuchen, denn der "vortreffliche Besitzer verdiente wohl dieses Glück". Der Monarch tat dies mit großem Vergnügen und soll dem Fabrikanten mit den Worten "So wie Sie, mein lieber Borsig, möchte ich auch mal wohnen" seinen Respekt gezollt haben. Mit dem König war Borsig übrigens mehrfach geschäftlich verbunden, so bei der Einrichtung einer Pumpstation "in maurischem Styl", wie man damals sagte, zur Versorgung der Fontänen und Wasserspiele in Sanssouci, aber auch beim Bau der Kuppeln der Potsdamer Nikolaikirche und des Berliner Schlosses.

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