Abreißen oder erhalten?
Neues Buch berichtet über die Wiedergeburt des im Zweiten Weltkrieg zerstörten Schlosses Charlottenburg



Im Zweiten Weltkrieg fast vollständig zerstört, ist das Schloss
Charlottenburg in die Jahre gekommen und bedarf einer umfassenden
Verjüngungskur. Bis Ende 2017 soll der Außenbau saniert und restauriert sein.




Katharina Steudtner, Hartmut Dorgerloh und ganz rechts Jörg Haspel
bei der Vorstellung des Buches über die Rettung des Schlosses Charlottenburg.




Die Decke des Weißen Saals im Neuen Flügel des Charlottenburger Schlosses
wurde von Hann Trier in den frühen 1970-er Jahren bemalt und hat viele Bewunderer.




Nach allen Regeln der Kunst wurde die Schlosskapelle unter Zuhilfenahme
von Resten der Dekoration und alter Fotos rekonstruiert.




Der Schlossgarten präsentiert sich als Anlage, bei der Vorlagen aus der
Barockzeit Pate standen. (Fotos: Caspar)

Als die erste preußische Königin Sophie Charlotte am 1. Februar 1705 während eines Besuchs in Hannover ganz überraschend mit nur 37 Jahren starb, war ihr Gemahl Friedrich III./I., Kurfürst von Brandenburg und seit 1701 König "in" Preußen, untröstlich. Er zelebrierte eine großartige Leichenfeier ließ die teure Tote in einem vom Hofbildhauer Schlüter geschaffenen vergoldeten Sarkophag bestatten, der heute im Berliner Dom steht. Um das Andenken seiner "hertzgeliebtesten Gemahlin" auf ewig zu bewahren, bestimmte der König, das von Sophie Charlotte als Sommersitz und Musenhof bewohnte Residenzschloss Lietzenburg in Charlottenburg vor den Toren Berlins umzubenennen. Damit der Befehl von allen Untertanen befolgt wird, wurde ihnen eine Strafe von 16 Groschen angedroht, sollten sie den alten Namen weiter verwenden.

Bis zum Ende der Monarchie im Jahre 1918 residierten die Hohenzollern vor allem in Berlin und Potsdam und gelegentlich auch im Schloss Charlottenburg. Ihm wurde im Zweiten Weltkrieg übel mitgespielt. Zweimal wurde die barocke, von Friedrich dem Großen erweiterten und danach immer wieder veränderten Residenz inmitten eines weitläufigen Parks von Bomben getroffen - am 23. November 1943 und noch viel schlimmer im Februar 1945. Danach war das Schloss nur noch eine traurige Ruine, und es war nicht klar, was aus ihr werden soll. Da große Teile Berlins in Trümmern lagen und Wohnraum dringend benötigt wurde, war es bei der Politik und in der Bevölkerung nicht einfach, für den Wiederaufbau der Hohenzollernresidenz zu werben. Dieser Aufgabe unterzogen sich die Kunsthistorikerin Margarete Kühn und weitere Visionäre mit ganzer Hingabe. Die Direktorin der Westberliner Schlösserverwaltung kannte das Schloss vor seiner Zerstörung, und sie empfand es schmerzlich, ja unerträglich, dass die Ruine dem Erdboden gleich gemacht werden könnte, denn solche Pläne gab es damals. Kühn und Kollegen suchten in den Trümmern nach verwertbaren Relikten und stellten sie für einen möglichen Wiederaufbau sicher. Außerdem wurden alle greifbaren Bilder und Dokumente für diesen Zweck gesammelt.

Der Diskussion in einer Zeit, als in Berlin, ganz gleich in welchem Sektor, große Not herrschte und die Menschen andere Sorgen hatten als sich für einen Wiederaufbau des Charlottenburger Schlosses zu erwärmen, kam zugute, dass 1950 in Ostberlin das ebenfalls von Bomben getroffene, aber immerhin besser erhalten gebliebene Stadtschloss auf Befehl der SED abgerissen wurde, ein Bau, der aktuell als Humboldt Forum seine Wiedergeburt erlebt. Es lag nahe, Stimmung für den Wiederaufbau des Charlottenburger Schlosses auch mit dem Argument zu machen, sich von den kommunistischen Machthabern und Kulturvernichtern im Osten deutlich abzuheben, so die damalige Diktion in den westlichen Sektoren der geteilten Stadt. Margarete Kühn und ihre Freunde fanden in Vertretern der britischen Besatzungsmacht Fürsprecher für ihren Plan, und so konnte der Wiederaufbau mit der Sicherung der Ruine und aller greifbaren Spolien begonnen. Die Rekonstruktion fand 1957 mit der Wiederherstellung der Kuppel ihren vorläufigen Abschluss, doch waren die Arbeiten außen und innen damit noch lange nicht beendet.

Wie das geschah und welche Probleme bei der Beschaffung von Baumaterialien, aber auch welche Überlegungen darüber angestellt wurden, wie denn das Schloss und seine Kapelle aussehen sollen, wie man die Räume rekonstruiert und welche Freiheiten man sich angesichts fehlender Vorlagen erlauben darf, was nachgebildet werden soll und was man lieber unterlassen sollte, schildert die Kunst- und Architekturhistorikerin sowie Denkmalpflegerin Katharina Steudtner in einem neuen Buch, das am 6. Juni 2016 im Weißen Saal des Charlottenburger Schlosses vorgestellt wurde. Das Buch "Wiederherstellen oder vollends vernichten? Theoriebildung und denkmalpflegerische Praxis beim Wiederaufbau von Schloss Charlottenburg" erschien im Gebr. Mann Verlag Berlin, hat 512 Seiten und zahlreiche Abbildungen und kostet 69 Euro (ISBN 978-3-7861-2734-5). Es dokumentiert die Zustände aus der Erbauungszeit und die Veränderungen danach, geht aber auch auf spätere Umbauten und Umnutzungen mit oft gravierenden Folgen für die baukünstlerische Substanz und das Inventar ein. Der in der Reihe "Die Bauwerke und Kunstdenkmäler Berlins" erschienene Band kann wie ein Lehrbuch der Denkmalpflege gelesen werden, sagte der Generaldirektor der Stiftung Preußische Schlösser und Gärten Berlin-Brandendenburg, Hartmut Dorgerloh, bei der Buchvorstellung. Berlins Landeskonservator Jörg Haspel beschrieb den unbedingten Aufbauwillen von damals, der zur Rettung des Schlosses Charlottenburg führte, als Antwort auf den Ostberliner Schlossabriss.

Die Vertreter beider und weitere Institutionen hatten die Forschungen der Autorin wirksam mit Rat und Tat unterstützt. Diese hat unbekannte Unterlagen gesichtet und stellt den beschwerlichen Weg vom anfangs tastenden Wiederaufbau zu den immer stärker werdenden Rekonstruktionen und teilweise auch den neuartigen Vervollständigungen dar. Bei der Buchvorstellung brauchte man nur einen Blick an die Decke des Weißen Saales zu tun um zu sehen, dass Altes und Neues gut in dem historischen Ambiente harmonieren und diesbezügliche Entscheidungen von damals gut und richtig waren, Deckenmalereien nicht nach alten Fotos zu kopieren, sondern unter Zuhilfenahme des Farbenkanons des 18. Jahrhunderts neue Formen zu entwickeln. Dieser schwierigen Arbeit hat sich der Maler Hann Trier in großartiger Weise unterzogen, und so würdigt das Buch auch dessen nicht einfach zu bewältigende, zu seiner Zeit nicht von allen begrüßte Leistungen.

(7. Juni 2016)

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