"Gestern noch auf hohen Rossen..."
Neue Ausstellung zeigt in der Spandauer Zitadelle Skulpturen aus dem 19. und 20. Jahrhundert, die keiner mehr haben wollte



Man sieht der Spandauer Kunstamts- und Museumsleiterin Andrea Theissen
die Freude an, dass sie das Projekt gegen manche Widerstände
mit ihrem Team zu einem guten Ende führen konnte,
wenn auch mit einiger Verspätung als geplant.




Nur gereinigt, aber nicht ergänzt fanden die zum Teil stark
beschädigten Marmorfiguren von der Siegesallee Asyl im
Proviantmagazin auf der Spandauer Zitadelle.



Preußens berühmtester König, Friedrich II., büßte seinen Arm ein,
seinem Nachfolger Friedrich Wilhelm II. fehlt sogar der Kopf.
Gut erhalten ist der Große Kurfürst Friedrich Wilhelm von Brandenburg.




Den im Ersten Weltkrieg gefallenen deutschen Eisenbahnern
wurde dieses Heldenmal gewidmet, das mit dem elenden
Sterben für Gott, Kaiser und Vaterland nichts zu tun hat.



Der drei Tonnen schwere Leninkopf liegt, leicht am Ohr und Bart
beschädigt, wie schlafend auf der Seite. Der große Rest des
1970 enthüllten Monuments passte nicht in die Ausstellungshalle.




Ausgedient haben die Volksarmisten, die an der deutsch-deutschen
Grenze dafür sorgten, dass Ostdeutsche in den Westen flohen. (Fotos: Caspar)

Berlin war vor einhundert Jahren, in der Endphase der Monarchie, förmlich zugestellt mit Denkmälern zur Erinnerung an Kaiser, Könige und weitere gekrönte Häupter. Überall standen auf Straße und Plätzen Generale und Gelehrte, Heilige und Helden, Künstler und andere Personen in Marmor gemeißelt oder in Bronze gegossen. Staatstragende Bildhauer der Kaiserzeit hatten alle Hände voll zu tun, doch viele ihrer Schöpfungen existieren nicht mehr. Veränderte Sichten auf die Geschichte und Kunst sorgten dafür, dass sie in der Gunst des Publikums sanken und wegen des prunkvollen Dekors und politischen Hintergrunds abgelehnt, ja oft auch mit bitterem Spott überzogen wurden. So erging es der berühmt-berüchtigten Puppenallee, einer von Kaiser Wilhelm II. um 1900 gestifteten Ahnengalerie aus Marmor, die von namhaften Bildhauern geschaffen und im Berliner Tiergarten entlang der in Richtung Reichstagsgebäude verlaufenden Siegesallee aufgestellt war. Die Figuren brandenburgischer Markgrafen und Kurfürsten sowie preußischer Könige standen im Mittelpunkt von Sitzbänken, auf deren Seiten zusätzlich noch Büsten von Paladinen platziert waren, die den jeweils dargestellten Herrschern zu Diensten waren. Auf alle diese Figuren mit ihren Kriegsspuren und Beschädigungen trifft der Spruch "Gestern noch auf hohen Rossen, heute in die Brust geschossen" zu, denn von der Verehrung, die man offiziell den dargestellten Personen noch in der Kaiserzeit entgegen brachte, ist nicht viel übrig geblieben. Wer kann außer mit Friedrich den Großen und der dem alten Kaiser Wilhelm I. denn noch etwas mit den anderen Potentaten namens Friedrich, Georg oder Joachim anfangen? Wer kann die ihnen zur Seite aufgestellten Assistenzfiguren deuten, von Schlüter, Blücher, Kant, Stein, Bach, Rauch, Bismarck oder Alexander von Humboldt einmal abgesehen?

Was von dem der Reichshauptstadt gestifteten, seinerzeit als marmorne Vogelscheuchen verspotteten kaiserlichen Ehrenschmuck übrig geblieben ist, zeigt die jetzt in der Spandauer Zitadelle eingeweihte Ausstellung "Enthüllt. Berlin und seine Denkmäler". Die in zwei aufwändig sanierten Militärbauten eingerichtete kunst- und kulturhistorisch hochinteressante Schau zeigt politische Denkmäler, die aus dem Berliner Straßenbild verschwunden sind und seit Jahrzehnten in Museumsdepots ein bescheidenes Dasein gefristet haben. An den weißgetünchten Wänden des ehemaligen Proviantmagazins sind die durch Kriegseinwirkung beschädigten, manchmal kopf-, bein- und armlosen Figuren von der Siegesallee gemeinsam mit älteren Skulpturen aus dem 19. Jahrhundert und solchen aus der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg aufgestellt. Der beschädigte Marmor wurde nur gereinigt, nicht aber durch Bildhauerkunst ergänzt. So kommt es vor, dass dem einen Herrscher der Kopf und anderen die Arme und Füße fehlen.

Was es mit allen diesen Skulpturen auf sich hat, kann man in der Ausstellung auf Monitoren erfahren, die vertiefende Informationen über die jeweiligen Bildhauerarbeiten und ihre Schöpfer sowie den historischen Kontext ihrer Entstehung vermitteln. Neben den Monarchenstandbildern von der Siegesallee und den zu ihren Seiten aufgestellten Ministern, Militärs, Geistlichen, Künstlern und Gelehrte sind im Proviantmagazin auch einige jüngere Helden- und Kriegerfiguren aus der Zeit der Weimarer Republik sowie der NS-Diktatur, aber auch ausrangierte Denkmäler aus DDR-Zeiten und aus dem Westteil unserer Hauptstadt zu sehen. Ein besonderer Hingucker ist der monumentale Kopf des 19 Meter hohen Lenindenkmals, das 1990 auf dem damaligen Leninplatz, dem heutigen Platz der Vereinten Nationen, abgetragen und in einem Wald im Köpenicker Forst vergraben wurde. Das 1970 mit großem Bombast im Beisein von 200 000 Ostberlinern eingeweihte Werk des sowjetischen Bildhauers Nikolai Tomski ist ein prominentes Opfer des Bildersturms, der nach dem Ende der SED-Herrschaft durch Berlin und die DDR fegte und verschiedene als politisch und künstlerisch nicht mehr zumutbar empfundene Stand- und Wandbilder sowie Bauwerke zu Fall brachte.

Außer der neuen Dauerausstellung schildert eine zweite Schau in der Alten Kaserne gleich neben dem Proviantmagazin anhand von Dokumenten, Fotos und weiteren Zeitzeugnissen die Motive, die zur Aufstellung und zum Sturz von Denkmälern führten. Insgesamt werden auf der Spandauer Zitadelle, dem ehemaligen Militärstandort, Waffenarsenal und Staatsgefängnis der brandenburgischen Kurfürsten und preußischen Könige, etwa einhundert originale Berliner Denkmäler in Szene gesetzt, und es wird gezeigt, wie man sie im Laufe der Zeit versetzt, umgestaltet, beschädigt, abgebaut und in Depots verbannt oder, wie im Fall der Siegesallee und des Lenindenkmals, sogar vergraben hat, einer uralten Tradition folgend, denn schon in der Antike hat man missliebige Skulpturen wie wirkliche Leichen dem Erdreich übergeben. Die meisten Exponate werden nach langer Zeit zum erstenmal wieder der Öffentlichkeit zugänglich gemacht. Sie können berührt, in Rauminszenierungen erlebt und/oder über Medienstationen in ihrem künstlerischen und geschichtlichen Kontext erfahren werden. Den Auftakt bildet eine digitale Denkmalkarte, auf denen etwa 600 kreuz und quer über Berlin verstreute Objekte verzeichnet sind. Mit der vertiefenden Sonderausstellung, in der unter anderem Originalfragmente von verschwundenen Denkmälern gezeigt werden, etwa des Kaiser-Wilhelm-Nationaldenkmals, auf dessen Fundamenten nun nicht mehr die "Einheitswippe" zu stehen kommt, werden in einer weiteren Schau Arbeiten von neun internationalen Künstlerinnen und Künstlern präsentiert, die sich mit der Intention und Wirkung der Berliner Denkmäler auseinandergesetzt haben, wird die Alte Kaserne als Ort für Wechselausstellungen genutzt. In einem weiteren Beitrag für diese Internetseite wird geschildert, wie die Figuren von der Berliner Siegesallee vor und nach beim Publikum "angekommen" sind.

LITERATURTIPP Helmut Caspar: Die Beine der Hohenzollern. Was Primaner des Joachimsthalschen Gymnasiums über die Siegesallee schrieben und was Wilhelm II. von den Aufsätzen hielt, Verlag Berlin Story Berlin 2007, 215 S., zahlr. Abb., 16,80 Euro (ISBN 13:978-3-929829-58-7); Der Katalog zur Ausstellung "Enthüllt" ist für Herbst 2016 angekündigt.

(27. April 2016)

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