Mit der Seilbahn in den Westen
Comiczeichnungen an einer Mauer des Bundesfinanzministeriums erzählen von einer hochriskanten Flucht 1965 einer Leipziger Familie



Bange Minuten verlebt Heinz Holzapfel auf dem Dach vom Haus der
Ministerien, nachdem Frau und Sohn schon sicher im Westen sind.
Sowjetsoldaten glauben, alles gehe seinen "sozialistischen Gang".




In der Zeitung "Bild am Sonntag" vom 1. August 1965 wurde die
Flucht der Familie Holzapfel dargestellt, die 2012 in einem Buch des
Berliner avant Verlags dokumentiert ist. (Fotos: Caspar)

An der Gartenmauer des Bundesministeriums der Finanzen in der Käthe-Niederkirchner-Straße gegenüber Topographie des Terrors erzählt ein Schwarz-Weiß-Comic von der hochgeheimen und hochriskanten Flucht des Ingenieurökonomen Heinz Holzapfel und seiner Familie von Ostberlin nach Westberlin. Im Sommer 1965 gelang dem Leipziger Ingenieurökonomen, seiner Frau Jutta und seinem Sohn Günther die Flucht mit Hilfe eines Drahtseils über den "antifaschistischen Schutzwall", wie SED-Chef Walter Ulbricht und Konsorten die am 13. August 1961 ihre Mauer nannten. Für Heinz Holzapfel bot das "Haus der Ministerien" an der Leipziger Straße/Ecke Otto-Grotewohl-Straße (heute Wilhelmstraße) einen idealen Ausgangspunkt für die Flucht. Er hatte ab und zu in dem weitläufigen Bau aus der Nazizeit zu tun und sah, dass der Südflügel direkt an die Sektorengrenze angrenzt.

In der Nacht vom 28. zum 29. Juli 1965 warteten seine Verwandten auf der westlichen Seite. Holzapfel ließ sich mit Frau und Sohn in einer Toilette im obersten Stockwerk einschließen. Sicherheitshalber befestigte er an der Tür das Schild "Außer Betrieb". Nach Dienstschluss und Einbruch der Dunkelheit warf er zu der mit seinen Verwandten verabredeten Zeit einen mit Schaumgummi geschützten und mit Leuchtfarbe bemalten Hammer über die Mauer, an dessen Stiel ein dünnes Perlonseil befestigt war. Die Verwandten fanden den Hammer und befestigten ihrerseits ein Stahlsein an dem Perlonseil. Dieses zog Holzapfel heran und befestigte es an einem Fahnenmast. Vom Dach des Riesenbaues glitten die Leipziger nacheinander wie auf einer Seilbahn, lautlos über die Mauer schwebend, aus einer Höhe von 23 Metern zur Erde, wobei die Verwandten auf der westlichen Seite das Seil spannten und mit den Flüchtenden um das Gelingen des abenteuerlichen Plans bangten.

Die auf den Zeichnungen eindrucksvoll mit allen Schrecksekunden geschilderte Flucht gelang nach Überwindung einiger technischer Schwierigkeiten nicht zuletzt auch deshalb, auch weil sowjetische Soldaten, die auf dem Dach des streng gesicherten Gebäudes postiert waren und die Szene beobachteten, nicht eingriffen. Sie hatten geglaubt, die Staatssicherheit würde einen Agenten nach Westberlin schleusen. Was aus den Rotarmisten wurde, die sich hatten täuschen lassen, ist nicht bekannt. Da bei der filmreifen Flucht eine Aktentasche mit Papieren auf den Boden fiel, wussten die DDR-Behörden schon bald, wer da frecherweise dem zweiten deutschen Staat den Rücken gekehrt hatte. Sofort wurden die Sicherheitsvorkehrungen im Haus der Ministerien verschärft, und es sieht so aus, als habe es später an dieser Stelle keinen zweiten Fluchtversuch gegeben. Die SED-und Staatsführung war bis auf die Knochen blamiert und tat alles, um ihre Grenzbefestigungen noch sicherer zu machen, man muss sagen, noch todsicherer.

In ihrem im avant Verlag Buch "BERLIN - Geteilte Stadt" erzählen die Comiczeichner Susanne Buddenberg und Thomas Henseler fünf wahre Geschichten aus einer Zeit, die noch garnicht lange zurückliegt. Eine junge Frau versucht, mit einem falschen Ausweis die DDR zu verlassen, ein Flüchtling wird an der Grenze erschossen, ohne dass ihm Rettungskräfte helfen können, ein junger Mann fotografiert heimlich die Grenzanlagen und gerät in die Fänge der Staatssicherheit, ein Ost-Berliner Schüler erkundet nachts West-Berlin und feiert dort die Party seines Lebens. Schließlich wird die spannende Flucht der Familie Holzapfel in den Westen geschildert.

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