"Du holst den Armen und den Reichen"
Wovon das mittelalterliche Totentanzgemälde in der Marienkirche erzählt und wie sie als vornehme Grablege genutzt wurde



Nur schemenhaft überliefert ist der "Totentanz" in der Marienkirche. Wie das
Wandgemälde ursprünglich aussah, zeigt die Rekonstruktionszeichnung.




Die vor 1703 geschaffene Marmor- und Alabaster-Kanzel in der Marienkirche
ist ein Meisterwerk des Barockbildhauers Andreas Schlüter.



Eine besondere Kostbarkeit stellt die Orgel dar, die bei Gottesdiensten
und Konzerten erklingt.




Zu den bedeutendsten Grabmälern aus der Renaissance und dem Barock
gehört das des Feldmarschalls Otto Christoph von Sparr, der 1668 starb.




Die Figur des Reformators Martin Luther bildete den Mittelpunkt einer
Denkmalanlage auf dem Neuen Markt. Die zu dem Monument
gehörenden Assistenzfiguren wurden im Zweiten Weltkrieg
der Rüstungsindustrie geopfert. (Repro/Fotos: Caspar)

Berlin und die Mark Brandenburg wurden immer wieder von Seuchen heimgesucht, und jedesmal gab es viele Todesopfer. Die Ursache für das Massensterben konnte man nicht erklären. Der "schwarze Tod" wurde mit moralischer Verkommenheit in Verbindung gebracht und als göttliche Strafe gedeutet. Nicht erkannt wurde, dass fehlende Hygiene, das Zusammenleben auf engstem Raum, Mangelernährung und der meist schlechte Gesundheitszustand der Bevölkerung der Ausbreitung der Pest Vorschub leisteten. Kunsthistoriker deuten den "Totentanz" in der Berliner Marienkirche, ein 22 Meter langes und etwa zwei Meter hohes Wandgemälde, als Antwort auf das Grassieren einer Epidemie gedeutet. Nur noch in Umrissen erhalten, gilt der um 1484, als Berlin wieder einmal von einer Epidemie heimgesucht wurde, gemalte Fries zu den bedeutendsten Kunst- und Sprachdenkmälern der Mark Brandenburg.

Während der Reformationszeit im frühen 16. Jahrhundert, als ein großer Bildersturm die Kirchen leer fegte, hat man den Fries nicht von der Mauer im Eingangsbereich des Gotteshauses abgehackt, sondern nur überstrichen. Erst im Spätherbst 1860 konnten Restauratoren den Reigen weiß gewandeter "Tode" mit 28 Vertretern geistlicher und weltlicher Stände bei Umbauarbeiten unter der Leitung des Architekten Friedrich August Stüler freilegen. Offenbar fand man damals an der fragmentarischen Überlieferung kein Gefallen und ergänzte die einzigartige Bilderfolge recht großzügig und phantasievoll, eine Arbeit, die sich niemand mehr erlauben würde. Diese "Überrestaurierungen" wurden Mitte der 1950-er Jahre rückgängig gemacht, so dass sich die Wandmalerei heute in authentischem, jedoch stark fragmentarischem Zustand zeigt. Nur noch auf Zeichnungen, die nach den schemenhaft überlieferten Figuren angefertigt wurden, kann man erkennen, wer da mit wem tanzt und aus welchen Gesellschaftsschichten die Personen kommen.

Schon in der Entdeckungszeit gab der Zustand des Kunstwerks Anlass zur Sorge. Aufsteigende Feuchtigkeit im Mauerwerk und ausblühende Salze setzten dem mal schreitend, mal hüpfend dargestellten Tod und seinen Begleitern zu. So schritt der Verfall ungehemmt voran. Viele Gottesdienstbesucher und solche, die in der Marienkirche Konzerte hören oder sie nur besichtigen wollen, brachten Staub und Feuchtigkeit in die Turmhalle mit. Hinzu kamen Ausdünstungen des Autoverkehrs von der nahe gelegenen Karl-Liebknecht-Straße, die die fragile Malerei weiter schädigten. Um sie vor Abgasen zu schützen, hat man in den 1990-er Jahren zwischen Eingangsportal und Kirchenschiff einen Tunnel aus Glas gebaut. Er schirmt die Wandmalerei ab, die nur noch durch Scheiben betrachtet werden kann.

Rede und Gegenrede

Ob sich der Totentanz auf solch elementare Ereignisse wie die Pest und/oder soziale Spannun-gen bezieht oder nicht - die Botschaft ist klar: Alle Menschen sind sterblich, und wir sollten nicht vor Gott treten, ohne Gutes getan und gebüßt sowie Vergebung für begangene Sünden bekommen haben. Der Zyklus steht in der Tradition niederländisch-norddeutscher Totentanzdarstellungen und solchen Dichtungen des späten Mittelalters. Er beginnt nicht bei den obersten Spitzen der ständisch geordneten Gesellschaft, also mit dem Papst und dem Kaiser, sondern ganz unten. In aufsteigender Linie sprechen Küster, Mönch, Prediger, Arzt, Domherr, Abt, Bischof, Kardinal und Papst mit dem Tod. Nach dem Bild des kaum noch erkennbaren gekreuzigten Christus folgen in absteigender Linie Kaiser und Kaiserin, König, Herzog und Ritter, Bürger-meister, Wucherer, Junker, Kaufmann, Bauer, Gastwirtin, Narr sowie eine Mutter mit Kind.

Die für die Erforschung früher Mundarten und Wortschätze wichtige, leider nur fragmentarisch überlieferte Rede und Gegenrede ist in niederdeutscher Sprache abgefasst. Ziemlich gut erhalten ist, was der Bürgermeister zu seinem bleichen Begleiter spricht: "Och gude doeth ick kann die nicht entwiken / du halest den armen vnde den riken - O guter Tod, ich kann Dir nicht entweichen / Du holst den Armen und den Reichen". Dem Franziskanermönch, der den Reigen eröff-net, sagt der Tod, er habe immer gut reden können, müsse aber nun den bitteren Tod erleiden, und der Augustinermönch muss hören "Die Geistlichen sterben gleich den Laien". Dem Wucherer wirft der Tod in holprigen Reimen vor, er sei für Geld gut zu sprechen gewesen, aber weil er die Armen übervorteilt hat, werde er großes Weh erleiden. Auch der Gastwirtin, genannt die "Krügersche", droht der Tod: "Ihr müsst schon mit, / Falsch zapfen (und) abrechnen ist Eure Sitte / Folget nach, Ihr seid wohl zum Tanze bereit". Worauf die Wirtin antwortet, der Tod möge lieber den Narren mitnehmen, denn sie wolle weiter Bier zapfen. Auch dem Kaiser, der so stolz, edel und mächtig ist und schon auf Erden das Himmelreich hatte, dazu ein gutes, hübsches Weib und schöne Pferde, ruft der Tod zu: "Nun legt schnell nieder die goldene Krone. / Haltet Euch zu dem Totentanz bereit: / Ihr müsst mit, es sei Euch lieb oder leid".

Barockaltar und wertvolle Orgel

Der Totentanz ist nicht das einzige Kunst- und Geschichtsdenkmal, das einen Besuch der Berliner Marienkirche lohnt. Das im späten 13. Jahrhundert errichtete und danach immer wieder umgebaute und erweiterte Gotteshaus birgt eine Vielzahl bedeutender Zeugnisse sakraler Malerei und Bildhauerkunst. Zu nennen sind unter anderem eine von Andreas Schlüter geschaffene Kanzel, deren Korb von zwei stehenden Engeln aus Marmor flankiert wird, während der Schalldeckel von jubilierenden Engeln bevölkert wird. Reste mittelalterlicher Schnitzaltäre und zahlreiche Tafelbilder religiösen Inhalts, aber auch großartige Grabmäler von der Renaissance über den Barock bis zum Klassizismus unterstreichen die Bedeutung der Marienkirche als Grablege des in der brandenburgischen und preußischen Haupt- und Residenzstadt lebenden Adels und Patriziats. Zu den kostbaren Ausstattungsstücken gehört die Orgel, ein Meisterwerk von Joachim Wagner aus den 1720-Jahren. Das 1989 aus dem Exil in Weißensee herbei geholte Denkmal des Reformators Martin Luther, das neben der Kirche an der Seite zur Karl-Liebknecht-Straße steht, ist ein Werk von Paul Otto aus dem Jahr 1895. Nur schemenhaft überliefert ist der "Totentanz" in der Marienkirche. Wie das Wandgemälde im Turmbereich ursprünglich aussah, zeigt die Rekonstruktionszeichnung. Die vor 1703 geschaffene Marmor- und Alabaster-Kanzel in der Marienkirche ist ein Meisterwerk des Barockbildhauers Andreas Schlüter. Eine besondere Kostbarkeit stellt die Orgel dar, die bei Gottesdiensten und Konzerten erklingt. Zu den bedeutendsten Grabmälern aus der Renaissance und dem Barock in der Marienkirche gehört das des Feldmarschalls Otto Christoph von Sparr, der 1668 starb. Die Figur des Reformators Martin Luther bildete den Mittelpunkt einer großartigen Denkmalanlage auf dem Neuen Markt neben der Marienkirche. Die zu dem Monument gehörenden Assistenzfiguren wurden im Zweiten Weltkrieg der Rüstungsindustrie geopfert. (Repro/Fotos: Caspar)

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