Markthallen waren bald ein Publikumsrenner -

In der Kaiserzeit lösten so genannte Gemüsekirchen den Handel auf offener Straße ab



Prächtig wie in der Kaiserzeit präsentiert sich die Markthalle VI an der Invalidenstraße/Ecke Ackerstraße im Schmuck der prächtigen Fassade aus gelben Backsteinen. Im Inneren hat sich eine Kaufhalle etabliert.



In der Markthalle VI, auch Ackerhalle genannt, schildern Grafiken und Fotos, wie es da um die Jahrhundertwende ausgesehen hat und wer dort eingekauft hat.(Fotos: Caspar)


Jahrhundertelang wurden in Berlin, und nicht nur dort, Lebensmittel und andere Erzeugnisse unter freiem Himmel verkauft. Das war mit manchen Problemen verbunden, denn Fleisch, Fisch, Butter, Milch, Gemüse und andere Waren verdarben schnell. Wer dergleichen zu sich nahm, konnte sich schnell den Magen verderben und riskierte sein Leben. Deshalb wurde seit Mitte des 19. Jahrhunderts, als sich Berlin zur Millionenstadt mauserte, der Ruf nach Markthallen laut. Wegen ihrer aufwändigen Gestaltung mit Türmen und Rundbogenfenstern, reichem Skulpturenschmuck und kostbarer Innenausstattung mit viel Marmor und Bronze nannte man sie "Gemüsekirchen".

Auf Wochenmärkten und in Straßen boten tausende Händler ihre Waren an, aber sie zu beliefern, war nicht einfach. Die Zufahrten waren regelmäßig durch Pferde- und Handwagen verstopft, die Hygiene an den Ständen ließ zu wünschen übrig. Außerdem war die Entsorgung der Abfälle und unverkauften Produkte nicht geregelt. Seit der Revolution von 1848 gab es Pläne zum Bau einer Markthalle. Die erste wurde zwischen Karlstraße und Schiffbauerdamm errichtet. 1867 eröffnet, musste sie wegen mangelhafter Einkünfte bald wieder schließen. Die Halle lebte als Zirkus weiter, weshalb die Straße bis 1891 Markthallenstraße genannt wurde. Später hieß sie Am Cirkus und heute Am Zirkus. Aus der Halle wurde der Friedrichstadtpalast, der 1984/5 abgerissen und durch einen Neubau an der Friedrichstraße ersetzt wurde.

Die Vorkämpfer der Markthallenbewegung ließen sich von dem Rückschlag nicht beeindrucken. Die Berliner Immobilien-AG trat 1871, im Jahr der Reichsgründung, mit dem Plan an die Öffentlichkeit, nicht eine, sondern elf Markthallen bauen zu wollen. Das gefiel dem Berliner Polizeipräsidenten Guido von Madai nicht. Er sah voraus, dass ein Unternehmen mit einem Monopol auf die Hallen der Preistreiberei Vorschub leisten könnte, und er forderte eine Beteiligung der Stadt an den Markthallen. Die Hungerkrawalle waren in böser Erinnerung, die für den Ausbruch der 1848-er Revolution mitverantwortlich waren, und so blieb der Plan weiter auf der Tagesordnung. 1886, vor nunmehr 130 Jahren, begann nach französischem Vorbild der Bau der Zentralmarkthalle am Alexanderplatz. Die sichere Versorgung der Berliner mit Lebensmitteln hatte auch einen sicherheitspolitischen Aspekt, denn man hatte bei der preußisch-deutschen Belagerung von Paris im Krieg von 1870/71 gesehen, wie wichtig sicher gelagerte Lebensmittelvorräte zum Überleben der Bevölkerung ist. Da man mit einem neuen Krieg gegen Frankreich rechnete, war es nicht ausgeschlossen, dass die Reichshauptstadt in eine ähnliche Lage wie das eingeschlossene Paris mit seinen hungernden Bewohnern kommt.

Die nach Plänen des Stadtbaurats Hermann Blankenstein erbaute Zentralmarkthalle mit direktem Anschluss an das Eisenbahnnetz blieb nicht allein. Insgesamt wurden 13 Markthallen in den Bezirken Mitte, Friedrichshain, Prenzlauer Berg, Kreuzberg, Wedding und Tiergarten erbaut, und die Berliner waren von diesen "Gemüsekirchen" begeistert. In seinem Berlin-Buch von 1893 notierte Paul Lindemann. "Die Vorteile des Markthallenverkehrs liegen klar aus der Hand; durch die rasche Verbindung, durch die Konzentrierung der Geschäfte, durch das Sparen von Zeit und Geld und durch die bequeme Zufuhr der bedeutendsten Vorräte ist es dem Großhandel möglich, dem Detailverkauf die niedrigsten Preise zu stellen, und letzterer kann deshalb auch dem Publikum wieder billiger zu liefern. [...] Geschützt vor Schnee, Sturm und sonstigen Wetterpossen schreiten die Hausfrauen in mächtigen, gedeckten, luftigen Hallen und auf mit Steinfliesen gepflasterten sauberen Erdboden dahin, können mit Muße das Beste auswählen, brauchen nicht ihr Geld (und wie manches Stück ging dabei verloren!) auf bestaubten Kartoffelsäcken und regentriefenden Apfeltonnen, können an jedem Tage und fast zu jeder Stunde ihre Markthalleneinkäufe besorgen und finden stets gute und frische Ware, da hier ja für reichlichste Ergänzung gesorgt ist".

Nicht jedem gefielen die neuen Hallen. Marktfrauen und so genannte Hökerinnen, die die Standmiete nicht aufbringen konnten oder wollten, wehrten sich vergeblich und mussten ihren Handel weiter auf der Straße betreiben. Befürchtungen, die Markhallen würden vom Publikum nicht angenommen, trafen nicht zu. Im Gegenteil war das Gebäude am Alexanderplatz, diese Hochburg aller Hallen in Berlin, wie Lindenberg schrieb, schon bald zu klein und musste erweitert werden. "Welcher Berliner hätte es sich vor zwanzig Jahren träumen lassen, dass Butter, Radieschen, Fische und dergleichen mehr auf elektrisch erhelltem Markte und von hocheleganten Marmorplatten verkauft würden", schrieb Lindenberg und rechnete vor, dass in einem einzigen Jahr in der Zentralmarkthalle an 1700 Ständen auf 6000 Quadratmetern alles verkauft wurde, was Leib, Magen und Augen erfreut.

Der Journalist Julius Rodenberg fasste seine Eindrücke über das "Wunder von Berlin" mit diesen Worten zusammen: "Am 3. Mai dieses Jahres 1886, eine Stunde vor Mitternacht, sollte das Mirakel geschehen, und es geschah; und als wir am anderen Morgen in die vom Frühlingssonnenschein durchleuchtete Halle traten, das schwammen die Fische so vergnügt in ihren Kübeln, hingen die großen Braten so verlockend an ihren Krampen, entsandten Blumen und die Käse so lieblichen Duft, standen die trefflichen Marktweiber, deren Bekanntschaft wir unter den historischen Regenschirmen des Ancien régimes gemacht, so würdevoll in ihrem neuen Palast und rollten obenhin die Stadtbahnzüge mit so majestätischem Donner, dass wir demutsvoll die Augen niederschlugen und im Herzen dem Magistrat Lob sangen, der dies alles so herrlich vollbracht".

Die Markthallen-Herrlichkeit hat bis auf wenige Ausnahmen Kriege, Abrisse und Neubauplanungen nicht überstanden. Die Zentralmarkthalle am Alexanderplatz wich in den 1960-er Jahren der Neugestaltung des Ostberliner Stadtzentrums, ebenso erging es einer zweiten Halle in der Nähe, die 1893 eröffnet wurde. Weitere Markthallen sind Kriegsverluste oder wurden nach 1945 abgetragen und überbaut. In Resten oder sogar ganz erhalten sind die Markthallen in der Zimmerstraße, Dorotheenstraße Invalidenstraße/Ackerstraße, Dresdner Straße, Pücklerstraße sowie am Arminiusplatz und am Marheineckeplatz.


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