Dunkelroter Marmor aus der Reichskanzlei?
Die geheimnisumwitterten Wandverkleidungen im U-Bahnhof Mohrenstraße stammen in Wahrheit aus dem thüringischen Saalburg





Nicht aus Hitlers Reichskanzlei stammen die marmornen Wand- und
Säulenverkleidungen, sondern aus einem Steinbruch in thüringischen Saalburg.



Von Hitlers pompöser Reichskanzlei gibt es nur noch ein paar Steine,
Ausstattungsstücke sowie Fotos, die einen guten Eindruck
von der absichtsvoll furchterregenden Architektur vermitteln.




Rund um die U-Bahn-Station Mohrenstraße wurden auf Initiative der
Schadow Gesellschaft Berlin e. V. sechs Standbilder preußischer Generale
der Armee König Friedrichs II. aufgestellt, die bis zum Zweiten
Weltkrieg den damaligen Wilhelmplatz schmückten. Dieses Standbild
stellt den Feldmarschall Jacob Keith dar. (Fotos: Caspar)

Seit über 70 Jahren wird darüber gerätselt, woher der rote Marmor stammt, mit dem Wände und Säulen des Berliner U-Bahnhofs Mohrenstraße verkleidet sind. Stammen sie aus der zerstörten Neuen Reichskanzlei, die sich Adolf Hitler nur wenige hundert Meter entfernt nach Plänen seines Stararchitekten Albert Speer errichten ließ? Lange wurde diese 1950 in Umlauf gesetzte Geschichte geglaubt. Die Ausstattung des U-Bahnhofs Kaiserhof, der in DDR-Zeiten Thälmannplatz beziehungsweise Otto-Grotewohl-Straße hieß und nach dem Ende des zweiten deutschen Staates den Namen Mohrenstraße erhielt, mit Marmor aus der nach dem Krieg abgerissenen Reichskanzlei hätte durchaus in die Zeit gepasst. Denn alles, was an das Nazireich und seinen Führer erinnerte, wurde beseitigt oder wie im Fall einiger übrig gebliebener Ministerien und weiterer Staats- und Parteibauten neu genutzt, allerdings von allen Emblemen des untergegangenen Deutschen Reiches befreit.

Die Legende vom Marmor aus der Reichskanzlei stammt aus den frühen 1950-er Jahren. Für die damalige Zeit war es reizvoll und vorstellbar, dass U-Bahn-Passagiere auf Wandfelder blicken oder über Bodenplatten aus thüringischem Marmor laufen, auf denen Hitler geschritten ist, wenn er Diplomaten empfing oder Feldmarschälle auszeichnete. Das Märchen vom Hitler-Marmor machte die Runde und wurde auch in Berlin-Büchern und von Fremdenführern kolportiert. Das Hamburger Nachrichtenmagazin "Der Spiegel" berichtete sogar von Drohbriefen an die in den Trümmern der Reichskanzlei tätigen Abbruchfirma. Ihr wurde Vergeltung angekündigt, wenn es einmal "anders herum" kommt, wenn also das Naziregime wie der Phoenix aus der Asche aufersteht und mit seinen Feinden abrechnet. Ernst zu nehmen waren solche Warnungen natürlich nicht, aber sie passten ins Bild, denn der Ungeist der Nazizeit war in beiden deutschen Staaten ungeachtet gegenteiliger Behauptungen noch lange nicht überwunden, wenn auch im Westen weniger und im Osten mehr.

Moskauer Pracht als Vorbild

Für den Ostberliner Magistrat war klar, dass ein Bahnhof, der nach dem 1944 von den Nazis im KZ Buchenwald ermordeten Vorsitzenden der Kommunistischen Partei Deutschlands, Ernst Thälmann, benannt ist, nur das Beste vom Besten zum Einsatz kommt - Marmor. Man wusste, dass die unter Josef Stalin erbauten Metrostationen in Moskau auf das Prächtigste mit Kronleuchtern, Stuck, reichlicher Vergoldung und natürlich Marmor ausgestattet sind. Ganz so üppig konnte die im Krieg zerstörte und danach wieder aufgebaute U-Bahnstation Thälmannplatz nicht geschmückt werden, aber wenigstens sollte sie mit Marmor glänzen und sich damit von anderen Haltestellen dieser Art unterscheiden. Der "Spiegel" behauptete, die Wand- und Bodenplatten würden aus "Hitler-Marmor" bestehen, ohne zu sagen, woher er die Information hat. Berichte in Ostberliner Zeitungen anlässlich der Einweihung des "schönsten Bahnhofs der deutschen Hauptstadt" nach nur 108 Tagen Bauzeit durch Ernst Thälmanns Tochter Irma hätte Gelegenheit gegeben, die Gerüchte um die Herkunft des Marmors zu entkräften, doch gab es ein ausdrückliches Dementi nicht.

Maritta Tkalec befasste sich in der Berliner Zeitung vom 4. April 2016 mit dem "Mythos vom Hitler-Marmor" und verwies auf eine im Archiv der BVG befindliche "Direktionsakte U-Bahnhof Thälmannplatz". Nicht von Abbruchmaterial aus der Reichskanzlei ist darin die Rede, vielmehr wird die Befürchtung ausgesprochen, dass der "Einschnitt" von Marmor im thüringischen Marmorwerk Saalburg für ein Planetarium in Stalingrad die Ausstattung des Berliner U-Bahnhofs mit eben jenem Marmor gefährden oder verzögern könnte. Mit dem Problem wurde der damalige Industrieminister Fritz Selbmann befasst, der per Telegramm eine Unterbrechung der Arbeiten für Stalingrad zugunsten des U-Bahnhofs Thälmannplatz veranlasste.

Gesagt getan, die Blöcke kamen in Berlin an, doch erwiesen sich einige als nicht brauchbar, weshalb in Saalburg neue bestellt werden mussten. Die Bauarbeiten standen unter hohem Zeitdruck, die letzten Platten kamen kurz vor der Einweihung an. So musste man Säulen, die noch nicht mit dem Saalburger Marmor in der Varietät Königsrot verkleidet werden konnten, mit Holz und Tannengrün tarnen, was aber bei der Menge der Ehrengäste wohl nicht weiter auffiel und bald korrigiert wurde. So präsentiert sich der Bahnhof in geheimnisvoll dunklem Farbton, der von weißen Einschlüssen abgemildert wird. Ungewöhnlich für solche Stationen verzichtet der U-Bahnhof Mohrenstraße, wie er heute heißt, auf Reklame an den Wänden sowie Bilder aus der Berliner Stadt- und Baugeschichte, in die man in anderen Haltepunkten vertiefen kann.

Um Verwechselungen mit dem 1986 von Erich Honecker eingeweihten Wohngebiet Ernst-Thälmann-Park im Bezirk Prenzlauer Berg mit einem riesigen Thälmann-Denkmal darin zu vermeiden, erhielt der Bahnhof Thälmannplatz 1986 den Namen Otto-Grotewohl-Straße analog zu einer Straße gleichen Namens, die heute wie schon zu Zeiten der Monarchie wieder Wilhelmstraße heißt. In Mauerzeiten war der U-Bahnhof Endstation der damaligen U-Bahn-Linie A. Ein Fortkommen nach Westberlin war nicht möglich, die U-Bahn fuhr zurück nach Pankow.

(12. Mai 2016)

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