"Lahmärsche" aus Bronze
Das vor 30 Jahren mit großem Pomp in Berlin eingeweihte Marx-Engels-Denkmal war nicht jedermanns Sache, doch Parteichef Honecker fand es in Ordnung



Vor dem XI. und letzten Parteitag der SED wurde im April 1986 das von
Ludwig Engelhardt geschaffene Marx-Engels-Denkmal feierlich enthüllt,
aber die Begeisterung hielt sich in Grenzen. Im Hintergrund
sind die Umrisse des inzwischen abgerissenen Palasts der Republik zu erkennen.




Das Monument wurde im September 2010 demontiert und an einem
neuen Platz nahe dem Spreeufer neu aufgestellt.



Mit Blick nach Westen halten die, wie es in der DDR hieß, Begründer
der wissenschaftlichen Weltanschauung der Arbeiterklasse am Spreeufer Wache.




Das wuchtige Marmorrelief von Werner Stötzer hinter der Bronzegruppe soll
die Menschwerdung symbolisieren, so die damalige Diktion. (Fotos: Caspar)

Wann immer Denkmäler geschaffen wurden, haben die Auftraggeber den Künstlern mehr oder weniger harte Vorschriften dafür gemacht, wie das Resultat aussehen soll. Davon war auch der in der DDR hoch geschätzte Ludwig Engelhardt (1924-2001) nicht ausgenommen. Wenig bekannt ist, dass das Gipsmodell des 1986 mit dem Nationalpreis der DDR ausgezeichneten Künstlers etwas anders aussehen sollte als das, was dann in Bronze gegossen wurde. Engelhardt hatte in Gummlin auf der Insel Usedom eine Figurengruppe gestaltet, bei der der stehende Friedrich Engels seine rechte Hand freundschaftlich auf die Schulter seines Mitstreiters Karl Marx legen sollte, und außerdem hätten die beiden Freunde ihre Köpfe ein wenig zueinander gewandt. Prominente DDR-Künstler wussten den Partei- und Staatschef Erich Honecker davon zu überzeugen, dass Engelhardts Blick auf die "Klassiker" gut gelungen ist. Allerdings musste der Bildhauer Korrekturen vornehmen, und so kommt es, als ob die beiden vollbärtigen Herren nach vorn schauend so tun, als hätten sie nichts miteinander zu schaffen, und eine Haltung einnehmen, als würden sie irgendwie gelangweilt an einer Haltestelle auf den nächsten Bus oder auf die nächste Revolution warten.

Dieser Missstand fiel schon in der späten DDR-Zeit auf, und so nannte man die beiden Klassiker des Marxismus-Leninismus hinter vorgehaltener Hand Lahmärsche, Plisch und Plum, Dick und Doof oder nach der Art ihrer Kleidung Sakko und Jacketti in Analogie zu zwei italienischen Einwanderern, die 1927 in den USA der Beteiligung an einem Raubmord beschuldigt und hingerichtet wurden, ohne dass ihre Täterschaft nachgewiesen werden konnte. Der politisch motivierte Justizmord löste in den Vereinigten Staaten und darüber hinaus massive Proteste aus und war für die Arbeiterbewegung ein willkommener Grund, gegen die, wie es hieß, imperialistische Klassenjustiz vorzugehen.

Kleinliche und ängstliche Kritik

Vergeblich intervenierte SED-Politbüromitglied Albert Norden am 28. Juni 1977 in einer Hausmitteilung bei Erich Honecker, der sich im Unterschied zu seinem Vorgänger Walter Ulbricht wenig bemüßigt fühlte zu befehlen, wie Kunst aussehen soll und was sie zu unterlassen hat. Der in der Parteiführung für den Bereich Agitation zuständige Norden bemängelte nach Betrachtung eines Fotos die "formale Steifheit der Figuren", die sich in dieser Hinsicht von dem Lenindenkmal auf dem Leninplatz [heute Platz der Vereinten Nationen] unterscheiden. "Dort erlebt man schwungvoll Belebung und Bewegung. Weshalb steht Engels, während Marx sitzt? Ist das die normale Haltung eines Geistesriesen? Muss man nicht befürchten, dass er von dem ultraschmalen Sitz im nächsten Augenblick herunterfällt? Was ist mit den kubistisch anmutenden Formen zwischen Marx und Engels", fragte Norden und erinnerte Honecker an seine eigenen Worte, dass es "höchste Eisenbahn ist, ein repräsentatives Marx-Engels-Denkmal in der Hauptstadt zu haben." Allerdings hielt Norden mit seiner kleinlichen und ängstlichen Kritik angesichts der "vielen Leute" bei der Sitzung und vor allem des anwesenden Künstlers hinterm Berg, fühlte sich aber verpflichtet, dem Genossen Generalsekretär seine Gedanken und Gefühle offen zu sagen. Dem ehemaligen Journalisten Norden blieb der Anblick der Sitz- und Standfigur erspart, denn er starb Ende März 1982. Engelhardt war bei seinem Konzept geblieben, nahm allerdings Engels' Hand von der Schulter des wie ein König auf dem Thron sitzenden Marx und rückte die Köpfe geradeaus in Richtung Fernsehturm.

Von Distanz und schon gar nicht von den Querelen im Hintergrund rund um die Schaffung des Marx-Engels-Denkmals war im April 1986 im Parteiorgan "Neues Deutschland" und der von der SED kontrollierten Presse am Vorabend des XI. und letzten SED-Parteitags kein Wort zu finden. Überschwänglich wurde das Monument als beeindruckend in seiner klaren Gliederung gelobt, und es war von einer spannungsvoll geführten, schnörkellosen Kontur die Rede. Allerdings blieb es nicht bei de Bronzegruppe mit dem Palast der Republik im Rücken. Es kamen noch acht von Margret Midell gestaltete Stelen aus Stahl mit einmontierten Fotos zum Thema "Kampf für den Frieden und den Sieg des Sozialismus" sowie marmorne Reliefs des Bildhauers Werner Stötzer hinzu, die das "kraftvoll gestaltete Plastik-Monument" inhaltlich ergänzen, wie das Zentralorgan des ZK der SED damals schrieb. Dessen gestelzte Interpretation des gesamten Denkmalensembles liest sich so: "Es entspricht dem weit in die Geschichte zurückgreifenden Anspruch dieser Arbeit, dass sie symbolhaft das sich langsam formende Bild vom Menschen zur Anschauung bringt. Der weitgehend nur grob zugehauene Stein verweist schon in der künstlerischen Sprache gleichnishaft auf jenes mühevolle Menschwerden, auf jenes Profilgewinnen des Menschen im Prozess seiner historischen Selbstverwirklichung, von dem Marx und Engels in ihren Werken schrieben". Dass Ludwig Engelhardts Werk von den SED-Oberen trotz solcher Elogen wenig geschätzt wurde, geht aus der Tatsache hervor, dass an solchen Erinnerungsorten die sonst üblichen Kundgebungen und Vereidigungen unterblieben. Das ebenfalls 1986 enthüllte Thälmann-Denkmal im Bezirk Prenzlauer Berg, ein Werk des sowjetischen Bildhauers Lew Kerbel, stand als Kulisse für solche Feierlichkeiten weitaus höher im Kurs.

Zersägt, umgesetzt und neu aufgestellt

Umfragen aus den frühen Jahren des vereinten Deutschland ergaben, dass nur ein Viertel der bisherigen DDR-Bewohner für den Abriss des Marx-Engels-Denkmals war. Daran hat wohl auch niemand ernsthaft gedacht, und so überlebte es als schwergewichtiges Zeugnis aus einer untergegangenen Epoche. Marx und Engels hatten mehr Glück als Wladimir Iljitsch Lenin, dessen monumentales Granitdenkmal auf dem Leninplatz im Berliner Bezirk Friedrichshain abgebaut wurde. Zumindest der monumentale Kopf des Gründers des Sowjetstaates ist im neuen Skulpturenmuseum auf der Spandauer Zitadelle mit weiteren Denkmälern zu sehen (siehe Beitrag auf dieser Internetseite).

Bleibt noch anzumerken, dass das Denkmal ursprünglich auf dem Marx-Engels-Platz, dem heutigen Schlossplatz zwischen Staatsratsgebäude und dem inzwischen verschwundenen Palast der Republik, inmitten einer Grünanlage aufgestellt werden sollte. Doch da dieser Raum ein wichtiger Aufmarschplatz war und zudem noch als Parkplatz von Palast- und Berlinbesuchern genutzt wurde, schien es den "führenden Genossen" nicht opportun, die Gruppe dort aufzustellen. Sie hätten außerdem von der Tribüne des Palasts der Republik auf das Monument blicken müssen und wären vielleicht gewahr geworden, wie klein und hässlich sie im Vergleich zu den "Klassikern" sind. Man wählte daher einen Freiraum auf der anderen Seite der Spree, und so kam es, dass man immer dann, wenn man Marx und Engels fotografieren wollte, auch die Spreeseite von "Erichs Lampenladen" im Objektiv hatte. Aus den frühen Nachwendejahren wird manchen Betrachtern noch eine aufgesprühte Sockelinschrift in Erinnerung sein. Sie legt Marx und Engels das Bekenntnis in den Mund, dass sie das, was in der DDR-Zeit aus ihrer Lehre gemacht wurde, nicht gewollt hätten.

Im September 2010 wurde das Doppelstandbild mit Metallsägen zerlegt. Ein Kran nahm die Einzelteile an den Haken und hob sie auf einen Tieflader, der zum neuen Standplatz an der Spree fuhr. Abbau und Umsetzung des Bronzedenkmals und der ergänzenden Skulpturen waren nötig, weil das kreisförmig angelegte Marx-Engels-Forum für die neue U-Bahn-Linie 5 als Bauplatz benötigt wurde. Da auf dem neuen Standort nicht viel Raum zur Verfügung steht, wurden das Marx-Engels-Denkmal und die flankierenden Elemente dicht aneinander gerückt, was ihrer Wirkung nicht gut tut. Außerdem beeinträchtigt das dichte Laub der umstehenden Bäume die Sicht auf das Ensemble. In Richtung Westen direkt auf das Humboldt Forum blickend, werden die Autoren des "Kommunistischen Manifests" und weiterer Grundsatzschriften des Sozialismus und Kommunismus weiterhin ein beliebtes Fotomotiv sein. Das Monument bleibt den Berlinern und Besuchern der Stadt als eine Art Glückbringer erhalten. Angeblich verspricht das Blankscheuern der Bronze einen gute, erfolgreiche Zeit.

Ab zum Friedhof Friedrichsfelde?

Der Berliner Senat hat vor einigen Jahren Wünschen des damaligen Bundesbauministers Peter Raumsauer (CSU) eine Absage erteilt, das Denkmal aus der Mitte der Stadt hinaus auf den Zentralfriedhof in Friedrichsfelde abzuschieben, so als ob man einen Gegenstand auf eine Resterampe stellt. Kulturstaatssekretär André Schmitz stimmte einerseits den Plänen des Ministers zu, die untergegangene Berliner Altstadt in modernen Bauformen möglichst auf den Konturen des historischen Stadtgrundrisses neu erstehen zu lassen. Andererseits aber könne die Vergangenheit nicht dadurch entsorgt werden, "dass wir geschichtsvergessen als erstes das Marx-Engels-Denkmal abräumen", so Schmitz. Auch wenn es richtig sei, dass auf der Freifläche zwischen dem Humboldt Forum, also dem wieder aufzubauenden Stadtschloss, und dem Fernsehturm ein urbaner Innenstadtraum neu entstehen soll, habe hier das seinerzeit mit großem Tamtam enthüllte Bronzedenkmal als Zeugnis einer ganz bestimmten Geschichtsepoche einen würdigen Platz gefunden, und daran sollte sich auch nichts ändern. Eine Auslagerung auf den Zentralfriedhof Friedrichsfelde könne nicht die richtige Antwort auf die Neugestaltung der historischen Mitte sein.

(11. Mai 2016)

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