Schmetternde Musik vom Automaten
Im Märkischen Museum am Köllnischen Park bekommt man jeden Sonntag um 15 Uhr ordentlich eins auf die Ohren



Interessante Zeugnisse der Kultur- und Technikgeschichte können im Musiksaal des
Märkischen Museum besichtigt und gehört werden.




Aus der Kaiserzeit stammt der musikalische Feuerwehrmann. Wenn man
einen Groschen in den Automaten steckte, fing er zu spielen an.





Das über einhundert Jahre alte Märkische Museum am Köllnischen Park 
ist ein von Stadtbaurat Ludwig Hoffmann gestaltetes Konglomerat
unterschiedlicher Baustile und jederzeit einen Besuch wert. (Fotos: Caspar)

Das Märkische Museum ist seit über einhundert Jahren am Köllnischen Park in Berlin-Mitte in einem Bauwerk zuhause, das der Berliner Stadtbaurat Ludwig Hoffmann als Konglomerat von märkischen Bauten der Gotik und Renaissance gestaltet hat. Die Ausstellung reicht mit archäologischen Ausgrabungsstücken von der frühesten menschlichen Besiedlung bis an die Gegenwart, zeigt Gemälde, Skulpturen, Dokumente, Fotografien, Möbel sowie Hausrat und andere Dinge aus dem Alltag, darunter befinden sich auch mechanische Musikinstrumente. Jeden Sonntag um 15 Uhr kann man in einem besonderen Saal bei einer öffentlichen Führung zuhören, wie man in der Kaiserzeit Musik gemacht hat. Vorgestellt werden mit schmetternden, schnarrenden, manchmal auch leise flötenden Tönen kostbare Automatophone wie Spieluhren, Drehorgeln, Orchestrien und Grammophone. Sie stellen einen besonderen Schatz des seit 1995 zur Stiftung Stadtmuseum gehörenden Märkischen Museums dar und erfreuen sich beim Publikum großer Beliebtheit. Das Märkische Museum verspricht musikalischen Genuss, wenn wie zu Uromas Zeiten Pianola, Orchestrien, Grammophone sowie automatische Klaviere und andere Instrumente erklingen.

Berlin war um 1900 ein weltweit bekanntes Zentrum der Musikautomaten-Fabrikation. An der Schönhauser Allee hatten sich die Firmen Frati & Co. sowie Cocchi, Bacigalupo & Graffigna und andere Italiener angesiedelt und mechanische Musikinstrumente in großen Stückzahlen hergestellt. Alte Werbeprospekte zeigen, wie diese Geräte, die bis in die USA geliefert wurden und die Fabrikanten zu wohlhabenden Leuten machten, aussahen. Das Märkische Museum erwarb schon frühzeitig solche Musikautomaten als Zeugnisse der Berlin-Geschichte, der Kulturgeschichte und der Volkskunst. Ab und zu kommen auch heute weitere Exponate hinzu, etwa alte Papiernotenrollen und Schellack-Platten mit Aufnahmen berühmter Orchester sowie von Sängerinnen und Sängern. Ausgestattet mit Walzen, gelochten Papierbändern beziehungsweise Scheiben aus Pappe oder Metall und versehen mit mechanischen oder pneumatischen Steuerungen, erlaubten die Automaten auch Laien, zuhause Musik zu machen. Man musste nicht erst Unterricht nehmen, denn die Instrumente waren leicht bedienen und jederzeit verfügbar.

Das Museum verfügt über ein breites Repertoire, das von der großen Oper und Operette über Volkslieder, Militärmärsche, Tanzmusik und Schlager bis zu Weihnachtsliedern und Nationalhymnen verschiedener Länder reicht. Es kann jederzeit demonstrieren, wie man vor hundert Jahren die Besucher am heimischen Herd, aber auch bei Volksfesten, auf Rummelplätzen oder in Tanzpalästen unterhielt. Bunt bemalte Drehorgeln, von denen das Märkische Museum einige interessante Exemplare besitzt, erklangen auf Berliner Straßen und Plätzen und in Hinterhöfen, wie durch alte Fotografien, aber auch Zeichnungen von Heinrich Zille überliefert ist. Dienten solche Drehorgeln vor allem der Volksbelustigung oder in seltenen Fällen dem Amüsement "besserer Kreise", so standen kostbare Flötenuhren und raffiniert konstruierte Zeitmesser mit Glockenspielen in vornehmen Haushalten. Eine solche Berliner Flötenuhr mit astronomischem Werk aus der Zeit um 1810 gehört zu den besonders wertvollen Exponaten der Ausstellung und wird ebenfalls von Zeit zu Zeit zum Klingen gebracht. Und dann gibt es noch verschiedene Grammophone mit großen Schalltrichtern, aber auch Geräte, die mit dem zeittypischen Rauschen und Knacken Hartgusswalzen alle möglichen Töne und sogar ein wenig zittrig erklingende menschliche Stimmen entlocken.

Bei Scheiben aus Pappe oder bei Notenrollen aus Papier lassen kleine Löcher gerade einmal so viel Luft hindurch, dass über einen besonderen Mechanismus Töne erzeugt werden können. Beim Pianola, das in vielen bürgerlichen Haushalten stand und äußerlich einem Klavier ähnelte, wurden und werden auch heute bei Vorführungen Tasten angeschlagen. In der zeitgenössischen Werbung für dieses durch Marlene Dietrich und den Film "Der blaue Engel" berühmt gewordene Instrument heißt es, dass feinste Nuancen, ja selbst die jedem Künstler eigenen Anschlagtechniken "genau dem Originalspiel entsprechend absolut selbsttätig zu Gehör gebracht" werden. Die kostbaren Gehäuse der Musikinstrumente unterstreichen die Wertschätzung, die man diesen klingenden Wunderwerken der Technik entgegen brachte. Erst der Siegeszug des Radios in den 1920-er Jahren ließ das Interesse an den Musikautomaten schwinden.

Das auffälligste Instrument im Musiksaal des Märkischen Museums ist ein Orchestrion, das um 1891 wahrscheinlich von der Berliner Firma Cocchi, Bacigalupo & Graffigna in der Schönhauser Allee 78 gebaut wurde und bis 1960 im Lokal "Genua" in der Schönhauser Allee 51 stand und spielte. Mit Hilfe von Blasebälgen und gelochten Papierrollen wurden hinter einer bunt bemalten, reich geschnitzten Vorderfront sage und schreibe 28 Instrumente zum Klingen gebracht. Wenn man genau hinhört, kann man Violinen, Celli, Klarinetten, Flöten und diverse Schlaginstrumente unterscheiden. Das "Fratihymnia" genannte Orchestrion ersetzte ein ganzes Salonorchester und war zu jeder Tages- und Nachtzeit einsatzbereit. Seit 1962 im Besitz des Märkischen Museums, ist es das einzige weltweit noch im Originalzustand erhaltene Instrument dieser Bauart.

Als im Jahr 1900 Vertreter des Vereins Brandenburgia die Firma Bacigalupo besuchte, sagte der Stadtrat und Jurist Ernst Friedel, einer der Gründer des Märkischen Provinzialmuseums, selbstredend sei die mechanische Musik keine Kunstmusik, so wie die Reproduktion eines Ölgemäldes das Original nicht ersetzt. Dennoch wirke sich gute mechanische Musik veredelnder auf das Volk aus als die elenden Gassenhauer trunksüchtiger Bierfiedler. Wenn, wie es Freunden des Märkischen Provinzial-Museums bei ihren Wanderschaften auf dem Lande wiederholt passiert ist, in kleinen Dorfwirtshäusern Musikwerke gehört wurden, welche Choräle, gute Volkslieder, klassische Opernmusik usw. spielten, so könne sich der Musikfreund darüber nur freuen, und auch in diesem Sinne sei der Familie Bacigalupo auch fernerhin nur Erfolg wünschen. Die Firma existierte bis 1978 und war zum Schluss mit Reparaturarbeiten befasst. Das Märkische Museum darf stolz sein, einige Meisterwerke aus dieser Fabrik zu besitzen und vorspielen zu können.

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