SED-Chef wollte Ruine abreißen lassen

Die wieder aufgebaute Nikolaikirche im gleichnamigen Vierteil erhielt 1987 ihre Turmspitzen zurück und wird seither als Stadtmuseum genutzt



Die spitzen Türme der in den 1980-er Jahren wiederaufgebauten Nikolaikirche
bestimmen unübersehbar die Silhouette der Berliner Innenstadt.




Das Kirchenschiff mit den spitzbogigen Gewölben wird von der
Stiftung Stadtmuseum für eine Ausstellung zur Geschichte Berlins genutzt.




Vom Schlossbaumeister und Bildhauer Andreas Schlüter
geschaffen, erinnert das Grabmal an den 1701 verstorbenen
Goldschmied Daniel Männlich und seine Frau.




Das mittelalterliche Stadtsiegel schmückt, in Bronze gegossen, den
Platz vor der Nikolaikirche, in deren Umgebung einige
historische Skulpturen neu aufgestellt wurden. (Fotos: Caspar)

Dem nach der Nikolaikirche benannten Viertel im Herzen Berlins sieht man nicht an, dass es erst in den 1980-er Jahren als Mischung von Gebäuden, die mehr oder wenig beschädigt den Zweiten Weltkrieg überstanden hatten, und von Neubauten aus dem Boden gestampft wurde. Eingeweiht wurde es 1987 zur Siebenhundertfünfzigjahrfeier Berlins. Der damalige SED-Generalssekretär und Staatsratsvorsitzende der DDR Erich Honecker und die ostdeutschen Medien lobten unisono die Leistungen der Bauarbeiter und Architekten, die Altes und Neues harmonisch miteinander verbunden haben, sowie die Staatspartei und ihren Generalsekretär, die das alles möglicht ermöglicht hätten. Schaut man genau hin, dann stehen echte neben nachgemachten Altbauten sowie Plattenbauten, denen man Giebel nach Art norddeutscher Backsteinhäuser verpasst hatte.

Die Stiftung Stadtmuseum nutzt die im frühen 13. Jahrhundert begonnene und danach immer wieder umgebaute und erweiterte Nikolaikirche als Dependance des Märkischen Museums für ihre von den Anfängen bis zur Barockzeit reichende Stadtgeschichtsausstellung. Als Gotteshaus und Begräbnisort des Adels und der gehobenen Bürgerschaft hatte die Nikolaikirche große regionale und überregionale Bedeutung. An ihr predigte im 17. Jahrhundert der bekannte Theologe und Dichter geistlicher Lieder Paul Gerhardt (1622-1676). Die Amtseinführung der nach einer neuen Städteordnung gewählten Stadtverordnetenversammlung am 6. Juli 1809 ließ die Kirche zu einem Ort der Demokratie im feudal geprägten Preußen und zu einem Symbol freiheitlichen Denkens werden, was sie uns doppelt wertvoll macht und auf einer Gedenktafel im Eingangsbereich lobend erwähnt wird.

Nur Experten wissen, dass die im Zweiten Weltkrieg bis auf die Umfassungsmauern zerstörte Nikolaikirche, die seit 1938 in staatlichem Besitz ist und seither keinen Gottesdienst mehr sah, eigentlich gar nicht mehr existieren dürfte. Die mächtige Ruine störte in DDR-Zeiten die Partei- und Staatsführung und sollte abgerissen werden. Das Areal sollte in einen Gondelteich verwandelt werden, und auf dem früheren Schlossplatz in der Nähe wollte man nach Moskauer Vorbild ein riesiges Haus der Kultur und des Volkes errichten. Vor allem der damalige SED-Bezirkschef Paul Verner machte sich für die Beseitigung der selbst noch in ihrem torsohaften Zustand ohne die spitzen Türme eindrucksvollen Nikolaikirche stark. Zum Glück besannen sich die DDR-Oberen eines Besseren und reservierten das Areal für einen noch zu schaffenden "politisch-kulturellen Bereich".

Bis in die 1980-er Jahre hinein standen von der Nikolaikirche nur die Umfassungsmauern, im Inneren hatte sich inzwischen wilde Vegetation gebildet. Um sie herum hatten nur wenige Häuser den Krieg überstanden. Mit Blick auf die Feierlichkeiten von 1987 wurde das Nikolaiviertel vom Trümmerschutt beräumt, um hier Alt und Neu harmonisch zu verbinden, wie es in einer denkmalpflegerischen Zielstellung von 1982 heißt. Es ergebe sich die Möglichkeit, "in diesem Bereich stadtbekannte Bauten und Bildkunst mit besonderem Erinnerungswert wiedererstehen zu lassen", und diese Chance hat man dann auch genutzt. Der Wiederaufbau der Nikolaikirche stand unter hohem Zeitdruck, denn er sollte zum Stadtjubiläum abgeschlossen sein. Die Verwendung von unzureichendem Baumaterial mag zu Schäden geführt haben, die in den vergangenen Jahren mit einem Millionenaufwand behoben wurden und zur zeitweiligen Schließung der in ein Museum verwandelten Nikolaikirche führten.

Die Ursprünge der Nikolaikirche reichen in das frühe 13. Jahrhundert, die Gründungszeit Berlins, zurück. Propst Symeon, der 1237 und 1244 in Urkunden zum erstenmal Urkunden mit seinem Namen und Hinweisen auf die Schwesterstädte Cölln und Berlin unterzeichnete, predigte in der Nikolaikirche, deren um 1230 aus Granitquadern gebildeter Westbau aus der Frühzeit der Stadt stammt. Wenn man alte Darstellungen betrachtet, sieht man, dass die Nikolaikirche über Jahrhunderte nur einen Turm besaß, während ein bescheidener Dachreiter die Stelle des anderen einnahm. Im Zuge einer umfassenden Erneuerung der Nikolaikirche hat der damalige Stadtbaumeister Hermann Blankenstein um 1876 auf den Turmunterbau zwei schlanke Spitzen setzen lassen. Die Turmspitzen, die die Nikolaikirche heute schmücken, sind denen von Blankenstein nachempfunden.

Beim Wiederaufbau der Nikolaikirche stellte die Schaffung der Kreuzgewölbe eine große Herausforderung dar. Sie wurden nach alter Handwerkerkunst Ziegel für Ziegel ohne technische Hilfsmittel gemauert, wenn man von den elektrischen Aufzügen absieht. Bei der Ausgestaltung der Gewölbe über der eindrucksvollen Hallenkirche und der Seitenkapellen entschloss sich das damalige Institut für Denkmalpflege der DDR zu ungewohnt bunten Farben, über die seinerzeit gestritten wurde. Doch konnten Restauratoren den Nachweis erbringen, dass die roten, grünen, blauen, gelben und schwarzen Fassungen authentisch sind. Aufmerksamkeit verdienen die in Seitenkapellen stehenden beziehungsweise an den Pfeilern hängenden Epitaphien aus Stein oder Holz, die die Kirche zu einem Pantheon der Berliner Geschichte und ihrer führenden Familien machen. Unter den besonders wertvollen Kunstwerken befinden sich reich figurierte Grabplatten aus der Renaissance- und Barockzeit sowie das mit einem vergoldeten Doppelbildnis und der Figur des Todes geschmückte Grabmal des kurfürstlichen Goldschmieds Daniel Männlich, eines der wenigen Werke, das der Hofbildhauer Andreas Schlüter für Vertreter des Berliner Bürgertums geschaffen hat.

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