"Nun danket alle Gott / Mit Herzen Mund und Händen"
Das wiederhergestellte Glockenspiel der Berliner Parochialkirche wurde mit Gebeten und Chorälen feierlich eingeweiht





Die barocke Parochialkirche in der Klosterstraße hat ihren 30 Meter
hohen Turm samt Glockenspiel zurückbekommen.



Die lateinische Inschrift über dem schlichten Portal nennt das Jahr 1715
als dasjenige, in dem das Gotteshaus vollendet wurde.




Im Turmbereich erinnern barocke Epitaphien an bedeutende Vertreter des
vornehmen Berlin, die in der Parochialkirche ihre letzte Ruhe fanden.




Lange musste die Kirche ohne ihren schlanken Turm auskommen. Der Wiederaufbau
konnte dank bürgerschaftlichen Engagements glücklich beendet werden. (Fotos: Caspar)

Der von Freunden historischer Bauten und Monumente gebildete Verein Denkmal an Berlin e. V. hat seinen Plan wahr gemacht, der barocken Parochialkirche im Berliner Klosterviertel, nur eine U-Bahnstation vom Alexanderplatz entfernt, den spitzen Turm und das Glockenspiel zurückzugeben. Mit einem Gottesdienst und einem Konzert wurde das nach alten Plänen rekonstruierte und um ein paar Glöckchen ergänzte Carillon am Sonntag, dem 23. Oktober 2016, bei bestem Sonnenwetter feierlich eingeweiht. Zur großen Freude der Kirchgemeinde und des Vorsitzenden des Fördervereins Hans Wall waren zahllose Schaulustige gekommen, um dem Carilloneur Wilhelm Ritter aus Kassel zuzuhören, gemeinsam den Choral "Nun danket alle Gott / Mit Herzen, Mund und Händen. / Der große Dinge tut / an uns und allen Enden" und weitere Kirchenlieder zu singen sowie ein Dankgebet zu sprechen. Das Konzert, bei dem hunderte Blicke nach oben zum Turm mit den großen und kleinen Glocken gingen, begann mit dem Lied "Der Mond ist aufgegangen" von Matthias Claudius. Es war das letzte, das vor der Zerstörung erklang, und es gab Zuhörer, die sagten, der Klang der Glocken habe sogar noch die Bombengeschwader von damals übertönt, wenigstens aber habe man ihn noch im Prenzlauer Berg gehört. Das könnte sogar stimmen. Auch wenn man weiter weg von der Kirche entfernt ist, kann man die Glocken noch vernehmen, ja der helle und der dunkle Klang durchdringt sogar heutigen Großstadtverkehr

Nachdem am 24. Mai 1944 das Glockenspiel samt Turm durch einem Bombentreffer in sich zusammengefallen war, erklingt nun wieder von der unter den Preußenkönigen Friedrich I. und Friedrich Wilhelm I. erbauten Parochialkirche Glockenklänge, und sie wurden in der Feierstunde mit großem Beifall aufgenommen. Hans Wall, der überall in Berlin und außerhalb der Stadt Toilettenhäuschen unterhält und auch Plakatwände installiert hat, hatte bei einem Spaziergang erkannt, dass die Klosterstraße und die Kirche ohne den Turm unfertig sind. Der durch ihn, die Stiftung Klassenlotterie, die Deutsche Stiftung Denkmalschutz sowie unzählige private Spender finanzierte Turmbau war für Wall das schönste Projekt, das er jemals in seinem Leben angepackt hat. Der Stadtmöblierer trat in die Fußstapfen der Hohenzollern, die der reformierten Parochialgemeinde ein Glockenspiel schenkten. Die Berliner pilgerten seither zur "Singuhrkirche", deren Geläut sogar im Rundfunk übertragen wurde, und sie werden in Scharen kommen, ist Wall überzeugt.

Die im Zweiten Weltkrieg bis auf die Umfassungsmauern ausgebrannte Kirchenruine war nach 1945 zunächst nur gesichert worden und hatte ein provisorisches Dach bekommen. Zwar besaß die DDR-Denkmalpflege alle notwendigen Baupläne und Fotografien für die Rekonstruktion des zeitweilig als Möbellager zweckentfremdeten Gotteshauses, und sie hätte ihm liebend gern seine Spitze samt Glockenspiel zurückgegeben. Doch wurde dieses Vorhaben immer wieder verschoben, weil es andere Prioritäten gab. Die Mittel reichten einfach nicht aus, den 30 Meter hohen, die Silhouette der Berliner Innenstadt prägenden Turm mit seiner Verkleidung aus rotglänzendem Kupferblech zu rekonstruieren. Der Plan konnte erst nach der Wiedervereinigung in Angriff genommen werden.

Die vom Architekten Jochen Langeheinecke geleitete Rekonstruktion des Kirchturms wird von Kennern als Startschuss für die Wiedergewinnung von Berlins historischer Mitte bezeichnet. Nach und nach mausert sich die Gegend zu einem touristischen Zugpferd ersten Ranges. Wie aus dem Landesdenkmalamt zu hören ist, ist die Wiederherstellung der barocken Parochialkirche für die Revitalisierung der Berliner Altstadt von großer Bedeutung.

Bestimmt war die nach Plänen der Architekten Johann Arnold Nering und nach seinem Tod von Martin Grünberg erbaute Parochialkirche zu Beginn des 18. Jahrhunderts für die Mitglieder der reformierten Gemeinde der kurfürstlichen und königlichen Haupt- und Residenzstadt Berlin. Bedeutende Vertreter der Politik, des Militärs sowie von Kunst, Kultur- und Wissenschaft gehörten ihr an, manche sind in der Gruft unter dem riesigen Gottesdienstraum bestattet. Da die Gläubigen in der Domkirche keinen Platz mehr fanden, benötigten sie ein eigenes Gotteshaus. Kollekten und ein bedeutendes Talergeschenk des Kurfürsten Friedrich III., ab 1701 König Friedrich I. in Preußen, beförderten den Bau, heißt es in einem Berlin-Lexikon aus dem Jahr 1834. Doch war seine Errichtung mit Komplikationen verbunden. Denn kaum waren die Mauern in die Höhe gezogen, stürzten sie wegen des unsicheren, sumpfigen Untergrundes ein und erlitten das gleiche Schicksal anderer Bauprojekte in Berlin. Der 1706 der von Andreas Schlüter errichtete Münzturm neben dem Stadtschloss musste aus dem gleichen Grund aufgegeben werden.

Die Weihe der Parochialkirche 1703 in Gegenwart der Königsfamilie erfolgte noch ohne Turm, 1715 war er aufgesetzt. 1713 hatte es einen Thronwechsel gegeben, und der neue Herrscher, der Soldatenkönig Friedrich Wilhelm I., "schmückte diesen Thurm mit dem Glockenspiele, welches im Munde des Volkes unter dem Namen Singeuhr bekannt ist", fährt das erwähnte Lexikon fort. Das Glockenspiel, ein Geschenk des neuen gottesfürchtigen Königs, war am 1. Januar 1715 zum erstenmal zu hören. Gefertigt von holländischen Gießern, bestand es aus 37 Glocken und war ursprünglich für Schlüters Münzturm bestimmt. Nachdem dieser eingestürzt war, hatte man für das Carillon zunächst keine Verwendung und fand dann eine neue Verwendung. Nach dem Einbau in den Turm der Parochialkirche wurde es bei feierlichen Gelegenheiten vom Organisten angeschlagen, hingegen übernahm die Arbeit an gewöhnlichen Tagen ein Uhrwerk. Da sich schon bald herausstellt, dass das Glockenspiel nicht wie gewünscht klingt, wurde bei Amsterdamer Gießern ein neues Werk in Auftrag gegeben, das im November 1717 erstmals zu allgemeiner Zufriedenheit erklang. Alle sieben Minuten erklang ein kurzes Zeitsignal, und zur Viertelstunde konnte man eine kurze Melodie hören. Nach jeweils einer halben und einer ganzen Stunde erklangen ein kurzer und ein längerer Choral.

Die mit 120 historischen Särgen belegte Gruft stellt eine Besonderheit in der hauptstädtischen Friedhofslandschaft dar. Hier fand die Crème des barocken Berlin ihre letzte Ruhe - Minister, Generale, reiche Bürger. Die Wiederherstellung der Parochialkirche ist also auch eine Hommage an Persönlichkeiten, die Brandenburg und Preußen ihren Stempel aufgedrückt haben. Wie alten Berichten zu entnehmen ist, sorgte schon früher eine günstige Luftzirkulation in dem Totengewölbe unter der Kirche, "dass die Leichen fast gänzlich oder wenigstens sehr lange der Verwesung Trotz bieten". An Tagen des offenen Denkmals und anderen Gelegenheiten wird die Gruft für Besucher geöffnet, und dann kann man einen Blick in kleine Seitenräume auf die zum Teil recht gut erhaltenen Sarkophage aus der Barockzeit tun. Gleich am Eingang zum Gottesdienstraum lassen barocke Epitaphe erkennen, dass hochangesehene Personen in der Parochialkirche ihre letzte Ruhe fanden. Der kleine Friedhof um das Gotteshaus ist mit restaurierten Grabkreuzen aus Eisenkunstguss und reich dekorierten Grabplatten geschmückt.

23. Oktober 2016



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