"Wer RIAS hört ist geistesgestört"
Der Rundfunk im Amerikanischen Sektor brachte Ulbricht & Co. in Rage und brachte die DDR-Gerichte auf den Plan







Das Alliiertenmuseum an der Clay-Allee in Berlin-Dahlem erinnert ehrenvoll mit
dem Nachbau eines Sendestudios an den RIAS. Mit solchen im gleichen Museum
gezeigten Flugblättern wurde im geteilten Berlin für den neuen Sender geworben.




Das DDR-Pamphlet warnt vor Zacharias, der mit der Brandfackel einen Volkseigenen
Betrieb anzünden möchte. Wer sich mit dem RIAS verbündet, "wird von uns ganz schnell
verknackt", lautet die Lehre der Geschichte. Rechts unten erkennt man den Regierenden
Bürgermeister und späteren Bundeskanzler Willy Brandt als denjenigen,
der Zacharias zu seinem Anschlag treibt.




Die Stasi hielt stapelweise die an Westberliner Deckadressen geschickten Briefe aus
der DDR mit Musikwünschen und Antworten auf Ratesendungen fest und ging gegen
die Absender vor, sofern sie namhaft gemacht werden konnten. Exponat im Stasimuseum
an der Ruschestraße in Berlin-Lichtenberg. (Fotos/Repros: Caspar)

RIAS war die Abkürzung für den in West-Berlin stationierten Rundfunk im Amerikanischen Sektor. Diese "Freie Stimme der freien Welt", wie sich der weit in die DDR hineinreichende Sender definierte, war für die ostdeutschen Kommunisten ein besonderes Hassobjekt. Auf seine, wie es hieß, imperialistische Wühltätigkeit wurde der Volksaufstand vom 17. Juni 1953 zurückgeführt, ihm wurden Attentate, Sabotageakte und die Fluchtbewegung von Ost nach West zu Last gelegt. In Schauprozessen und der täglichen Propaganda wurden dem Sender und seiner Berichterstattung Horrorgeschichten bis hin zu politischen Morden sowie ideologische Unterwanderung angehängt. Nach dem Bau der Mauer am 13. August 1961 konnte die DDR-Propaganda triumphierend feststellen:"Wer RIAS hört ist geistesgestört" und "Am 13. gab's roten Pfeffer / für Brandts Agenten und RIAS-Kläffer".

Mit seinen vielseitigen Programmen war der RIAS in der DDR ein stark nachgefragter Sender, gegen den die ideologisch ausgerichtete Berichterstattung des ostdeutschen Rundfunks und sein ödes Musikangebot nicht ankamen. Schwerpunkte der RIAS-Berichterstattung waren neben Ereignissen in der Viersektorenstadt Berlin nach dem Motto "Wo uns der Schuh drückt" sowie, auf die DDR zielend, die Reihe "Aus der Zone für die Zone". Beliebt waren Kabarettsendungen wie "Der Insulaner", aber auch die anspruchsvolle "Stimme der Kritik" des Theaterspezialisten Friedrich Luft. Vor allem an junge Hörer richteten sich die "Schlager der Woche" und ähnliche Sendungen, bei denen echte oder fingierte Grüße von Hören beiderseits der Grenzen verlesen wurden. Beliebt bei den Kindern war stets am Sonntag "Onkel Tobias", und wer sich für "15 Minuten Geschichte" interessierte, bekam regelmäßig beim RIAS vielfältige Informationen, ebenfalls im Schulfunk.

Nach dem Mauerbau 1961 überwand der RIAS die Trennung mit seiner sonntäglichen Grußsendung "Musik kennt keine Grenzen". Großen Zuspruchs erfreuten sich trotz massiver Verbote und Behinderungen im Osten auch die von Hans Rosenthal moderierten Rätselsendungen sowie zahlreiche Hörspiel- und Krimireihen aus dem alten und neuen Berlin wie "Damals war's" oder "Es geschah in Berlin". Am 22. August 1988 startete der Sender sein Fernsehprogramm RIAS-TV, und er führte das "Frühstücksfernsehen" ein. Nach der Wiedervereinigung 1990 war das Fortbestehen des RIAS ungewiss, er wurde 1992 von der Deutschen Welle übernommen und besteht als Sender rs2 fort.

Der Insulaner verlieret die Ruhe nicht

Unter dem Namen Insulaner trat ein Kabarett auf, dessen Vorstellungen einmal im Monat vom RIAS übertragen wurden und sich auf diesem Weg sehr schnell die Herzen von Millionen eroberten. Das von Günter Neumann komponierte Erkennungslied mit der Zeile "Der Insulaner verliert die Ruhe nicht, / der Insulaner liebt keen Jetue nicht" war in aller Munde. Selbstverständlich konnte man die Sendung im Westen ohne Angst hören. Im Osten war dies mit Hindernissen verbunden und stand unter schwerer Strafe, denn die "Insulaner" und andere Sendungen machten sich nicht nur über lokale Themen wie Versorgungsprobleme, Korruption und Vetternwirtschaft im Westteil der Stadt her, sondern nahmen auch die Kommunisten im Ostsektor aufs Korn und brachten diese zur Weißglut. Vor allem der als Spitzbart titulierte Walter Ulbricht war Ziel von Witzen in leicht sächselndem Ton. In imaginären Parteiversammlungen beantwortete "Professor Quatschnie" naive Fragen von jungen Genossinnen und Genossen und bediente sich dabei eines üblen Parteijargons, das direkt aus Parteitagssitzungen und Politbroschüren entnommen zu sein schien und die Zuhörer zum Rasen brachte. Nach dem Bau der Berliner Mauer 1961 kam Günter Neumann zu der Erkenntnis, dass die Zeiten viel zu ernst sind, als dass man sich über sie lustig machen sollte. Außerdem war es vielen Besuchern aus dem Ostteil der Stadt verwehrt, die Vorstellungen der "Insulaner" zu besuchen, weshalb die beliebte Sendung eingestellt wurde. In Erinnerung blieben die Melodie des populären Gassenhauers und seine Endzeile "Der Insulaner hofft unbeirrt, / dass seine Insel wieder 'n schönes Festland wird".

Vom 24. Oktober 1950 an wurde jeden Sonntag um 12 Uhr das Läuten der Freiheitsglocke vom Schöneberger Rathaus übertragen, verbunden mit einem Ausspruch des amerikanischen Präsidenten Abraham Lincoln "Ich glaube an die Unabhängigkeit und an die Würde jedes einzelnen Menschen. Ich glaube, dass alle Menschen von Gott das gleiche Recht auf Freiheit gegeben wurde. Ich verspreche, jeden Angriff auf die Freiheit und der Tyrannei Widerstand zu leisten, wo auch immer sie auftreten möge". Das dröhnende Läuten der Freiheitsglocke wurde auch in der DDR vernommen. Nur musste man sich hüten, dass Unbefugte mithören, um keine Anzeige bei der Polizei und/oder der Stasi zu riskieren.

Die SED und DDR-Regierung unternahm alles, um gegen den RIAS zu hetzen und durch Störsender unmöglich zu machen. Sprichwörtlich wurde die so genannte RIAS-Ente für angebliche Falschmeldungen, die der Sender in die Welt setzt, um der DDR zu schaden. In zahlreichen Strafprozessen der 1950-er Jahre wurde strafverschärfend gewertet, wenn jemand den verhassten "Ami-Sender" gehört oder gar mit ihm Kontakt aufgenommen hatte, etwa indem er ihm einen Musikwunsch übermittelte oder Hinweise über Missstände in der DDR gab. 1955 ordnete Stasi-Minister Erich Mielke die "Aktion Enten" an, um Leute aufzuspüren, die mit dem RIAS in Verbindung stehen, und sie vor Gericht zu stellen. Minister Mielke wollte nicht nur die "Agenturen des RIAS" zerschlagen und bestrafen, sondern durch politisch-operative Maßnahmen dem RIAS einen solchen Schlag zufügen, "der es möglich macht, diesen amerikanischen Sender vor dem gesamten deutschen Volk und der Weltöffentlichkeit als Spionagezentrale des amerikanischen Geheimdienstes zu entlarven."

Einer dieser Prozesse endete im gleichen Jahr mit hohen Haftstrafen und einem Todesurteil. Mit ihm wollte die Partei- und Staatsführung den DDR-Bewohnern signalisieren, dass sie beim Abhören von Feindsendern keinen Spaß versteht, ähnlich wie es schon die Nazis getan hatten, die so genannte Rundfunkverbrecher vor den Volksgerichtshof stellten und hinrichten ließ. Im so genannten RIAS-Prozess wurden den Angeklagten, dem Sender Informationen aus der DDR übermittelt zu haben. Bei dem 29 Jahre alten Ostberliner Dekorateur Joachim Wiebach verschärfte SED-Chef Walter Ulbricht in seiner Eigenschaft als Staatsratsvorsitzender die lebenslängliche Zuchthausstrafe aufgrund des Artikels 6 der DDR-Verfassung (Kriegs- und Boykotthetze) in ein Todesurteil, das am 13. September 1955 in Dresden mit dem Fallbeil vollstreckt wurde.

Wandel durch Annäherung

Übrigens war einer der wichtigsten Journalisten des RIAS, Egon Bahr, von 1950 bis 1960 Chefkommentator und Leiter des Bonner Büros des RIAS. Seine Sendungen wurden mit den Worten "Es spricht Egon Bahr aus Bon" angekündigt. Die Tätigkeit des SPD-Mitglieds beim "Feindsender" war Jahre später kein Hindernis, den zum Staatssekretär im Bundeskanzleramt ernannten Bahr in Moskau und Ostberlin respektvoll zu empfangen. Der "Architekt der Ostverträge" war einer der wichtigsten und einflussreichsten Berater von Bundeskanzler Willy Brandt und sein vielleicht engster Freund. 1963, zwei Jahre nach dem Bau der Mauer, sagte Bahr in einer Rede mit der Überschrift "Wandel durch Annäherung": "Die erste Folgerung, die sich aus einer Übertragung der Strategie des Friedens auf Deutschland ergibt, ist, dass die Politik des Alles oder Nichts ausscheidet. Entweder freie Wahlen oder gar nicht, entweder gesamtdeutsche Entscheidungsfreiheit oder ein hartes Nein, entweder Wahlen als erster Schritt oder Ablehnung, das alles ist nicht nur hoffnungslos antiquiert und unwirklich, sondern in einer Strategie des Friedens auch sinnlos. Heute ist klar, dass die Wiedervereinigung nicht ein einmaliger Akt ist, der durch einen historischen Beschluss an einem historischen Tag auf einer historischen Konferenz ins Werk gesetzt wird, sondern ein Prozess mit vielen Schritten und vielen Stationen." Als Bahr das sagte, herrschte Kalter Krieg, und die 1990 im Ergebnis der friedlichen Revolution in der DDR vollzogenen Wiedervereinigung war noch in weiter, sehr weiter Ferne.

21. September 2016



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