"In Rixdorf ist Musike"

Warum Menschen für ihre Gemeinden neue Namen wünschten und wie böhmische Glaubensflüchtlinge nahe Berlin heimisch wurden



Das überlebensgroße Bronzedenkmal auf dem Richardplatz ist das einzige
in Berlin erhaltene Erinnerungsmal an den Soldatenkönig. Das Relief zeigt die
Ankunft der böhmischen Flüchtlinge im Böhmisch Rixdorf im Jahr 1736.




Bis heute wird Jan Amos Comenius in Neukölln, dem ehemaligen
Böhmisch Rixdorf, verehrt. 1992 hat man ihm dort ein Bronzedenkmal gewidmet.




Wie es in der Kaiserzeit in einem Sommergarten vielleicht auch in Rixdorf
zuging, hat Heinrich Zille auf einer Zeichnung verewigt. (Fotos/Repro: Caspar)

Nicht allen Rixdorfern gefiel der Gassenhauer "In Rixdorf ist Musike", empfindliche Gemüter fühlten sich vor über hundert Jahren an ihrer Ehre gepackt und sorgten für einen neuen Namen dieses Ortsteils - Neukölln. In der ersten urkundlichen Erwähnung vom 26. Juni 1360 ist von einem Richardsdorp die Rede, in späteren Aufzeichnungen liest man Richardsdorf, Rieksdorf und Rixdorf. Nachdem Friedrich Wilhelm I. 1737 böhmischen Exilanten gestattet hatte, sich in Rixdorf anzusiedeln, ging es mit der Landgemeinde vor den Toren Berlins langsam aufwärts. Die wegen ihres Glaubens vertriebenen Menschen bauten eine Kirche und eine Schule und ließen ihre Toten auf einem eigenen Friedhof bestatten. Das von den Bewohnern selbst verwaltete Böhmische Dorf erhielt 1797 den Namen Böhmisch-Rixdorf. Daneben gab es Deutsch-Rixdorf, und beide Gemeinden wurden am 1. Januar 1874 als Einheitsgemeinde Rixdorf mit 8000 Einwohnern zusammengefasst und erhielten am 1. April 1899 das begehrte Stadtrecht. Dem Soldatenkönig wurde 1912 an der Kirchgasse ein von Alfred Reichel geschaffenes Bronzedenkmal gewidmet. Auf einem Sockelrelief wird die Ankunft der aus Böhmen geflohenen Menschen, auf einem weiteren eine Ansicht ihrer neuen Heimat dargestellt. Mit der Aufstellung des Denkmals 175 Jahre nach der Einwanderung und zeitgleich mit der Umbenennung von Rixdorf in Neukölln erwiesen die Nachkommen dem Soldatenkönig ihre Reverenz, der mit der Aufnahme von 350 Böhmen sowie von Salzburgern und anderen aus katholischen Ländern geflohenen Menschen die Einwanderungspolitik seines Großvaters, des Großen Kurfürsten Friedrich Wilhelm, fortsetzte. In Friedrichshagen wurde 1904 ein nach 1945 vernichtetes Standbild aus Bronze für den Gründer des Kolonistendorfes, König Friedrich II., aufgestellt. Ein Neuguss wurde 2003 zur 250-Jahrfeier der Ortsgründung wieder aufgestellt.

Rixdorf besaß in der Kaiserzeit einen zweifelhaften Ruf, der aber nicht besser oder schlechter war als der anderer Berliner Örtlichkeiten. Hier sei es hier besonders locker, ja frivol zugegangen, hieß es, und auch die Rixdorferinnen seien angeblich Avancen der aus Berlin kommenden Berliner "über Gebühr" aufgeschlossen gewesen. Zwar sang man "Uff den Sonntag freu ick mir. / Ja, denn jeht et 'raus zu ihr, / Feste mit verjnügtem Sinn, / Pferdebus nach Rixdorf hin! /Dort erwartet Rieke mir, / Ohne Rieke keen Pläsir! / In Rixdorf ist Musike, /Da tanz ick mit der Rieke, / In Rixdorf bei Berlin." Die Begeisterung für diese Art Werbung hielt sich bei den Rixdorfern allerdings in Grenzen. Sie wollten den alten Namen los werden und erreichten mit Zustimmung von Kaiser Wilhelm II. die Umbenennung in Neukölln als Hinweis auf Cölln, die Schwesterstadt von Berlin, deren Bewohner hier einige Ländereien besaßen. Der Stadtkreis Neukölln wurde 1920 mit den Dörfern Britz, Rudow und Buckow als 14. Verwaltungsbezirk Teil von Groß-Berlin und heißt seit 2001 Bezirk Neukölln.

Zwischen 1987 und 1992 wurde unweit des Böhmischen Dorfs in Neukölln der Comenius-Garten angelegt. Benannt nach dem Theologen und Lehrer Johann Amos Comenius (1597-1670), lehnt sich dieses Paradies an pädagogische und aufklärerische Vorstellungen des Universalgelehrten an. Der letzte Bischof der Böhmischen Brüdergemeinde forderte einen systematischen Unterricht in der Aufeinanderfolge von häuslicher Erziehung, Volksschule, Lateinschule und Universität. In seinen Schulen konnten Kinder unabhängig von Geschlecht und Herkunft lernen, wobei statt Latein die Muttersprache gesprochen und gelesen wurde. Obwohl schon einige Jahrzehnte tot, war Comenius für die in Rixdorf angesiedelten böhmischen Glaubensflüchtlinge ein geistlicher Vater und moralischer Halt. Überlebensgroß steht er etwas weiter in einem nach ihm benannten Garten gleichsam als fürsorglicher Vater. Die bronzene Skulptur, ein Werk des Bildhauer Josef Vajce, wurde 1992 zum 400. Geburtstag von Comenius vom damaligen Parlamentspräsidenten der Tschechischen und Slowakischen Republik, dem namhaften Reformpolitiker Alexander Dub?ek, als Geschenk seines Landes an die Bundesrepublik Deutschland eingeweiht. An Jan Amos Comenius, den die Tschechen Jan Amos Komenský nennen, erinnert überdies ein Granitfindling mit bronzener Bildnisplakette.

Auch die Bewohner des Ortsteils Dalldorf waren mit diesem Namen unzufrieden. Nachdem die Stadt Berlin ab 1880 in Dalldorf bei Berlin eine, wie man damals sagte, Irren- oder Idiotenanstalt für 1200 Patienten errichtet hatte, wurden die Dalldorfer sehr zu ihrem Ärger mit dieser Einrichtung in einen Topf geworfen. Die Bitte von Bürgermeister Paul Witte und einem Bürgerverein um Namensänderung hatte Erfolg. Wilhelm II. genehmigte 1905 den Namen Wittenau zum Gedächtnis an den drei Jahre zuvor verstorbenen langjährigen Amts- und Gemeindevorsteher. Die Krankenanstalt änderte ihren Namen erst in den 1920-er Jahren in Wittenauer Heilstätten um. Seit 1957 trägt sie den Namen des Berliner Psychiater Karl Bonhoeffer. Im Haus 10 auf dem Gelände der Nervenklinik wird an ein besonders dunkles Kapitel nationalsozialistischer Gesundheits- und Bevölkerungspolitik erinnert, die systematische Ermordung von Kranken, die man in der NS-Zeit als überflüssige Ballastexistenzen bezeichnete. In jeder großen Krankeneinrichtung von der Charité über Wittenau bis nach Buch und darüber hinaus im ganzen Deutschen Reich fanden so genannte Erbkranke, Epileptiker, Alkoholiker und einfach "Blöde" einen qualvollen Tod durch Hunger, Überdosen von Medikamenten, Giftspritzen oder Giftgase. Kaum einem der Mörder in den weißen Kitteln ist nach dem Ende des Hitlerstaates etwas geschehen. Unweit der Philharmonie im Bezirk Tiergarten wird an die Krankenmorde in der NS-Zeit erinnert. Die Aktion trug den Tarnnamen T 4 nach einer Villa mit der Adresse Tiergartenstraße 4, in der der Massenmord im persönlichen Auftrag von Hitler organisiert und überwacht wurde.

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