"Ruhe und Ordnung" in Hitlers Reich
Stolpersteine auf dem Alexanderplatz erinnern an so genannte Gemeinschaftsfremde und damit kaum bekannte Opfer des NS-Terrors



Die Stolpersteine auf dem Alexanderplatz erinnern an bisher unbeachtete Opfer
des NS-Terrors gegen Menschen, die nicht in das rassistische und völkische Bild
der Nazis passten.



Auf der Zeichnung ist dargestellt, wie Häftlinge des KZ Sachsenhausen Loren mit
schweren Steinladungen oder Erde schieben mussten. Viele erlagen dem Prinzip
"Vernichtung durch Arbeit".






Im Arbeitshaus Rummelsburg sind Häftlinge den Drangsalierungen ihrer Wärter
ausgesetzt. Die Zeichnung gehört zu der Anfang 2015 eingeweihten Gedenkstätte
auf dem früheren Gefängnisgeländes, das auch in DDR-Zeiten einen schlimmen Ruf hatte.




Im Herbst 1989 verbrachten in den düsteren Klinkerbauten zahlreiche von der
Volkspolizei und der Stasi bei Anti-Honecker-Demonstrationen "zugeführte"
Menschen qualvolle Stunden. Das gesamte Areal wurde in den vergangenen
Jahren in eine Wohnsiedlung umgewandelt. (Fotos: Caspar)

Auf Initiative des Historikers Michael Wildt und seiner Mitstreiter wurden auf dem Berliner Alexanderplatz sechs Stolpersteine verlegt. Von Gunter Demnig in den Boden zwischen Weltzeituhr und Alexanderhaus eingelassen, erinnern die Messingplatten an so genannte Gemeinschaftsfremde, Asoziale und Arbeitsscheue, an obdachlose und nichtsesshafte Männer, Frauen und Jugendlichen, die in NS-Konzentrationslager ums Leben kamen. Viele von der Straße weg verhafteten Menschen überlebten die ihnen dort zugefügten Qualen nicht. Die Strafen standen in keinem Verhältnis zu dem, was sie getan oder auch nicht getan hatten. Die Opfer der NS-Willkür erlagen der Mordlust der SS-Männer, wurden zu Tode geschunden, verhungerten oder starben an Krankheiten, die nicht behandelt wurden. "Die Verlegung der Stolpersteine für Menschen, die als ,Asoziale' stigmatisiert und verfolgt wurden, ist besonders wichtig, weil diese Opfergruppe bislang kaum öffentliche Anerkennung gefunden hat", betont Michael Wildt, Professor für Deutsche Geschichte im 20. Jahrhundert an der Humboldt-Universität zu Berlin. "Studierende und Doktoranden waren an der Recherche für die Gedenkstätte auf dem Alexanderplatz beteiligt. In der Zusammenarbeit mit ihnen ist es mir wichtig, den Blick der Öffentlichkeit für die Verfolgung dieser vergessenen Opfergruppen zu schärfen", erläutert Wildt.

In Berlin wurden in den letzten 20 Jahren bereits über 6600 Stolpersteine verlegt. Die aktuelle Aktion erfolgte in Zusammenarbeit zwischen der Humboldt-Universität, den Straßenmagazinen "Motz" und "strassenfeger" sowie der Koordinierungsstelle Stolpersteine Berlin. In der Hauptstadt gab es bislang noch keine Stolpersteine, die an diese von speziellen Gesetzen und Verordnungen verfolgten Menschen. Für drei auf den Stolpersteinen genannten und im KZ Sachsenhausen ermordeten Menschen war das aus der Kaiserzeit stammende Arbeitshaus Rummelsburg eine Zwischenstation auf dem Weg in den Tod. Dort erinnert seit Anfang 2015 eine Gedenkstätte an die grauenvolle Geschichte dieser Stätte des Terrors und der Repression von der Kaiserzeit bis in die jüngere Vergangenheit.

Ein Erlass vom 13. November 1933 hatte unter Bezug auf die Reichstagsbrandverordnung verfügt, dass genannte Berufsverbrecher "vorbeugend" in Polizeihaft zu nehmen sind. In einer von Goebbels' Propagandaministerium mit Hasskommentaren begleiteten Aktion wurden Arbeitsscheue und Gemeingefährliche, wie sie im NS-Jargon hießen, verhaftet und in Arbeits- und Konzentrationslager, Arbeitshäuser und geschlossene Anstalten oft nach vorheriger Entmündigung und ohne jeden Rechtsbeistand eingewiesen. Für die Bettler, Prostituierten, Kleinkriminellen und anderen Personen gab es kein Entrinnen. Der Grunderlass "Vorbeugende Verbrechensbekämpfung" vom 12. Dezember 1937 ermöglichte es der Kriminalpolizei, so genannte Berufs- und Gewohnheitsverbrecher, Gemeingefährliche und Asoziale ohne Gerichtsbeschluss in so genannte Schutzhaft zu nehmen. Das Hitlerregime deklarierte die Maßnahme als staatspolitisch wichtig, um Ordnung und Sicherheit auf den Straßen zu gewährleisten, und erhielt dafür von vielen "Volksgenossen" Beifall. Die Polizei erhielt Informationen über "unangepasste, unliebsame und querulierende" Personen vielfach von Stadt- und Gemeindeverwaltungen und Gesundheitsämtern. Der Denunziation war Tür und Tor geöffnet.

Die Internierung erfolgte unter anderem in dem zeitgleich mit den Olympischen Spielen von 1936 errichteten KZ Sachsenhausen, das Lagerarchitekt Bernhard Kuiper als das "schönste" im Deutschen Reich pries. Dort und in anderen Terrorstätten hatten die am schwarzen Winkel zu erkennenden Häftlinge denkbar schlechte Überlebenschancen. Manche wurden als Gehilfen der SS-Bewacher bei der Unterdrückung und Drangsalierung der übrigen Häftling und insbesondere der politischen Gefangenen und der Homosexuellen eingesetzt, die an einem roten beziehungsweise rosa Winkel zu erkennen waren. Schon bald wurde die Vorbeugungshaft als Möglichkeit der Arbeitskräftebeschaffung verwendet. Ende 1939, kurz nach dem Beginn des Zweiten Weltkriegs, befanden sich mehr als 12 000 "Asoziale" in Vorbeugungshaft. Viele von ihnen fielen dem von den Nazis vertretenen Prinzip "Vernichtung durch Arbeit" zum Opfer.

Da das Leben von Menschen ohne Geld und festen Wohnsitz in aller Öffentlichkeit stattfand und stattfindet, wurden die Stolpersteine an einem gut frequentierten zwischen der Weltzeituhr und dem Alexanderhaus installiert. In den 1930-er Jahren gab es hier das Restaurant Aschinger, das nicht zuletzt wegen seines günstigen Essens auch bei Armen und Wohnsitzlosen beliebt war. Die Brüder August und Carl Aschinger boten unter dem Motto "Beste Qualität bei billigstem Preis" billige Getränke und Essen in ihren Bierhallen, Restaurants, Konditoreien und Läden an ließen wöchentlich bis zu eine Millionen Brötchen backen. Zu Aschingers preiswert ausgegebenen Erbsensuppen bekam man so viele Berliner Schrippen wie man haben wollte. Das machte Aschinger bekannt und bei ärmeren Bevölkerungsschichten populär.

Die DDR-Justiz wies Menschen in das Gefängnis Rummelsburg ein, die vom SED-Regime als asozial, unangepasst und aufrührerisch verunglimpft wurden, also nicht in dessen politisch-ideologisches Schema passten. Diese so genannten "Assis" mussten als billige Arbeitskräfte in umliegenden Betrieben schuften, und wenn sie nicht die "Norm" erfüllten, wurden sie hart bestraft. Dazu bieten die aus drei Stahlstelen an der viel befahrenen Hauptstraße im Lichtenberger Ortsteil Rummelsburg sowie zahlreichen Tafeln auf dem ehemaligen Gefängnisgelände erschütternde Informationen. Unter ihnen waren Personen, die versucht hatten, illegal den Arbeiter-und-Bauern-Staat zu verlassen, aber auch solche, die der "Boykotthetze" beschuldigt wurden oder weil sie politische Witze gerissen hatten.

BUCHTIPP Dagmar Lieske: Unbequeme Opfer? "Berufsverbrecher" als Häftlinge im KZ Sachsenhausen. Forschungsbeiträge und Materialien der Stiftung Brandenburgische Gedenkstätten Bd. 16, Metropol Verlag Berlin 2016, ISBN 978-3-86331-297-8

10. Oktober 2016

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