Preußische Pracht ist längst vorbei
Was Namen von Berliner Straßen und Stadtteilen zu bedeuten haben und warum die Kochstraße nichts mit Essen und Trinken zu tun hat



Auf der Leipziger Straße erinnert eine nachgebaute Postmeilensäule und eine
barocke Kolonnade an die Pracht, die in preußischer Zeit in Berlin entfaltet wurde.




Der mehrfach umgebaute Bahnhof Friedrichstraße war in "Mauerzeiten" ein Ort
der Sehnsucht, der Ankunft und des Abschiednehmens. Heute ist er ein
wichtiger Verkehrsknotenpunkt in der Hauptstadt.




Blick von der Weidendammer Brücke, die die Spree überquert, hinüber
zum Berliner Ensemble, der Wirkungsstätte Brecht und anderen Künstlern.




Das Springer-Hochhaus erhebt sich an der Kreuzung Rudi-Dutschke-Straße
und Axel-Springer-Straße. Früher hieß die ganze Straße Kochstraße. (Fotos: Caspar)

Berlin war vor 350 Jahren eine verschlafene Residenzstadt, die im Wesentlichen aus den mittelalterlichen Schwesterstädten Berlin und Cölln bestand. Da die Einwohnerzahl stetig anstieg, nicht zuletzt wegen des Zuzugs von Hugenotten und anderer Ausländer, ließen der Große Kurfürst Friedrich Wilhelm und seine Nachfolger großzügig geplante Vorstädte bauen. Nach Angehörigen des Herrscherhauses benannt, sind sie noch heute als Friedrichswerder, Dorotheenstadt, Friedrichstadt, Friedrich-Wilhelm-Stadt und Luisenstadt sowie an langen geraden Straßen und schönen Plätzen zu erkennen. Entlang der Friedrichstraße, Wilhelmstraße, Charlottenstraße, Lindenstraße, Leipziger Straße, Kochstraße, der Straße Unter den Linden und weiteren Straßen sowie an einigen Plätzen siedelten sich vor allem Angehörige des Hofes sowie Beamte, Unternehmer und Handwerker an. Die Gegend westlich und südlich von Alt-Berlin war wegen ihrer Lage beliebt, denn hier konnte man sich besser entfalten als in den engen, muffigen und altertümlichen Quartieren rund um das Stadtschloss sowie die Petri-, Nikolai- und Marienkirche. Bilder aus der Zeit um 1900 zeigen, dass es in unmittelbarer Nähe königlicher Prunkbauten und prunkvoller Bankgebäude Elendsquartiere gab. Die im Zweiten Weltkrieg auf Berlin gefallenen Bomben und die flächenhaften Abrisse danach haben mit diesem Erbe gründlich aufgeräumt.

Die rege Bautätigkeit nach der Reichseinigung von 1871, noch viel mehr die enormen Zerstörungen des Zweiten Weltkriegs und die Neugestaltungen danach haben das Gesicht der Friedrichstadt stark verändert. Die unter den Königen von Preußen und deutschen Kaisern entfaltete Pracht ist schon längst vorbei und nur bei wenigen Gebäuden zu ahnen. Das gilt in besonderem Maße für die stark befahrene Leipziger Straße, die auf den Leipziger Platz und dahinter den Potsdamer Platz führt. Seit einigen Jahren erhält der Leipziger Platz, der in "Mauerzeiten" wüst, leer und von Grenzsoldaten der DDR streng bewacht war, seine markante achteckige Struktur zurück. Ursprünglich war die Leipziger Straße ähnlich schmal wie die Friedrichstraße und die Wilhelmstraße, die bis zum Kriegsende von Ministerien besetzt war. Im Zweiten Weltkrieg weitgehend zerstört, wurde die Leipziger Straße in DDR-Zeiten links und rechts mit Hochhäusern gesäumt, stark verbreitert und in eine Autorasse verwandelt, in der es fast zu jeder Tageszeit Staus gibt. Die Avenue war bis zum Ende des zweiten deutschen Staates eine attraktive Wohn- und Geschäftsadresse und soll es, zwischenzeitlich in einen Dornröschenschlaf verfallen, wieder werden. Seit Jahren ist davon die Rede, die von Anwohnern und Passanten als unangenehm und unnötig empfundene Breite der Straße auf ein menschliches Maß zurückzubauen. So soll laut "Planwerk Innenstadt" die Zahl der Fahrspuren reduziert werden. Die dann gewonnenen Flächen vor den Hochhäusern will man durch Pavillons mit Gastronomie sowie Bänke und Blumenrabatten besetzen. So könnten sich zu den schon vorhandenen Restaurants und Läden in den Erdgeschosszonen der Hochhäuser neue Erlebnisbereiche gesellen, was dem Flair der Leipziger Straße sicher gut täte und mehr Menschen als bisher herbei locken würde.

Die drei Kilometer lange Friedrichstraße zwischen Mehringplatz und Oranienburger Straße ist nach dem ersten Preußenkönig Friedrich I. benannt, und man könnte nun meinen, dass sich der Name der westlich davon gelegenen Friedrich-Wilhelm-Stadt auf seinen Vater, den Großen Kurfürsten bezieht. Wie jedoch ein Blick in die Berliner Geschichte zeigt, war erheblich später ein anderer Herrscher Namensgeber - König Friedrich Wilhelm III., der ungewöhnlich sehr lange von 1797 bis 1840 regierte. Ihre Glanzzeit erlebte die Friedrichstraße nach der deutschen Reichseinigung von 1871. Der Aufstieg Berlins zur Reichshauptstadt bewirkte in der Berliner City einen Bauboom ohnegleichen. Dem Bau des Bahnhofs Friedrichstraße im Jahr 1882 folgte die Errichtung von Hotels und Restaurants. Die Unterhaltungsetablissements an der neuen Amüsiermeile hatten riesige Ausmaße, denn sie konnten mehr als 2000 Gäste aufnehmen. Da diese mit Speise und Trank, Musik und Spaß gut versorgt sein wollten, kann man sich vorstellen, welcher Verkehr sich anfangs zu Fuß und mit Pferdewagen, im 20. Jahrhundert mehr und mehr mit Automobilen an der Friedrichstraße abspielte. Selbstverständlich hatte die Prachtstraße in Berlin manche Konkurrenten. An erster Stelle stand der Kurfürstendamm, wo die Reichen und die Schönen wohnten und ausgingen (zum Thema Tacheles siehe Extra-Beitrag auf dieser Internetseite).

Die Pracht der alten Friedrichstraße ist lange dahin. Im Zweite Weltkrieg wurden ihre Häuser zu großen Teilen zerbombt. Die wenigen Altbauten aus der Kaiserzeit werden vielfach durch gesichtslose Neubauten dominiert. Wie durch ein Wunder blieb der Admiralspalast unweit des Bahnhofs Friedrichstraße erhalten. Seine Geschichte geht in das Jahr 1873 zurück, als im Bereich einer Solequelle das Admiralsbad errichtet wurde. Aus dem Komplex entwickelte sich nach und nach ein Revue- und Operettentheater, das mit einer Kegelbahn und Café, Kino und Kasino sowie mondänen Bädern und einer Eisbahn kombiniert war. Nach dem Zweiten Weltkrieg als Deutsche Staatsoper genutzt, solange die Ruine Unter den Linden nicht aufgebaut war, war der in Metropoltheater umbenannte Admiralspalast Schauplatz der von der Sowjetischen Besatzungsmacht forcierten Vereinigung der KPD mit der Ost-SPD zur SED im April 1946. Bis 1997 war das Metropoltheater das einzige Operettentheater im Ostteil Berlins. Heute trägt das Haus, in dem auch das Kabarett "Diestel" auftritt, wieder den Namen Admiralspalast.

Das alles zu wissen ist gut, wenn man durch die Gegend rund um die Friedrichstraße und die Friedrich-Wilhelm-Stadt geht oder dort wohnt und arbeitet. Sie gehörte zur Spandauer Vorstadt, in dem es auch ein "Vogtland" genanntes Armenviertel gab. Begrenzt ist die Friedrich-Wilhelm-Stadt im Norden von der Invalidenstraße und dem Neuen Tor und im Süden durch den Spreebogen, im Westen durch das an der Spree gelegene Alexanderufer und den Humboldthafen und im Osten durch die Friedrichstraße. Zu den Sehenswürdigkeiten dieses von Kultur und Wissenschaft, Theater und Medizin geprägten Areals zählen das Berliner Ensemble am Schiffbauerdamm mit dem Bertolt-Brecht-Platz davor, das Deutsche Theater und die Kammerspiele sowie das Naturkundemuseum. Die in zahlreichen Gebäuden meist aus dem 19. Jahrhundert untergebrachte Charité ist ein weltbekannter Gesundheits- und Forschungsstandort und zugleich das größte Bauensemble in der Friedrich-Wilhelm-Stadt.

Vor hundert Jahren waren die Verlage, Redaktionen und Druckereien bedeutender Zeitungen in der Kochstraße und umliegenden Straßen im südlichen Teil der Friedrichstadt konzentriert. An der Charlottenstraße/Ecke Zimmerstraße etablierte sich das Wolffsche Telegraphen-Büro, in seiner der Nähe richtete sich der Verleger Leopold Ullstein ein. 1881 bezog er das Haus Kochstraße 23, wo das Neue Berliner Tageblatt, die Berliner Zeitung, Berliner Abendpost, Berliner Morgenpost, B. Z. am Mittag und weitere renommierte Blätter erschienen. Auch die seinerzeit sehr mächtigen Zeitungsverleger Rudolf Mosse und August Scherl fanden an der Gegend nicht weit vom kaiserlichen Schloss und den Ministerien Gefallen und schlugen ebenfalls in dem Quartier ihre Zelte auf.

Die Kochstraße und weitere ehemals dicht bebaute Areale wurden durch Bombardierungen im Zweiten Weltkrieg fast dem Erdboden gleich gemacht. Nach dem Bau der Mauer 1961 in eine Grenzlage geraten, wurde die Kochstraße von dem Hamburger Verleger Axel Springer entdeckt. Er ließ auf westlicher Seite für seinen Zeitungs- und Zeitschriftenverlag das nach ihm benannte Hochhaus bauen. Dass man dieses Gebäude mit seiner Lichtreklame auch weit im Ostteil der Stadt sehen konnte und als Bollwerk der Freiheit empfand, war von Springers gewollt und ärgerte die kommunistischen Machthaber auf der anderen Seite der Mauer. An den Verleger erinnert in der Nähe seines Verlags die Axel-Springer-Straße, während die Kochstraße weder etwas mit der Presse noch mit Essen und Trinken zu tun hat, denn sie ist nach dem Berliner Kommunalpolitiker Johann Jacob Koch benannt, der im frühen 18. Jahrhundert viel für Berlin und seine Einwohner geleistet hat.

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