Glänzende Aussichten für das alte Tacheles
Bevor die Bauleute anrücken, müssen Archäologen das Areal an der Friedrichstraße/Ecke Oranienburger Straße untersuchen



Die in Stahlbetonbauweise erbauten ehemaligen Friedrichstraßenpassagen
waren durch ihre ungewöhnliche Konstruktion und Struktur und ihrem
reichen Warenangebot eines der modernsten Kaufhäuser im alten Berlin.




Längt schon sind die Kunst- und viele anderen Objekte auf dem Hof des
Tacheles abgeräumt und an andere Standorte verlagert.




Wenn der Komplex eines Tages wieder auf- und ausgebaut wird, avanciert er zu
einem ganz bestimmt gut frequentierten Zeugen der Berliner und deutschen
Bau- und allgemeinen Geschichte der vergangenen hundert Jahre. (Fotos: Caspar)

Auf dem Gelände des alternatives Kunst- und Kulturhauses Tacheles an der Ecke Friedrichstraße/Oranienburger Straße im Berliner Bezirk Mitte haben Archäologen das Sagen. Bevor die weiträumige Fläche neu bebaut werden kann, muss sie auf mögliche archäologische Fundstücke abgesucht werden, die sich in zugeschütteten Kellern und Gewölben erhalten haben. Allerdings wird im Landesdenkmalamt mit archäologischen Sensationen nicht gerechnet, weil beim Bau der damaligen Friedrichstadtpassagen in den Jahren 1909 bis 1909 nach Plänen des Architekten Franz Ahrens der Boden bereits tief ausgehoben und untersucht wurde. Es kann aber sein, dass damals "Bodenurkunden" unberührt blieben, weshalb sie heute neu gesichtet und bewertet werden müssen. Das haben die Bodendenkmalpfleger auch bei anderen Neubaumaßnahmen und der Anlage von Versorgungstrassen getan und sind dabei fündig geworden. Da das Gelände, in dem sich Freunde und Protagonisten der alternativen Kunst- und Kulturszene Berlins nach 1990 wohnlich eingerichtet hatten, außerhalb der kurfürstlichen Haupt- und Residenzstadt gelegen ist, könnten Ausgrabungen einigen Aufschluss über das Leben jenseits ihrer im 17. Jahrhundert erbauten Mauern und Bastionen ergeben.

Die Friedrichstadtpassagen waren in der Kaiserzeit das wohl modernste Kaufhaus der deutschen Reichshauptstadt und eine Sehenswürdigkeit der Extraklasse. Der auf das Modernste ausgestattete Prunkbau besaß etwa einhundert Ladengeschäfte, bot aber auch Platz für Ausstellungen, Varietes und Büros. In den 1920-er Jahren zeigte die AEG in dem "Haus der Technik" genannten Komplex ihre Novitäten. In der Nazizeit war der repräsentative Bau Sitz von hochrangigen Dienststellen der NSDAP und der SS, zu DDR-Zeiten beherbergte er Abteilugen der Staatsgewerkschaft Freier Deutscher Gewerkschaftsbund.

Eigentlich sollte das leer gezogene Haus und das, was von ihm übrig geblieben war, im Februar 1990 gesprengt werden. Das aber wurde verhindert, nachdem es von der "Künstlerinitiative Tacheles" besetzt worden war. Das Gebäude mit der auffälligen Fassade aus Naturstein mit "jugenstiligen" Schmuckelementen kam unter Denkmalschutz, was aber Graffitisprayer, auch Spray-Athener genannt, nicht davon abhielt, es von oben bis unten zu besprühen und zu bemalen. Der symbolträchtige Name der Künstlerinitiative ging mit der Zeit auf das ganze Haus über, das sich zu einer festen Größe in der Berliner Kunst- und Kulturszene entwickelte und unzählige Besucher anzog, darunter auch viele Prominente aus dem Musik- und Showgeschäft sowie bildende und andere Künstler.

Das Tacheles bot bis zu seiner Schließung 2012 Platz für Ateliers und Ausstellungsflächen, sowie ein Kino und Räume für Konzerte, Lesungen und Theatervorstellungen. Nachdem der Mietvertrag zwischen der Künstlergruppe und den Eigentümern nicht mehr verlängert wurde, gab es hitzige Diskussionen über den Erhalt des Tacheles und die weitere kulturelle Nutzung des Gebäudes. Die auch von Lokalpolitikern und Vereinen vorgebrachten Plädoyers für den Erhalt des einzigartigen Kulturstandortes hatten keinen Erfolg. Das Haus mit seinem spezifischen Flair, das von manchen gruselig, von anderen ausgesprochen anheimelnd und anregend empfunden wurde, ist 2012 unter lautstarken Protesten geräumt worden und stand seither leer. Die aus dem alten Tacheles vertriebenen Künstler haben sich im Ortsteil Marzahn neu etabliert. Künstler aus Frankreich, Italien, Indien und Lateinamerika haben dort Ställe und Baracken in Ateliers umgewandelt, außerdem existiert die Künstlerinitiative weiterhin im Internet.

Jetzt steht das Tacheles vor einem neuen Kapitel seiner über hundertjährigen Geschichte. Am 4. April 2016 begannen die Vorarbeiten für den bis 2020 geplanten Bau des neuen Stadtquartiers, für das eine Mischung von Wohnen, Einkaufen, Gastronomie, Kultur und Kunst vorgesehen ist. Geplant sind auch ein Hotel sowie Ateliers und ein Stadtplatz an der Oranienburger Straße. Der dafür vorgesehene Parkplatz ist schon beräumt. Man muss kein Prophet sei um zu sagen, dass die neue Adresse eine ziemlich teure sein wird. Die Umwandlung der Ruine und des leer geräumten Areals am Ende der Friedrichstraße und Beginn der Oranienburger Straße wird ohne Zweifel der ganzen Gegend zu spürbarem Auftrieb verhelfen.

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