Kriegsverbrecher wurde Ehrensenator
Technische Universität Berlin setzt sich offensiv mit ihrer Geschichte nach 1945 auseinander und verschweigt nicht, dass braunen Professoren Persilscheine ausgestellt wurden



Die deutsch und englisch abgefasste Ausstellung vor dem Hauptgebäude
der Technischen Universität Berlin wird bis zum 10. Juni 2016 gezeigt.




Schwarze oder braune Schafe werden auf einer Tafel der Freiluftschau weiß
gewaschen, weil man glaubte, auf ihr Wissen nicht verzichten zu können.



Wer an der TUB studieren wollte, musste umständliche Vorprüfungen
durchlaufen und sollte mit der NS-Diktatur nichts zu tun gehabt haben.




Nicht nur wirkliche Trümmer galt es zu beseitigen, sondern auch geistiger
Unrat musste verschwinden, was aber nicht immer gelang. (Fotos: Caspar)

Nach dem Zweiten Weltkrieg lag die an der Berliner Straße, der späteren Straße des 17. Juni gelegene Technische Hochschule Berlin (TH Berlin) in Schutt und Asche. Die prunkvollen Bauten aus der Kaiserzeit waren zerbombt und zerstört, kaum ein Stein stand noch auf dem anderen. Mit großen Anstrengungen wurden die Trümmer beseitigt, und auch den geistigen Unrat in den Köpfen des akademischen Personals und der Studenten, sofern sie Nazizeit und Krieg überstanden hatten, galt es zu überwinden. Der Neustart als Technische Universität Berlin (TUB) gelang unter großen personellen und technischen Schwierigkeiten, berichtet eine Freilichtausstellung vor dem Hauptgebäude unter dem Motto "Kriegsende und Neubeginn". Wie Universitätspräsident Christian Thomsen im Editorial der Extraausgabe von "TU Berlin intern" schreibt, wollte niemand die Dokumentation im Innenbereich des Campus verstecken. "Nein, wir haben uns ganz bewusst für einen sehr öffentlichen Raum entschieden. Die TU Berlin bekennt sich so zu ihrer politischen Vergangenheit und Verantwortung. Und sie möchte das auch nach außen zeigen. Es ist uns eine Verpflichtung, zu erforschen und zu dokumentieren, was sich nicht nur hier von 1933 bis 1945 mit Vertreibung und Ausgrenzung unliebsamer Personen, sondern auch im Zuge der Neueröffnung ereignet hat."

Die Ausstellung ging aus dem Forschungsprojekt "Kriegsende und Neubeginn - Von der Technischen Hochschule zur Technischen Universität Berlin" hervor. Mit ihm führt die TU Berlin ihre Auseinandersetzung mit der eigenen, zum Teil wegen ihrer Verknüpfung mit dem Naziregime wenig ruhmreichen Geschichte fort. Sie nimmt ihr 70. Gründungsjubiläum zum Anlass, an die Zeit zu erinnern, da Professoren, Dozenten und Studenten aus rassistischen und politischen Gründen entfernt und vertrieben wurden. Bis zum 10. Juni 2016 dokumentieren die Bild- und Texttafeln die mit vielfältigen Problemen verbundene Personalpolitik der traditionsreichen Lehr- und Forschungsanstalt nach dem Ende der Naziherrschaft in der Viermächtestadt Berlin. Mit Absicht benutzte die aus der 1879 durch die Zusammenlegung der Berliner Bauakademie und der Königlichen Gewerbeakademie gebildete Technische Hochschule Charlottenburg nicht mehr ihren alten Namen, sondern legte sich, um den Neuanfang zu unterstreichen, den Namen Technische Universität Berlin (TUB) zu. Am 9. April 1946 wurde sie, vor nunmehr 70 Jahren, unter der Regie der britischen Besatzungsmacht eröffnet und fand gleich großen Zuspruch, wie Carina Baganz, die Kuratorin der Ausstellung, berichtet.

Ende April 1945, als sich Hitler in der Reichskanzlei erschoss und die Kampfhandlungen in der Reichshauptstadt eingestellt wurden, hatte die alte TH Berlin aufgehört zu bestehen, die bisherigen Dienstverhältnisse bestanden nicht mehr. Der Neustart unter Vorsitz des Physiknobelpreisträgers Gustav Hertz fand im Juni 1945 statt. Erklärtes Ziel war, nur noch politisch unbelastete Professoren und Studenten aufzunehmen. Dazu hatten die alliierten Besatzungsmächte in der Viermächtestadt Berlin klare Vorgaben erlassen. Die Verwirklichung war schneller an geordnet als getan, und so kam es vor, dass auch ehemalige Parteigenossen und SS-Leute, darunter auch von der "scharfen Richtung", wie es in den Dokumenten von damals heißt, wieder in Gnaden aufgenommen und eingestellt wurden. Die Ausstellung nennt peinliche Beispiele dafür, wie der akute Personalmangel, aber auch persönliche Beziehungen und Freundschaften die damalige Leitung der TU Berlin bewogen, politisch untragbaren Dozenten und Professoren einen Persilschein auszustellen und in den Lehrkörper aufzunehmen.

Unter ihnen war der Eugeniker Hermann Muckermann, der 1934 in einem "Grundriss der Rassenkunde" geschrieben hatte: "Man berufe sich nicht auf die Taufe, die aus einem Juden einen Christen macht. Die Taufe ändert niemals das Erbgefüge". Da Muckermann von den Nazis mit Redeverbot belegt wurde, gerierte er sich nach 1945 als Verfolgter des Naziregimes und konnte an der TU Berlin als Leiter des Instituts für natur- und geisteswissenschaftliche Anthropologie weiter lehren und forschen, wurde Ehrensenator der TUB, erhielt das Große Verdienstkreuz der Bundesrepublik Deutschland und wurde Ehrensenator der TUB. Auch andere Gelehrte mit brauner Vergangenheit und antidemokratischer Gesinnung konnten ihre Karrieren nahezu ungestört an der THB fortsetzen. Deren Leitung entblödete sich nicht, einen in Nürnberg verurteilten Kriegsverbrecher zum Ehrensenator zu machen - Friedrich Flick. Der Wehrwirtschaftsführer war einer der spendabelsten Förderer von Hitler und der NSDAP und einer der größten Nutznießer der Arisierung. Im Flick-Prozess Ende 1947 wegen der Ausplünderung von Zwangsarbeitern und weiteren Verbrechen zu sieben Jahren Zuchthaus verurteilt, kam Flick schon im August 1950 frei und erhielt 1953 anlässlich seines 70. Geburtstags die Ehrensenatorenwürde der TU Berlin. Diese hatte in den frühen 1950-er Jahren, als der Kalte Krieg tobte und in Berlin die Ost-West-Konfrontation besonders stark zu spüren war, alle Bedenken fahren lassen, ehemalige aktive Nazis zu beschäftigen oder sich, wie der Fall Flick zeigt, mit ihrem Namen zu schmücken.

Die Ausstellung schildert nicht nur solche Fälle für diese spezielle Art der "Wiedergutmachung", sondern zeigt auch, wie der Lehrbetrieb aufgenommen wurde und wer an der Universität zum Studium zugelassen wurde. Anfang hat man ehemalige Nazis sowie Offiziere vom Studium ausgeschlossen, doch wurden die strengen Bestimmungen nach und nach gelockert. Da viele Bewerber wegen der Kriegsereignisse keine reguläre Schulausbildung und auch kein Abitur hatten, wurden Vorbereitungskurse angeboten und von vielen erfolgreich absolviert.

(Geschrieben 29. 4. 2016)

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