"Unser Dämel sitzt in Memel"
Für Preußen hatte die verlorene Schlacht von Jena und Auerstedt im Oktober 1806 verheerende Folgen




Die Proklamation des Stadtkommandanten Graf von der Schulenburg
vom 17. August 1806 forderte die Berliner auf, Ruhe als erste Bürgerpflicht
zu bewahren. Ein weiterer Aufruf verlangte von ihnen, sich dem Feind zu ergeben.




Der Einzug Napoleons I. am 27. Oktober 1806 durch das erst ein paar Jahre
zuvor eröffnete Brandenburger Tor ließ nichts Gutes erwarten.

"Der König hat eine Bataille verlohren, jetzt ist Ruhe die erste Bürgerpflicht. Ich fordere die Einwohner Berlins dazu auf. Der König und seine Brüder leben!" - mit diesen beschwichtigenden Worten verkündeten am 17. Oktober 1806 Plakate in Berlin eine Niederlage im Krieg gegen Frankreich, die für Preußen nicht hätte schlimmer sein können. Bei Jena und Auerstedt war am 14. Oktober 1806 die Armeen Friedrich Wilhelms III. und des mit ihm verbündeten Kurfürsten Friedrich August III. von Sachsen von Soldaten Napoleons I. vernichtend geschlagen worden. Wenige Tage später, am 27. Oktober 1806, zog der Kaiser durch das Brandenburger Tor und requirierte das Stadtschloss als seine Residenz und Hauptquartier. Preußens zutiefst getroffener König Friedrich Wilhelm III. flüchtete mit seiner Familie nach Ostpreußen und stellte sich unter den Schutz des mit ihm befreundeten Zaren Alexander I. "Unser Dämel sitzt in Memel" verspotteten derweil die Berliner ihren Landesherrn, der sich in ein gewagtes Kriegsabenteuer gegen das mächtige Frankreich eingelassen hatte und nun um seine Krone und Freiheit fürchten musste. Der im Juli 1807 Preußen aufgezwungene Friedensvertrag von Tilsit übertraf alle Befürchtungen, denn Friedrich Wilhelm III. musste auf die Hälfte seines Staates verzichten und wurde zu immensen Kontributionszahlungen verpflichtet. Allein die Berliner mussten bis Ende 1808 die ungeheure Summe von etwa sieben Millionen Talern aufbringen.

Der Einmarsch der Franzosen in die preußische Hauptstadt war ein epochales Ereignis, das tiefe puren im Gedächtnis der Berliner hinterlassen hat. Mit gemischten Gefühlen standen sie an der Straße Unter den Linden, als der Kaiser bleichen Gesichts an der Spitze seiner Truppen das Brandenburger Tor passierte. Den meisten Schaulustigen blieb das Wort im Halse stecken, erst langsam wurde ihnen bewusst, dass das durch ihren großen König Friedrich II. so nachhaltig geprägte alte Preußen der Vergangenheit angehört und sie sich auf harte Zeiten einstellen müssen. In seinen Jugenderinnerungen notierte ein Beobachter, Karl Friedrich von Klöden, Napoleon I. habe sehr unscheinbar ausgesehen "vor der glänzenden Suite der goldbeblechten und mit Orden überladenen Marschälle und der übrigen hohen Offiziere in allen möglichen Uniformen und aus allen Nationen, und doch richteten sich jedes Auge nur auf ihn. Er wohnte im Schlosse nach dem Lustgarten hinaus eine Treppe hoch, das dritte Fenster von der Ecke.[...] Hier habe ich ihn von unten einige Male im Zimmer, die Hände auf den Rücken, diktierend auf und ab gehend gesehen." Mag sein, dass Klöden den Kaiser beobachtete, wie er gerade die gegen England, Frankreichs Hauptfeind, gerichtete Kontinentalsperre diktierte. Mit ihr sollten alle Häfen auf dem Kontinent für englische Waren gesperrt werden. Natürlich ließ sich diese Abschottung nicht lückenlos durchführen, und so wurden dem Schmuggel von Lebensmitteln und Industriewaren Tür und Tor geöffnet, was die einen freute und den anderen wirtschaftlichen Ruin bescherte, wie das immer in solchen Fällen ist.

Nach der Niederlage der preußischen und sächsischen Truppen in der Doppelschlacht von Jena und Auerstedt war für Preußen der Krieg gegen Frankreich noch nicht beendet. Während Sachsen ausschied, die Front wechselte und sich Frankreich anschloss, dem Rheinbund beitrat und sein Kurfürst die Königswürde annahm, hoffte Friedrich Wilhelm III., die ihm und seinem angeblich unschlagbaren Heer zugefügte Schmach durch Weiterführung des Krieges abwaschen zu können. Bei seinem Vabanquespiel wurde der Hohenzoller von Zar Alexander I., aber auch von Hardlinern am eigenen Hof bestärkt. Doch auch 1807 war das Kriegsglück weder den Russen noch den Preußen hold, und so schloss der in weiteren Schlachten siegreiche Kaiser der Franzosen nach zähen Verhandlungen am 9. Juli 1807 im fernen Tilsit gleich an der Grenze zu Russland Friedensverträge mit Alexander I. und Friedrich Wilhelm III. ab. Die Verträge waren für Russland günstig, hatten aber für Preußen katastrophale Folgen. Friedrich Wilhelm III. verlor die Hälfte seines Territoriums und seiner Untertanen, und er musste sich zu hohen Kontributionen an Frankreich verpflichten. Das halbierte Preußen sank für ein paar Jahre zu einer Mittelmacht herab.

Bei den Verhandlungen in Tilsit ging es für Friedrich Wilhelm III. um alles oder nichts. Napoleon ließ den Hohenzoller seine ganze Verachtung spüren. Während der Franzose mit dem Zaren auf gleicher Augenhöhe verhandelte und ihn einen Freund nannte, mit ihm dinierte und Paraden abnahm, musste der geschlagene und erniedrigte Preuße auf seinen Auftritt warten. Alexander I. schaffte es immerhin, den Franzosenkaiser von seinem Plan abzubringen, Preußen gänzlich von der Landkarte zu streichen. Da Napoleon I. einen Ausgleich mit Russland suchte, um freie Hand im Kampf gegen England, seinen Hauptfeind, zu gewinnen, ließ er Preußen bestehen, wenngleich auch nur als Rumpfstaat. Friedrich Wilhelm III., seine Gemahlin Luise und seine Familie durften erst Ende 1809 nach Berlin zurück kehren. Der König stellte sich nicht quer, wie es sonst seine Natur war, als es darum ging, in Preußen alte Zöpfe abzuschneiden und die Monarchie durch Erlass der Stein-Hardenbergschen Reformen fit für das 19. Jahrhundert zu machen, wobei stets beachtet werden musste, dass das Land unter genauer Beobachtung der Franzosen stand und von ihnen auch abhängig war. Deren Versuche, Berliner Bürger an sich zu binden, waren von geringem Erfolg gekrönt. Als die Besatzer einen Grafiker für die Fälschung von preußischen Geldscheinen gewinnen wollten, stießen sie auf Granit. Es gab allerdings auch Fälle, dass sich Untertanen des Königs von Preußen den Franzosen andienten, und als diese vertrieben waren, setzte es Maßregelungen und gesellschaftliche Ächtung. Die Schicksalsjahre 1806/7 und die eingeleiteten Reformen wirkten sich auf Preußens Entwicklung positiv aus, die Hohenzollernmonarchie stellte sich 1813 an die Spitze einer Befreiungsbewegung, die nach vielen verlustreichen Schlachten in den Befreiungskriegen von 1913 bis 1815 zum Sturz des Franzosenkaisers führten.

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