"Wahlrecht für alle"

Erst nach dem Ende der Kaiserzeit wurden Frauen demokratische Rechte zugebilligt / Ausstellung im Berliner Ephraimpalais



Im Museum für Hamburger Geschichte erinnern Plakate
und Flugschriften daran, dass vor hundert Jahren
heftig auch um das Frauenwahlrecht gestritten wurde.




Die eindrucksvolle Marmorbüste von Anna Schepeler-Lette, der Tochter
des Vereinsgründers, ist im Ephraimpalais ausgestellt.




Frauen und Männer gingen vor über einhundert Jahren auf die
Straße und demonstrierten für das Frauenwahlrecht und weitere
bürgerliche Rechte und Freiheiten.




Das Plakat aus der Weimarer Zeit zeigt Frauen im Tanzpalast,
doch dauerte es lange, bis sie als gleichberechtigter
Teil unserer Gesellschaft anerkannt waren.
Der Prozess ist noch nicht abgeschlossen. (Fotos: Caspar)

In den Revolutionen von 1848/49 und 1918/19 spielte die Frage eine große Rolle, ob und wie das Volk an der Gestaltung der öffentlichen Dinge beteiligt werden kann. Zunächst konnten nur Männer wählen und gewählt werden. Obwohl Frauen das Wahlrecht verlangten, wurde es ihnen erst nach der Abschaffung der Monarchie im Ergebnis der Novemberrevolution 1918 gewährt. Frauen wurden im Deutschen Reich wie Menschen zweiter Klasse behandelt. Lange standen sie unter männlicher Vormundschaft, rechtliche und wirtschaftliche Entscheidungen mussten von Vätern beziehungsweise Ehemännern oder Brüdern gebilligt werden oder wurden von diesen "in Vertretung" der Frauen und Mädchen getätigt. Zwar waren Frauen im Bett, zum Kinderkriegen, in der Küche und als Hilfskraft zum Hinzuverdienst gut, und auch als schöne Dekorationsstücke zur Befriedigung männlicher Eitelkeiten hatten sie feste Aufgaben zu erfüllen. Aber wehe, wenn sie Mitbestimmungsrecht und wirtschaftliche Unabhängigkeit für sich einforderten. Dann wurden sie als "Emanzen" verlacht, die gefälligst bei ihrem Leisten bleiben sollen.

Die Berliner Schriftstellerin, Frauenrechtlerin und Pazifistin Hedwig Dohm stellte im ausgehenden 19. Jahrhundert fest, dass Menschenrechte kein Geschlecht haben, sondern allen zustehen. "Die Frauen haben Steuern zu zahlen wie die Männer, sie sind verantwortlich für Gesetze, an deren Beratung sie keinen Anteil gehabt; sie sind also den Gesetzen unterworfen, die andere gemacht haben. Das nennt man Tyrannei, einfach, absolute Tyrannei, sie mag noch so milde gehandhabt werden, sie bleibt Tyrannei. Die Frau besitzt wie der Sklave alles, was man ihr aus Güte bewilligt". Dass 1919 das Frauenwahlrecht Gesetzeskraft bekam, hat Hedwig Dohm noch erleben dürfen. Die Ausstellung "Frauen in Berlin" der Stiftung Stadtmuseum Berlin, die bis zum 28. August 2016 im Ephraimpalais gezeigt wird, würdigt sie und weitere Berlinerinnen, die mit Erfolg das Korsett gesellschaftlicher Zwänge abwarfen und für die Gleichberechtigung der Frauen und ihre Mitwirkung in der Politik, Wirtschaft, Kultur, Wissenschaft, Bildung und Sport und weiteren Bereichen kämpften und dabei manche Erfolge errangen.

Die Ausstellung würdigt unter anderem den Lette-Verein am 27. Februar 1866, von Wilhelm Adolf Lette als Verein zur Förderung der Erwerbsfähigkeit des weiblichen Geschlechts gegründet wurde. Der Verein stand unter dem Protektorat der Kronprinzessin und späteren Kaiserin Viktoria von Preußen, die ihn auch finanziell unterstützte. Unverheiratete Frauen aus dem Bürgertum hatten vor 150 Jahren nur wenige Möglichkeiten, ihren Lebensunterhalt angemessen zu verdienen. Sie konnten das als Lehrerin oder Gouvernante tun und wurden schlecht bezahlt. Lette unterstützte die Öffnung weiterer Berufsfelder für Frauen. Dazu förderte er Ausbildungsstätten und -institutionen sowie Absatzmöglichkeiten für Produkte, die von Frauen hergestellt wurden.

Trotz mancher Fortschritte tat man sich in der Kaiserzeit auch in sozialdemokratischen Zirkeln und Gewerkschaftskreisen mit der Gleichberechtigung und dem Frauenwahlrecht schwer. Frauen galten als Konkurrenz gegenüber den Männern, die nicht unbegründet Machtverlust befürchteten. Aus diesem Grunde stießen Forderungen wie "Gleicher Lohn für gleiche Arbeit" und "Wahlrecht für alle" aus unterschiedlichsten Gründen auf Widerspruch nicht nur bei den etablierten Kreisen vom kaiserlichen Hof abwärts, sondern auch bei Intellektuellen und auch in der Arbeiterschaft. Zwar bestimmte die 1871 von Kaiser Wilhelm I. unterzeichnete Verfassung des Deutschen Reichs im Artikel 20, dass der Reichstag aus allgemeinen und direkten Wahlen mit geheimer Abstimmung hervorgeht, aber es wurde nicht gesagt, dass auch Frauen dieses Recht wahrnehmen dürfen. Damit wollten sich viele Frauen nicht abfinden, und so entwickelte sich eine Bewegung, die immer lauter das Frauenwahlrecht einforderte. Vor allem in Preußen, dem damals dominierenden Bundesland im Deutschen Reich, gingen zahlreiche Frauen und mit ihnen auch Männer auf die Straße, um für ein Wahlrecht zu streiten, das die Frauen einschließt.

Zu den Protestaktionen kamen Massenstreiks zur Verbesserung der Lohn- und Lebensverhältnisse der Fabrikarbeiter und anderer lohnabhängiger Personen hinzu. Als die SPD zum 6. März 1910 zu einem "Wahlrechtsspaziergang" im Berliner Tiergarten aufrief, folgten ihr 150 000 Menschen. Sie forderten die Aufhebung des undemokratischen, wohlhabende und staatstragende Schichten bevorzugenden Dreiklassenwahlrechts in Preußen sowie das allgemeine, gleiche, geheime und direkte Wahlrecht für Männer und Frauen, die älter als 20 Jahre sind. Erfolg hatten die Proteste nicht, selbst minimale Verbesserungen in Verfahrensfragen wurden im Abgeordnetenhaus und im Herrenhaus, der ersten Kammer der preußischen Volksvertretung, zu Fall gebracht. Der SPD-Vorstand verhielt sich abwartend und orientierte auf die für 1912 angesetzten Reichstagswahlen.

Einzig Rosa Luxemburg, Clara Zetkin und einige andere linke Sozialdemokraten forderten, die Wahlrechtsfrage durch politischen Massenstreik zu lösen. In einem Mitte März 1910 veröffentlichten Artikel mit der Überschrift "Was weiter?" erklärte Luxemburg, einige Wochen energischer Massenaktion des Proletariats hätten genügt, um den alten Sumpf der preußischen Reaktion aufzupeitschen und eine frische Brise in das politische Leben ganz Deutschlands zu wehen. Die preußische Wahlreform könne unmöglich durch parlamentarische Mittel gelöst werden, nur eine unmittelbare Massenaktion draußen im Land vermöge Wandel zu schaffen. Luxemburg war davon überzeugt, die herrschenden Gewalten in Preußen mögen noch so viel mit dem Säbel fuchteln und ihre Kanonen und ihre mit scharfen Patronen geladenen Gewehre gegen die Massen richten - "gegen die Waffen, die wir in Vorrat haben, helfen keine Kanonen, keine scharfen Säbel". Allerdings fand die linke Sozialdemokratin mit ihren Forderungen bei der eigenen Parteiführung kein Gehör. Ihr Kontrahent Karl Kautsky lehnte den politischen Massenstreik ab, redete aber der "Ermattung" des Klassengegners das Wort und sagte voraus, dieser werde sich zu Konzessionen bereit finden, wenn die Zeit reif ist.

Erst nach dem Ersten Weltkrieg und der Revolution im November 1918 wurden demokratische Rechte eingeführt, die auch das Frauenwahlrecht fest schrieben. So heißt es in der Weimarer Verfassung vom 11. August 1919 über den Reichstag, er bestehe aus den Abgeordneten des deutschen Volkes. Diese Vertreter des ganzen Volkes seien nur ihrem Gewissen unterworfen und an Aufträge nicht gebunden. "Die Abgeordneten werden in allgemeiner, gleicher, unmittelbarer und geheimer Wahl von den über zwanzig Jahre alten Männern und Frauen nach den Grundsätzen der Verhältniswahl gewählt." Allerdings zogen nur wenige Frauen in die Parlamente ein, und auch weibliche Regierungsmitglieder waren in der Weimarer Republik eine Ausnahme.

In der männerdominierten Welt des Nationalsozialismus spielten Frauen und Mädchen, die ja etwa die Hälfte der Bevölkerung stellten, aus politischen und ideologischen Gründen eine untergeordnete Rolle. Sie hatten keinen Zutritt zu Regierungsämtern und waren auch nicht im Reichstag vertreten. Hingegen brauchte das Regime Frauen als Mütter des ganz auf die Ziele des Nationalsozialismus und seine Blut-und-Boden-Politik ausgerichteten Nachwuchses. Der 1930, also noch in der Weimarer Republik, gegründete Bund deutscher Mädel war der weibliche Zweig der Hitlerjugend. 1936 wurde die gesetzliche Pflichtmitgliedschaft aller weiblichen Jugendlichen eingeführt, wobei diejenigen ausgeschlossen waren, die nicht den rassistischen Anforderungen des Regimes entsprachen.

Die Gleichberechtigung von Mann und Frau ist Bestandteil unseres Grundgesetzes, aber sie ist noch lange nicht überall im täglichen Leben und in der Arbeitswelt durchgesetzt. Die Formulierung im Grundgesetz "Männer und Frauen sind gleichberechtigt" geht auf Initiative Elisabeth Selberts zurück, die eine der vier sogenannten Mütter dieser Verfassungsurkunde war. Unannehmbar ist es, dass viele, viel zu viele Frauen bei gleicher Qualifikation und Tätigkeit schlechter als ihre männlichen Kollegen bezahlt werden und auch in Leitungen großer und kleiner Unternehmen unterrepräsentiert sind. Auch kommt es im 21. Jahrhundert immer noch vor, dass Frauen hinsichtlich ihrer Renten hinter den Männern zurück bleiben. Die eindrucksvolle Marmorbüste von Anna Schepeler-Lette, der Tochter des Vereinsgründers, ist im Ephraimpalais ausgestellt. Frauen und Männer gingen vor über einhundert Jahren auf die Straße und demonstrierten für das Frauenwahlrecht und weitere bürgerliche Rechte und Freiheiten. Das Plakat aus der Weimarer Zeit zeigt schöne Frauen im Tanzpalast, doch dauerte es noch ewig lange, bis sie als integraler Zeit unserer Gesellschaft anerkannt waren. Der Prozess ist noch nicht abgeschlossen. (Fotos: Caspar)



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