"An Zynismus kaum zu überbieten"

Gedenkstättendirektor Hubertus Knabe protestiert gegen DDR-Verklärung vor dem Brandenburger Tor / Vielen jungen Leuten fehlt Basiswissen über die SED-Diktatur



Offiziell wurde der Mauerbau in der DDR als Antwort auf imperialistische
Provokationen und als antifaschistischer Schutzwall ausgegeben.
Das Propagandafoto zeigt Kampfgruppen-Angehörige vor dem Brandenburger Tor.




Was mit Stacheldraht und dem Aufschichten von Steinen begann, wurde im Laufe
der Jahre mit ungeheurem personellem, technischem und finanziellem
Aufwand so perfektioniert, dass ein Durchkommen von Ost nach West kaum noch möglich war.




Hubertus Knabe hat allen Grund, sich über Verteidiger der SED-Diktatur Sorgen
zu machen. Der Historiker und Direktor der Gedenkstätte
Hohenschönhausen hat Bücher zur "Westarbeit" des MfS, die ostdeutsche
Nachkriegsgeschichte und verwandte Themen veröffentlicht.




Wer hinter den Mauern des Stasi-Gefängnisses Hohenschönhausen verschwand, bekam
die Rache der SED und der DDR-Justiz zu spüren. In der heutigen Gedenkstätte
wird die von Nostalgikern gern verschwiegene dunkle Seite in der Geschichte
des zweiten deutschen Staates aufgearbeitet und dokumentiert. (Fotos/Repros: Caspar)

Der Direktor der Gedenkstätte Berlin-Hohenschönhausen, Hubertus Knabe, hat gegen eine Aktion von unbelehrbaren DDR-Befürwortern am 55. Jahrestag des Mauerbaus vor dem Brandenburger Tor protestiert. "Es ist an Zynismus kaum zu überbieten, ausgerechnet dort und an diesem Tag die tödliche DDR-Grenze zu rechtfertigen. Das Brandenburger Tor war 28 Jahre lang Symbol der Teilung und der Unterdrückung. Die Aktion einiger Ewiggestriger fügt den Angehörigen der Mauertoten und Tausenden früher inhaftierten DDR-Flüchtlingen neues Leid zu."

Der von DDR-Nostalgikern getragene Verein Unentdecktes Land e.V. hatte für den 13. August 2016 zu einer Aktion zum "55. Jahrestag der Sicherung der Staatsgrenze der Deutschen Demokratischen Republik" auf dem Pariser Platz aufgerufen. In dem Aufruf heißt es, die Grenze sei gebaut worden, um die Freiheit der "jetzt herrschenden Kriegstreiber und Verelender" zu beschneiden. Schuld am Mauerbau sei die Bundesrepublik Deutschland gewesen. Mit einem 50 Meter langen Transparent hatte der Verein "gegen die Verhöhnung der Opfer des Mauerfalls und gegen die deutschen Kriege und Kriegstreiber" protestiert.

Der Verein Unentdecktes Land e. V. behauptete vor dem Brandenburger Tor auf seinem Transparent: "Diese Grenze wurde aufgehoben, damit wir gemeinsam wieder in den Krieg ziehen". Mit seiner Aktion habe er jenen Kräften unübersehbar widersprochen, "die die Geschichte der Verbrechen des deutschen Imperialismus von seinem dritten Anlauf zum nächsten Krieg abkoppeln wollen." Nach eigenen Worten seien vor zwei Jahren drei "unbescholtene Bürger" auf die Idee gekommen, "am 25. Jahrestag der Öffnung der DDR-Staatsgrenze der Chefetage des Staates BRD in die Suppe zu spucken. Was daraus wurde, war eine der eindrucksvollsten Mahnwachen, die der gute alte Alexanderplatz in den letzten Jahren zu Gesicht bekommen hat. Wir nannten das Ganze ,AktionNovember2014', und weil das einschlug und auch noch Spaß machte, blieb es nicht länger bei den drei ,unbescholtenen Bürgern'. [...] Nach der Novemberaktion hätten alle nach Hause gehen müssen. Aber keiner wollte nach Hause. Es lag in der Luft, dass hiernach noch etwas passieren, es irgendwie weitergehen muss." Unentdecktes Land e. V. will vereinseigene Ausstellung zur DDR ermöglichen und sicherstellen und die wissenschaftlich-publizistische Auseinandersetzung mit der Geschichte der DDR "als der bisher größten Errungenschaft der deutschen Arbeiterbewegung" fördern. Der Verein ist nicht der einzige, der sich um das Erbe der DDR sorgt, wie er es versteht. In der Stasi-Gedenkstätte Hohenschönhausen wird darauf hingewiesen, dass Mitarbeiter dieser Untersuchungshaftanstalt nach wie vor in Stasi- und ähnlichen Vereinen aktiv sind. Was sie ihren Opfern verwehrt haben, nämlich Opposition zur Regierung, wird ihnen durch unser Grundgesetz gewährt.

Ebenfalls am 13. August 2016 erinnerten der Förderverein der Gedenkstätte im ehemaligen Stasi-Untersuchungsgefängnis Berlin-Hohenschönhausen und die Union der Opferverbände kommunistischer Gewaltherrschaft ebenfalls vor dem Brandenburger Tor an die Opfer des vor 55 Jahren von Ulbricht und seinen Genossen in Abstimmung mit der Sowjetunion befohlenen Mauerbau. Dabei berichteten Zeitzeugen von ihrem Schicksal. Gedenkstättendirektor Hubertus Knabe stellte zwei originale DDR-Gefangentransporter zur Verfügung, die besichtigt werden konnten.

Dabei erfuhren Besucher, dass zwischen 1961 und 1989 mehr als 72 000 Menschen wegen des Versuchs, die DDR-Grenze zu überwinden, verhaftet wurden und mit hohen Zuchthausstrafen belegt wurden. Die Zahl der Toten an der Mauer in und um Berlin sowie entlang der deutsch-deutschen Grenze wird auf mehr als eintausend geschätzt. Die Ermittlungen sind schwierig, weil viele Todesfälle in den Listen der Staatssicherheit nicht vermerkt oder absichtlich verschleiert wurden. Viele Tote an der Berliner Mauer wurden anonym im Krematorium Berlin-Baumschulenweg verbrannt, und die Asche wurde in alle Winde verstreut. Eine am 55. Jahrestags der Errichtung des "antifaschistischen Schutzwalls", so die bis 1989 geltende offizielle DDR-Diktion, auf dem Gelände des Krematoriums an der Kiefholzstraße enthüllte Stele erinnert an die vielen Unbekannten, die bei Fluchtversuchen ihr Leben lassen mussten.

Der Direktor der Gedenkstätte Berliner Mauer, Axel Klausmeier, beklagte ein weit verbreitetes Unwissen bei jungen Leuten über die DDR-Geschichte und den Mauerbau. Vielen Schülern von heute, die zu Seminaren in die Gedenkstätte an der Bernauer Straße kämen, hätten kaum oder keine Kenntnisse über die jüngere Vergangenheit unseres Landes und auch kaum Bewusstsein darüber, was den Unterschied zwischen Demokratie und Diktatur ausmacht. Zwar hätten viele junge Leute schon einmal von der Stasi gehört, aber über politische Verfolgung durch die SED, über fehlende Gewaltenteilung oder unterdrückte Meinungsfreiheit in der DDR gebe es bei vielen Schülern so gut wie kein Wissen. Der Berliner Zeitung vom 13. August 2016 sagte Klausmeier, das sei für diese "weiter weg als Pompeji. Wir leisten deshalb neben der Vermittlung von historischem Basiswissen auch Grundlagenarbeit in Sachen Demokratie."

16. August 2016

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