An alles war gedacht

Das hochgeheime Wörterbuch des Ministeriums für Staatssicherheit der DDR erklärt unbekannte Abkürzungen und Fachbegriffe





Horch und Guck beziehungsweise Horch und Greif waren vorsichtshalber nur in ganz
privatem Kreis benutzte Bezeichnungen für das MfS, das überall seine Ohren,
Augen und Nasen hatte und jederzeit und an jedem Ort Verhaftungen vornahm.
Oben Geruchsproben (GS) in Weckgläsern, darunter eine hinter einem Knopf
versteckte Kamera, beides Exponate in der Stasi-Ausstellung an der Ruschestraße
in Berlin-Lichtenberg




In der gleichen Ausstellung werden die Besucher mit Details der Überwachung und
der Erfassung von oppositionellen Bürgern bekannt gemacht, die im Stasi-Jargon
feindlich-negative Kräfte hießen.




Wer einen solchen intern Klappfix genannten Ausweis vorwies, konnte in Wohnungen,
Betrieben und an anderen Orten nahezu alles machen, denn der gesetzliche
Rahmen für die Arbeit des DDR-Geheimdienstes war weit gesteckt und sehr dehnbar.
(Fotos: Caspar)

IM, DÄ, FFK, FO, GS, GT, KW, OibE, TBK, VHP und ZOF waren Abkürzungen aus dem Wörterbuch der Staatssicherheit, das dem großen Teil der DDR-Bewohner erst nach dem Ende der SED-Herrschaft durch die Medien und dann vertiefend in verschiedenen Publikationen der damaligen Gauck-Behörde sowie durch Filme bekannt wurde. Die Beispiele bedeuten Inoffizieller Mitarbeiter, Decknamenänderung, Freund-Feind-Kennung, Führungsoffizier, Geruchsspur, Geheimtinte, Konspirative Wohnung, Offizier im besonderen Einsatz, toter Briefkasten, Verdachtsprüfungshandlung und Zentrales Operatives Fernsehen. In den Akten finden sich ferner Angaben über VH (Verhaftete), FiS (Feindlich-ideologischer Stützpunkt), GM (Geheime Mitarbeiter) GHT (Geheimnisträger) F.Vg. (Fahndungsvorgänge), IGfM (Internationale Gesellschaft für Menschenrechte), RAK (Reise- und Auslandskader) und HWG-Personen (Personen mit häufig wechselndem Geschlechtsverkehr). Die Liste ließe sich weiter fortsetzen, samt Erläuterungen ergeben sie ein dickes Lexikon. Immerhin verwendeten die hauptamtlichen und die inoffiziellen Mitarbeiter von Stasiminister Erich Mielke mehr als 700 Abkürzungen dieser Art, und die mussten erst einmal gelernt werden. PKE, LBK, GMS, OPV und DT wurden erst nach dem Ende der SED-Herrschaft und damit auch des MfS einem größeren Kreis bekannt. Sie bedeuten Postkontrolleinheit, Lebender Briefkasten, Gesellschaftlicher Mitarbeiter der Staatssicherheit, Operativer Vorgang und Decktelefon.

Die aufklappbaren Dienstausweise hießen Klapp-Fix nach einem Autoanhänger, aus dem man ein kleines Zelt aufbauen konnte. Weitere Bezeichnungen dieser Art waren Firma, maskierte Organe und Sicherheitsnadel. Indem sich die Stasi-Leute als Schild und Schwert der Partei bezeichneten und auch ein entsprechendes Emblem führten oder sich als Kundschafter an der geheimen Front verklärten, gaben sie ihren Machenschaften einen heldenhaften Anstrich, und manche offiziellen und inoffiziellen Mitarbeiter des MfS mögen an diese Aura geglaubt haben, um ihr schändliches Tun vor sich zu rechtfertigen. Wie erst nach dem Ende der DDR bekannt wurde, bereitete sich das MfS auf Terrormaßnahmen, Vergiftung von Trinkwasser und Mordanschlägen auf führende Persönlichkeiten in der Bundesrepublik unter Zuhilfenahme seiner Agenten sowie von dort lebenden so genannten patriotischen Kräften vor. Entsprechende Belegstücke sind in der ständigen Ausstellung im Hauptgebäude des MfS an der Ruschestraße Berlin-Lichtenberg zu sehen.

Lingua securitatis

Im Vorwort zum Nachdruck des "Wörterbuchs der Staatssicherheit" aus dem Jahr 1993 schreibt Hubertus Knabe, der heutige Leiter der Gedenkstätte Hohenschönhausen, es stelle ein wichtiges Nachschlagewerk dar für Staatsanwälte, Richter, Wissenschaftler, Politiker oder Betroffene dar, die sich mit der Tätigkeit des MfS intensiver beschäftigen und dabei immer wieder auf die vom MfS erarbeiteten Definitionen zurückgreifen müssen. "Zugleich gewährt es einen tiefen Einblick in die ,Sprache der Täter' - die ,Lingua Securitatis', wie sie in einer Veröffentlichung eines Bürgerkomitees einmal genannt wurde. Die Publikation des Wörterbuchs könnte damit auch Ausgangspunkt sein für künftige Analysen der bürokratisch-verquasten Sprachwelt der Staatssicherheit - mit ihren Nominalkonstruktionen und des inflationären Gebrauchs des Komparativs, mit ihrem Abkürzungswahn und einem spezifischen Fundus an Verben, die vergessen machen, dass sich das MfS in erster Linie mit Menschen beschäftigte". Die Überwindung etwaiger moralischer Hemmnisse bei den Mitarbeitern mache dieses Wörterbuch letztendlich zu einer ebenso lehrreichen wie schwer erträglichen Lektüre.

Das als Geheime Verschlusssache deklarierte Buch wurde von der Hochschule des MfS in Golm bei Potsdam umfasst 282 Seiten im A 4-Format und reicht von der Abschöpfung von Informationen bis zu prozessualen Zwangsmaßnahmen. Das Wörterbuch widmet viele Seiten dem Thema Inoffizielle Mitarbeiter (IM), wie sie angeworben, überprüft, eingesetzt und wieder abgeschaltet werden, wie man ihre Ehrlichkeit überprüft und in welcher Richtung sich ihr Einsatz bewegen soll. Bei den IM gab es verschiedene mit Abkürzungen versehene Einstufungen wie IMS, IMB, FIM, IME und IMK, die mit einzelnen Stichwörtern erläutert werden und es gibt in dem Nachschlagewerk auch Hinweise dafür, wie IM angeworben und von ihrem Tun überzeugt und wie sie vom Gegner enttarnt werden. Auf keinen Fall sollen sie dem Feind Ansatzpunkte für Mistrauen geben. Ständig politisch-ideologisch erzogen und politisch-operativ befähigt, sollen sie Gefahrenpunkte für ihre Konspiration und Sicherheit erkennen und entsprechend handeln.

Mitarbeiter der Bundesbeauftragten für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der DDR, damals war es Marianne Birthler, haben sich der Mühe unterzogen, aus den vorhandenen Dokumenten ein Verzeichnis häufig verwendeter Abkürzungen und Begriffen des MfS zusammenzustellen. Die Broschüre war so begehrt, dass sie mehrfach neu gedruckt werden musste. Im Vorwort zur 9. ergänzten und korrigierten Auflage von 2009 wird betont, im übermäßigen Gebrauch von Abkürzungen spiegele sich nicht nur die Tendenz zu einem teilweise unnötigen modischen Selbstzweck wider, "sondern vor allem die Spezifik der ,realsozialistischen' DDR-Gesellschaft im kommunistischen SED-Staat und nicht zuletzt die geheimdienstliche Konspiration." Selbst Mitarbeitern des MfS seien aus Gründen der Konspiration und der Arbeitsteilung nicht alle im Ministerium gebräuchliche Abkürzungen und Kurzformen und deren Varianten geläufig gewesen. Ein MfS-eigenes Verzeichnis habe es wegen der äußeren und inneren Konspiration nicht geben können

2. Oktober 2016

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