Heimische Seide war ein hohes Gut

Ein altersschwacher Maulbeerbaum erinnert in Berlin an ehemals blühende Luxusindustrie



Stummer Zeuge der von den Hohenzollern geförderten Seidenraupenzucht
ist dieser uralte Maulbeerbaum im Hof des Grundstücks Friedrichstraße 129.



Friedrich II., der Große, inspiziert eine Weberei und unterstreicht auf dem
Holzstich sein Interesse an der Blüte der Textilindustrie in Preußen.



Friedrich Wilhelm I. verbot mit dem Edikt "gemeinen
Weibsleuten" und Juden, seidene Kleider zu tragen.
(Fotos/Repro: Caspar)


Kleiderordnungen früherer Jahrhunderte schrieben vor, wer was anziehen durfte. Leute hohen Standes trugen teure Mäntel, Röcke, Hosen und Hüte. Doch wer in der gesellschaftlichen Hierarchie unten stand, hatte sich mit billiger, strapazierfähiger Kleidung zu begnügen. Dem einfachen Volk war sowohl aus Kostengründen als auch wegen der Vorschriften das Tragen von Samt und Seide und die Verwendung langer Stoffbahnen für "pludrige" Kostüme verwehrt. In jener Zeit wurden Seidenstoffe zur Kleidung bis hin zu Ordensbändern, aber auch als Wand- und Möbelbespannungen verwendet. Sie gehörten zum feudalen Lebensstil, doch waren sie teuer. Da die Hohenzollern gemäß ihrer merkantilistischen Wirtschaftspolitik das Geld lieber im eigenen Land belassen wollten, lag es nahe, sich auf einheimische Produkte zu stützen statt teure Importe aus Asien und Westeuropa ins Land zu holen. Daher gehörte die Förderung der eigenen Seidenindustrie zu den herausragenden Staatszielen.

Weil in Brandenburg und Preußen alles per Edikt und Verordnung geregelt wurde, nimmt es nicht Wunder, dass auch der Umgang mit Erzeugnissen der heimischen Seidenindustrie, mit der Luxusbedürfnisse des Hofes, des Adels und des reichen Bürgertums befriedigt wurden, königlicher Reglementierung unterlag. Die Förderung der Seidenindustrie war vor 300 Jahren für die Hohenzollern eine Herzensangelegenheit. Durch Zucht von Seidenraupen und Verarbeitung der von ihren Kokons abgewickelten Seidenfäden wollte man teure Importe ablösen. Das begehrte Gespinst wird von Raupen erzeugt, die sich nach Verspeisen zahlloser Maulbeerblätter in Kokons einpuppen, ein Gehäuse, das aus einem bis 3000 Meter langen Seidenfaden gebildet wird. Da Maulbeerbäume sehr witterungsanfällig sind und keinen starken Frost vertragen, war die Seidenproduktion mit hohen Risiken behaftet und ging nach Kälteeinbrüchen im ausgehenden 18. Jahrhundert zurück.

Preußens Soldatenkönig Friedrich Wilhelm I. wies seine Beamten und die städtischen Magistrate an, Stadtwälle, Friedhöfe, Straßen, Alleen, Plätze, Gärten und andere Örtlichkeiten mit Maulbeerbäumen zu bepflanzen, um darauf Seide "wachsen" zu lassen. Die Akademie der Wissenschaften, die der bildungsfeindliche König eigentlich für überflüssig hielt und zu einem Schattendasein verurteilte, hatte das nötige Know-how für die Verarbeitung der Kokons zu beschaffen. Praktische Hilfe vermittelten gedruckte Anweisungen über die "Eigentliche Arth Den Seiden-Bau mit Nutzen und ohne besondere Mühe zu tractiren". Akademiepräsident JacobPaul von Gundling, den der Soldatenkönig zu seinem Hofnarren degradiert hatte, wurde zum Aufseher über "alle Seidenwürmer im ganzen Land" ernannt (siehe Extrabeitrag auf dieser Internetseite/Geschichte).

Um mit gutem Beispiel voranzugehen, ließ Friedrich Wilhelm I. in Königs Wusterhausen große Maulbeeralleen anlegen, doch auch in Berlin und Potsdam wurden lange Baumreihen gepflanzt. Nur wenige haben die Zeiten überstanden, so ein knorriger Baum an der Friedrichstraße in Berlin, in einem Hof schräg gegenüber vom Friedrichstadtpalast. Er wurde im späten 17. Jahrhundert von der Kurfürstin Sophie Dorothea gepflanzt und ist aufgrund seines Alters schon so hinfällig, dass er von Stahlträgern gestützt werden muss. Erfreulicherweise sprießen auch heute noch die Blätter dieses betagten Zeugen aus der Barockzeit.

König Friedrich II., der 1740 den Thron bestieg und den mal bald einen Großen nannte, forderte seine Untertanen auf, in großem Stil Maulbeerbäume anzupflanzen. Auf dem Gelände nahe der Charité, in Niederschönhausen und an anderen Stellen wuchsen tausende Maulbeerbäume. Große Plantagen gab es auch im Park des Schlosses Bellevue, dem heutigen Amtssitz des Bundespräsidenten, und in der Umgebung des Neuen Palais in Potsdam. Um die Textilindustrie zu fördern, ließ der Monarch Maulbeerbaumsamen und Jungpflanzen kostenlos an die Bevölkerung verteilen, außerdem wurde durch ein Edikt die Ausfuhr von Maulbeerbäumen verboten und ihre Beschädigung unter Strafe gestellt.

Erfolgreiche Seidenraupenzüchter erhielten Geldprämien, und außerdem wurden Prämienmedaillen geprägt, um Aktivitäten auf diesem Gebiet zu unterstützen (siehe dazu Extrabeitrag auf dieser Internetseite/Münzen und Medaillen). Das Gut in Britz ist ein Beispiel dafür, dass der preußische Adel mit Seidenanbau einen schönen Nebenverdienst erzielte. Der Minister Friedrichs des Großen, Ewald Friedrich Graf von Hertzberg, besaß hier eine Musterlandwirtschaft, die sich auch mit Seidenraupenzucht befasste. Stolz zeigte Hertzberg seinen Gästen seidene Tapeten und Möbelbezüge aus der eigener Herstellung.

Ungeachtet vielfältiger Fördermaßnahmen erfüllten sich die Hoffnungen Friedrichs II. nicht, Preußen durch Eigenproduktion mit Seide zu versorgen und die Luxusware gewinnbringend zu exportieren. Frost ließ ganze Maulbeerplantagen sterben, allgemeines Desinteresse an der aufwändigen Baum- und Kokonpflege tat ein Übriges, Prämien hin, Belohnungsmedaillen her. So kam die Seidenindustrie nach dem Tod Friedrichs II. im Jahr 1786 langsam zum Erliegen. Bliebe zu sagen, dass das Thema erst wieder im Zweiten Weltkrieg aufgegriffen wurde, als man Seidenstoffe vor allem für Fallschirme brauchte. Die Wehrmacht kaschierte die militärische Verwendung als späte Verwirklichung von Plänen Friedrichs des Großen.

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