"So, wie es ist, bleibt es nicht"
Aus der wechselvollen Geschichte des Alexanderplatzes im Herzen Berlins



Die auf Meißner Porzellantafeln im Bereich des Bahnhofs Alexanderplatz gemalte Königsbrücke führte über den ehemaligen Festungsgraben etwa an der Stelle der heutigen S-Bahn-Unterführung und verband Berlin mit der jenseits des Grabens gelegenen Königsstadt.



Die Zeichnung von Heinrich Zille zeigt, wie arme Berliner Kinder zur Weihnachtszeit Selbstgebasteltes zu verkaufen suchen, um ein wenig das Familieneinkommen aufzubessern.



"Hier, nimm diese Blumen; wenn's de se nich willst, brauchste' man blos zu sagen", legten die Berliner einst der wehrhaft kostümierten Berolina auf dem Alexanderplatz in den Mund. Die Skulptur steht auf der Platzmitte, im Im Hintergrund erkennt man die Türme des Roten Rathauses (links) und der Marienkirche.



Zur Massendemonstration am 4. November 1989 sollen eine halbe Million Berlinerinnen und Berliner gekommen sein, und zwar freiwillig.



Einen besonders guten Blick hat man vom Fernsehturm auf das bunte Treiben auf dem Alexanderplatz. Die Aufnahme stammt etwa aus dem Jahr 2012.
(Fotos/Repros: Caspar)


In seiner über zweihundertjährigen Geschichte hat sich das Gesicht des Berliner Alexanderplatzes mehrfach verändert. Der im Jahre 1805 anlässlich eines Besuchs des russischen Zaren Alexanders I. in Alexanderplatz umbenannte frühere Ochsenmarkt an der Peripherie der damaligen preußischen Haupt- und Residenzstadt entwickelte sich mit der Zeit zum größten Berliner Verkehrsknotenpunkt. Alfred Döblin hat die hektische Betriebsamkeit auf diesem zentralen Platz, heute kaum vorstellbar, in seinem Roman "Berlin Alexanderplatz" meisterhaft beschrieben. Im Zweiten Weltkrieg stark zerstört, wurde der Alex, wie die Berliner sagen, ab 1964 über seine ursprünglichen engen Grenzen hinaus weiträumig neu bebaut. Ein Warenhaus, ein Hotel und weitere Geschäftsbauten säumen den Alex. Erhalten aus den 1920er Jahren und vielfach umgebaut sind nur noch das nach Plänen von Peter Behrens unweit des S-Bahnhofs Alexanderplatz erbaute Berolinahaus und das Alexanderhaus. Seit Jahren werden Pläne heftig diskutiert, den in Richtung Karl-Marx-Allee und Haus des Lehrers offenen Alexanderplatz neu zu bebauen. Gedacht wird an Hochhäuser, die ein wenig an Manhattan erinnern und damit der Innenstadt eine Skyline geben, die die einen mögen, die anderen aber wegen der ungewohnten Dimensionen strikt ablehnen.

Berolina streut Blumen aus

An Stelle des im Zweiten Weltkrieg eingeschmolzenen Bronzedenkmals der Berolina, die als Wahrzeichen der damaligen kaiserlichen Reichshauptstadt die Vorübergehenden mit Blumen in der Hand und gepanzerter Brust hoheitsvoll grüßte, wurde die Weltzeituhr errichtet. Auf dem sich ständig drehenden Zeitmesser kann man lesen, wie spät es in anderen Ländern und Kontinenten gerade ist. Als Treffpunkt und Fotomotiv ist die Uhr auf einer zehn Meter hohen Säule bei den Berlinern und ihren Gästen sehr beliebt. Das gleiche gilt auch für den Brunnen der Völkerfreundschaft, der einen Durchmesser von 23 Metern erreicht und 6,20 Meter hoch ist. Wie die Weltzeituhr ist dieser Wasserspender aus Kupfer, Glas, Keramik und Emaille ein unter Denkmalschutz stehendes Relikt aus DDR-Zeiten und Zeugnis für den Kunstgeschmack der sechziger Jahre. Seit einigen Jahren schmückt eine luftig-leichte, aus Drahtgeflecht gefertigte neue Berolina den Hausvogteiplatz als Erinnerung daran, dass hier vor vielen Jahrzehnten die Berliner Textilindustrie ansässig war.

Ein Wort über die Umstände, die zur Namensgebung des Alexanderplatzes führten. Das Verhältnis zwischen Preußen und Russland war im frühen 19. Jahrhundert von manchem Auf und Ab geprägt. Als 1805 Alexander I. von Russland und Erzherzog Anton von Österreich, ein Bruder des damaligen römisch-deutschen Kaisers Franz II., in Berlin weilten, versuchten sie, Friedrich Wilhelm III. zum Eintritt in einen Krieg gegen das napoleonische Frankreich zu bewegen. Der Zar war über die Ehrung erfreut und bedankte sich bei seinem Gastgeber. In der Nacht vom 4. zum 5. November 1805 traf er sich mit dem Königspaar, Friedrich Wilhelm III. und der aus Strelitz stammenden Königin Luise, in der Potsdamer Garnisonkirche. Unter "lebhaften Umarmungen" sollen die beiden Monarchen an den Särgen des preußischen Soldatenkönigs Friedrich Wilhelm I. und Friedrichs II., des Großen, einander unverbrüchliche Treue geschworen haben. Ein Jahr später stand Napoleon I., der Sieger der Schlacht von Jena und Auerstedt, an der gleichen Stelle und soll nachdenklich gesagt haben, wenn "der hier", also Friedrich II., noch lebte, stünde er, der Kaiser der Franzosen, nicht an diesem Ort.

Bei Ausgrabungen unweit des Alexanderplatzes im Zusammenhang mit dem Bau einer Tiefgarage stießen Archäologen auf Gebäudereste aus dem 18. Jahrhundert. Sie liegen auf einem Friedhof, der 1713 in der Königsstadt angelegt und um 1810 geschlossen wurde. Fachleute halten die Mauern für Fundamente einer ehemaligen Exerzierhalle. Auf dem früheren Friedhof wurden zahlreiche Skelette ausgegraben. Nachdem alle Funde dokumentiert sind, konnte mit dem Bau der Tiefgarage begonnen werden. "Rücktritt ist Fortschritt"

Der Alexanderplatz war in DDR-Zeiten Schauplatz von Jugendfestivals und anderen von der SED angeordneten und vom Staat sowie den Massenorganisationen finanzierten Lustbarkeiten. Diese Zusammenkünfte oft mit westdeutschen und ausländischen Gästen wurden streng von der Staatssicherheit überwacht, und wer ihr nicht als politisch zuverlässig, gar als asozial in den Kram passte, wurde schon im Vorfeld am Betreten der Festmeile zwischen Weltzeituhr, Brunnen der Völkerfreundschaft und Rotem Rathaus gehindert. Freiwillig kamen am 4. November 1989 fast eine Million Ostberliner auf dem Alex zur größten Demonstration zusammen, die die DDR in ihrer vierzigjährigen Geschichte gesehen hat. Plakate mit Aufschriften wie "Stasi an die Stanze", "Öko-Daten ohne Filter", "Kein Artenschutz für Wendehälse", "Rücktritt ist Fortschritt" sowie "Sägt die Bonzen ab - nicht die Bäume", "Glasnost statt Süßmost", "Skepsis bleibt erste Bürgerpflicht", "Privilegien für alle" und "Eine Lüge tötet hundert Wahrheiten" wurden mitgeführt. Dazu hat man Karikaturen mit dem erst vor kurzem seiner Posten enthobenen Erich Honecker hinter Gittern sowie von Egon Krenz als zähnefletschender Wolf mit weißem Häubchen aus dem Märchen vom Rotkäppchen in die Höhe gehalten. Ähnliche Bilder und Parolen waren schon zuvor in Leipzig, Plauen und anderswo bei Demonstrationen mitgeführt worden.

Jubelnder Beifall brandete auf, als die Schauspielerin Steffi Spira aus Bertolt Brechts Gedicht "Lob der Dialektik" zitierte, in dem steht "Wer noch lebt, sage nicht: niemals! / Das Sichere ist nicht sicher. / So, wie es ist, bleibt es nicht. / Wenn die Herrschenden gesprochen haben / Werden die Beherrschten sprechen" und die Wandlitzer Politbürokraten zum "Abtreten" aufforderte. Eiskalt lief es vielen den Rücken herunter, als der bisher geächtete Schriftsteller Stefan Heym der Menge zurief "Es ist, als habe einer die Fenster aufgestoßen nach all den Jahren der Stagnation - der geistigen, der wirtschaftlichen, der politischen, nach all den Jahren der Dumpfheit und des Miefs, des Phrasengewäschs und der bürokratischen Willkür".

Die Schriftstellerin Christa Wolf, die sich mit anderen Rednern zum Hierbleiben und Mitmachen einsetzte, stellte verwundert fest, was bisher so schwer auszusprechen war, gehe uns jetzt auf einmal frei von den Lippen. "Wir staunen, was wir offenbar schon lange gedacht haben und was wir uns jetzt laut zurufen: ,Demokratie - jetzt oder nie!', und wir meinen Volksherrschaft". Sie warnte vor Wendehälsen und Trittbrettfahrern und forderte die reichlich erschienenen Polizisten und Sicherheitsleute auf: "Zieht euch um und schließt euch an". Der Schriftsteller Christoph Hein betonte, Begeisterung und Demonstrationen seien hilfreich und erforderlich, würden aber nicht die Arbeit ersetzen. "Schaffen wir eine demokratische Gesellschaft, auf einer gesetzlichen Grundlage, die einklagbar ist! Einen Sozialismus, der dieses Wort nicht zur Karikatur macht. Eine Gesellschaft, die dem Menschen angemessen ist und ihn nicht die Struktur unterordnet".

Gebäude unter Denkmalschutz

Das Landesdenkmalamt hat Prominente Bauwerke am Alexanderplatz aus der Zeit um 1970 unter Denkmalschutz gestellt. Es handelt sich um das Haus des Berliner Verlages, das 1970 bis 1973 nach Plänen der Architekten Karl-Ernst Swora, Rainer Hanslik, Günter Derdau, Waldemar Seifert und Gerhard Voss erbaut wurde. Zu dem Komplex gehören auch das Pressecafé und der Bilderfries "Sozialistische Presse", eine Arbeit des Malers Willi Neubert, die nach dem Ende der DDR als so unerträglich empfunden wurde, dass sie verkleidet und damit unsichtbar gemacht wurde. Unter Schutz steht ferner das Haus des Reisens, das 1969 bis 1972 von den Architekten Roland Korn, Johannes Brieske und Roland Steiger mit dem gut erhaltenen Kupferrelief "Der Mensch überwindet den Raum" von Walter Womacka. Schließlich steht die 1970 errichtete Weltzeituhr als beliebtes Wahrzeichen auf der Berliner Denkmalliste.

Die Berliner Denkmalpflege begründete die Unterschutzstellung damit, dass Berlin die einzige Metropole weltweit ist, die in ihrem Stadtbild Zeugnisse der beiden politischen Blöcke in der Zeit des Kalten Krieges vereinigt. Mit großem Ehrgeiz hätten die beiden deutschen Staaten an ihrem repräsentativen Erscheinungsbild als "Hauptstadt der DDR" bzw. als "Schaufenster des Westens" gearbeitet. Ost-Berlin sollte eine sozialistische Vorzeigestadt werden, wobei dem Alexanderplatz besondere Bedeutung zukam. Senatsbaudirektorin Regula Lüscher betonte bei der Unterschutzstellung, die genannten Bauwerke seien Zeugnisse von künstlerischer, städtebaulicher und geschichtlich überragender Bedeutung. Den gleichen Status besitzen schon seit längerem der S- und U-Bahnhof Alexanderplatz, das Berolinahaus und das Alexanderhaus, das Haus des Lehrers und die Kongresshalle sowie der Brunnen der Völkerfreundschaft.

7. Januar 2017

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