Ab in den Giftschrank!
Staatsbibliothek übernahm das Pressearchiv des Berliner Verlags / Urteile von 1966 und 1989 über den Film "Spur der Steine"



Unkonventionell und respektlos auftretende Bauarbeiter wie Hannes Balla (Mitte) und seine Kumpels waren für die SED-Führung ein Gräuel. Zwar forderten Ulbricht, Honecker und Genossen, das Leben so darzustellen, wie es ist. Aber wenn die Verhältnisse in der DDR allzu realistisch gezeigt wurden, setzte es von oben harsche Kritik sowie Verbote und Berufsverbot.



Der beliebte Schauspieler und Sänger Manfred Krug verließ 1977 im Zusammenhang mit der Ausbürgerung von Wolf Biermann die DDR, deren Presse ihn als Schmarotzer und Verräter verunglimpfte.



Mit solchen Fernschreiben hat die SED-Führung die DDR-Medien angewiesen, nichts über kritische DDR-Filme zu veröffentlichen. Der Absender Rudolf (Rudi) Singer war Leiter der Abteilung Agitation im ZK der SED und stellvertretender Vorsitzender der Agitationskommission beim Politbüro und von 1966 bis 1971 Chefredakteur des Zentralorgans "Neues Deutschland".



Ein Magazingebäude im Berliner Westhafen birgt mit der Zeitungssammlung der Staatsbibliothek zu Berlin einen Schatz, der nur darauf wartet, dass er gehoben und publik gemacht wird.



Ende 1989 wurden die verbotenen Defa-Filme aus der Versenkung geholt und wieder mit großem Beifall aufgeführt. Die Karikatur von Helmut Jacek (www.helmut-jacek.de) in der Berliner Zeitung nimmt auf die Rehabilitation von "Spur der Steine" ziemlich zahm Bezug.



Egon Krenz (rechts) hat es wenig genutzt, dass er sich gemeinsam mit Manfred Krug den aus der Versenkung gehobenen Film "Spur der Steine" ansah. Kurz darauf war der Nachfolger von Erich Honecker als SED-Chef und Staatsratsvorsitzender weg vom Fenster. (Foto/Repros: Caspar)

Die Staatsbibliothek zu Berlin Preußischer Kulturbesitz konnte vor einigen Monaten das Pressearchiv des Berliner Verlags übernehmen. Das "Bibliotheksmagazin - Mitteilungen aus den Staatsbibliotheken in Berlin und München" berichtet im Heft 1/2017 ausführlich über diese Neuerwerbung und hebt den Wert alter Zeitungen für die Erforschung der Zeit- und Kulturgeschichte im weitesten Sinne hervor. Es stimme nicht, wenn gesagt wird, nichts sei so alt wie die Zeitung von gestern, schreibt Christoph Albers, stellvertretender Leiter der Zeitungsabteilung der Staatsbibliothek, und stellt dieser verbreiteten Aussage den Satz des britischen Historikers, Dichters und Politikers Thomas Macaulay (1800-1859) gegenüber "Die Geschichte eines Volkes liegt in seinen Zeitungen". Das Massenmedium Zeitung sei, so Albers weiter, wenn man so will, "das Kondensat der Zeitgeschichte: was heute passiert, steht morgen in der Zeitung. Auch wenn längst nicht alles in der Zeitung steht und das Gedruckte auch nicht immer - ob beabsichtigt oder irrtümlich - der Wahrheit entspricht, so spiegeln dennoch Zeitungen in ihrer Vielfalt und politischen Ausrichtung wie kein anderes Medium, was sich politisch, gesellschaftlich, wirtschaftlich und kulturell von lokal bis international ereignet hat und wie diese Ergebnisse von Journalisten - seien sie nun unabhängig oder an Partei und Staat gebunden - gesehen und bewertet werden."

Aus den nur zum alsbaldigen Gebrauch gedruckten Zeitungen und Journalen lassen sich interessante Dinge herauslesen. Da sie allgemein zugänglich waren und sind, wird man von ihnen nicht erwarten, dass sie Geheimnisse lüften, stellt der Verfasser fest. Das der Berliner Staatsbibliothek vom Dumont-Verlag geschenkte Presseausschnittarchiv umfasst mehr als zehn Millionen Zeitungstexte, die auf A-4-Bögen geklebt und in unzähligen Leitzordnern nach Themen, Namen und anderen Kriterien abgeheftet sind. Die 1800 Regalmeter sind in der Zeitungsabteilung der Staatsbibliothek in einem Speicherhaus am Berliner Westhafen archiviert und können dort angesehen werden. Erfasst sind Ausschnitte aus DDR-Zeitungen von 1945 bis 1994 sowie aus Blättern der Bundesrepublik Deutschland.

Hannes Balla lässt sich nichts gefallen

Was da zwischen den Pappdeckeln abgeheftet ist, schildert Christoph Albers am Beispiel des Presseechos, das der im Sommer 1966 für wenige Tage öffentlich gezeigte, dann aber von der wütenden SED-Führung verbotene Defa-Film " Spur der Steine" mit Manfred Krug in der Rolle des Hannes Balla. Dieser macht den Ortsgewaltigen und insbesondere einem Parteisekretär auf einer Baustelle im Dreieck Halle-Leuna-Schkopau das Leben schwer, er ist der Schrecken aller Angepassten und Feiglinge, tritt provozierend auf. Krug verkörpert einen Mann, der sich nichts gefallen lässt, und genau das ist es, was die SED überhaupt nicht verträgt. Der Film nach dem seinerzeit weit verbreiteten Roman von Erik Neutsch "Die Spur der Steine" wurde vom Blatt der Ost-CDU "Neue Zeit" zunächst mit Vorschusslorbeeren als "interessante und lebendige künstlerische Gestaltung eines bedeutenden Themas aus der sozialistischen Gegenwart" bedacht. Nach der unspektakulären Uraufführung im Rahmen der 8. Arbeiterfestspiele der DDR in Potsdam lief der Streifen, der wohl die innerbetriebliche Zensur in der Defa und im Kulturministerium passiert hatte, noch drei Tage in einigen DDR-Kinos. Ursprünglich sollte "Spur der Steine" (Drehbuch Karl Georg Egel und Frank Beyer) landesweit in die DDR-Kinos kommen und sogar beim Internationalen Filmfestival von Karlovy Vary gezeigt werden.

Vor dem Hintergrund des Machtwechsels in der Sowjetunion von Nikita Chruschtschow zu Leonid Breschnew und im Zeichen einer neu einsetzenden politischen und kulturellen Eiszeit wurde der Film wegen angeblicher "antisozialistischer Tendenzen" und verzerrter Darstellung des Kampfes der SED für das Wohl des Volkes verboten und kam ins Archiv. Die Zuschauer hatten sich sehr zum Ärger der völlig humorlosen Politbürokraten mit Ulbricht und Honecker an der Spitze etwa an der Stelle amüsiert, wo Balla einen Volkspolizisten in einen Teich schubst und dem Parteisekretär, mit dem er um eine Frau buhlte, seine Verachtung ins Gesicht schleudert. Erst im Wendeherbst 1989 wurde der Film aus dem Giftschrank geholt und in der DDR mit großem Erfolg aufgeführt. Die DDR-Presse lobte ihn jetzt, und mancher Schreiber wird sich seiner Schmähungen von 1966 ungern erinnert haben. Bald schon war "Spur der Steine" bei der Berlinale 1990 in Westberlin zu sehen. Ende November 1989 ließ sich Egon Krenz, der Nachfolger von Erich Honecker, herab, den Hauptdarsteller Manfred Krug bei einer Aufführung im Berliner Kino International zu begrüßen, wohl um sich als liberaler, kunstfreundlicher Mann, als ein Mann der "Wende" zu präsentieren.

Am 6. Juli 1966 hatte das SED-Zentralorgan "Neues Deutschland" den Film einer vernichtenden Kritik unterzogen. Ein gewisser Hans Konrad, vermutlich ein Pseudonym, behauptete, Regisseur Frank Beyer habe "der Wahrheit unserer sozialistischen Gesellschaft Gewalt" angetan. Der Film verzerre die Wirklichkeit, führe einen unfähigen, moralisch verkommenen Parteisekretär vor und sei insgesamt misslungen. Er erfasse nicht das Ethos, die politisch-moralische Kraft der Partei der Arbeiterklasse und der Ideen des Sozialismus, bringe dafür aber Szenen auf die Leinwand, "die bei den Zuschauern mit Recht Empörung auslösten." Unter Berufung auf diese, wie wir heute sagen würden, besorgten Bürger wurde der Film aus dem Programm genommen. Die Mitwirkenden, insbesondere Regisseur Frank Beyer, wurden gemaßregelt. Manfred Krug verließ 1977 im Zusammenhang mit der Ausbürgerung von Wolf Biermann die DDR. Deren Medien warfen dem ehemals gefeierten, jetzt als Verräter und Schmarotzer verunglimpften Filmstar jede Menge Dreck hinterher, was in der Zeitungsausschnittsammlung im Berliner Westhafen auch nachgelesen werden kann.

Sauberer Staat und die Aktion Kahlschlag

Nach dem ganz von oben, direkt aus dem Zentralkomitee angeordneten Verriss verschwand "Spur der Steine" aus der Öffentlichkeit, so wie es auch anderen gesellschaftskritischen Defa-Streifen erging. Sie waren allesamt Opfer eines scharfen Kurswechsels in Sachen Kultur auf der 11. Tagung des Zentralkomitees der SED vom 16. bis 18. Dezember 1965 in Berlin. Intern wurde das Plenum, auf dem Erich Honecker die DDR als einen "sauberen Staat" charakterisierte, "Aktion Kahlschlag" genannt. Die parteiamtliche Aufforderung an die Künstler der DDR, das Leben so darzustellen wie es ist, war von einigen Literaten, Filmemachern und Malern allzu wörtlich genommen. Ihre als subversiv und als antisozialistisch eingestuften Romane, Gedichte, Filme, Gemälde und andere Arbeiten wurden von der Zensur unterdrückt und brachten die Stasi auf den Plan. Es kam zu Berufsverboten, und wer konnte, stellte einen Ausreiseantrag und verließ, wenn er Glück hatte, den ungeliebten Arbeiter-und-Bauern-Staat.

Um die Teilnehmer des 11. Plenums ideologisch scharf zu machen, bekam jeder von ihnen eine 150 Seiten starke Lesemappe, die aber nur im ZK-Gebäude eingesehen werden durfte. Die nur zum persönlichen Gebrauch bestimmte Lektüre bestand aus Gutachten zu einzelnen Kunstwerken, Urteilen über aktuelle Tendenzen im kulturellen Bereich der DDR sowie Stasi-Berichten über die politisch-ideologische Lage an den Universitäten und Hochschulen, wo sich viel Oppositionspotenzial angesammelt hatte. Wer das "Material" las, musste den Eindruck gewinnen, die seit 1961 von einer Mauer umgebene DDR werde von schreibenden und malenden Agenten des westdeutschen Imperialismus massiv bedroht, und es müsse unbedingt etwas geschehen, um der schlimmen Entwicklung Einhalt zu gebieten. Honecker, der 1971 Ulbrichts Erbe antrat und seinen Ziehvater in die Wüste schickte, behauptete, DDR-Künstler aller Art würden dem Westen zuarbeiten, und dabei müssten sie der SED doch ewig dankbar sein, dass sie sie zum Wohle der Werktätigen in der DDR herrliche Entwicklungs- und Arbeitsmöglichkeiten gibt.

Das Kaninchen bin ich

Mit Blick auf die DDR behauptete Honecker, damals noch Mitglied des Politbüros des ZK der SED: "In ihr gibt es unverrückbare Maßstäbe der Ethik und Moral, für Anstand und gute Sitte. In den letzten Monaten gab es einige Vorfälle, die unsere besondere Aufmerksamkeit erforderten. Einzelne Jugendliche schlossen sich zu Gruppen zusammen und begingen kriminelle Handlungen, es gab Vergewaltigungen und Erscheinungen des Rowdytums. Hier zeigt sich wiederum der negative Einfluss von Westfernsehen und Westrundfunk auf Teile unserer Bevölkerung. Wir stimmen jenen zu, die feststellen, dass die Ursachen für diese Erscheinungen der Unmoral und einer dem Sozialismus fremden Lebensweise auch in einigen Filmen, Fernsehsendungen, Theaterstücken, literarischen Arbeiten und in Zeitschriften bei uns zu sehen sind. Es häuften sich in letzter Zeit auch in Sendungen des Deutschen Fernsehfunks, in Filmen und Zeitschriften antihumanistische Darstellungen. Brutalitäten werden geschildert, das menschliche Handeln auf sexuelle Triebhaftigkeit reduziert." Die Schriftstellerin Brigitte Reimann kommentierte die hasserfüllte Attacke entsetzt: "Heute war die Rede Honeckers auf dem ZK-Plenum abgedruckt. Die Katze ist aus dem Sack: die Schriftsteller sind schuld an der sittlichen Verrohung der Jugend. Destruktive Kunstwerke, brutale Darstellungen, westlicher Einfluß, Sexualorgien, weiß der Teufel was - und natürlich die böse Lust am Zweifeln. Die Schriftsteller stehen meckernd abseits, während unsere braven Werktätigen den Sozialismus aufbauen."

Das Verdikt der Staatspartei traf fast die ganze Jahresproduktion 1966 der Defa, die wie der vom Regisseur Kurt Maetzig geschaffene Streifen "Das Kaninchen bin ich" auch Kaninchenfilme, aber auch weil sie niemals aufgeführt waren und im Keller verschwanden, Kellerfilme genannt wurden. Ein großer Teil der von der Zensur unterdrückten Kaninchenfilme stammt aus einer Zeit, da viele Künstler und Kulturschaffende im Vertrauen auf Liberalisierungstendenzen Werke schufen, die sich nicht stur an der Parteilinie orientierten, sondern das Leben schilderten, wie es ist und nicht wie es sein soll. Der populärste Kellerfilm war der unter der Regie von Frank Beyer gedrehte Film "Die Spur der Steine". Weitere seinerzeit verbotene oder gar nicht erst fertig gestellte Filme waren (in Auswahl): "Der Frühling braucht Zeit" (Günter Stahnke, 1965), "Karla" (Herrmann Zschoche, 1966), "Berlin um die Ecke" (Gerhard Klein, 1965), Wenn du groß bist, lieber Adam (Egon Günther, 1965), "Hände hoch oder ich schieße" (Hans-Joachim Kasprzik, 1966), "Der verlorene Engel (Ralf Kirsten, 1966, über Ernst Barlach) "Jahrgang 45" (Jürgen Böttcher, 1966). Damit nicht genug wurden auch später hergestellte Filme verboten. Manche wurden nach der "Wende" 1989/90 aus den Verliesen geholt und erstmals gezeigt. Im Zeitungsarchiv der Staatsbibliothek befinden sich sozusagen die Ende 1989 gedruckten Fortsetzungen jener Artikel von 1966, in denen von Betroffenheit und Scham die Rede ist. Erst jetzt konnte gesagt werden, worum es eigentlich in der Geschichte rund um Hannes Balla und seinen Freunden geht, um die von Ulbricht, Honecker und Genossen gefürchtete Auseinandersetzung mit Machtmissbrauch, Planmanipulation, Materialverschwendung, Heuchelei, Anmaßung, vermeintliche Unfehlbarkeit der Partei der Arbeiterklasse.

Ulbricht als oberster Kunstrichter

Die Plenartagung Ende 1965 ging nicht nur mit unbotmäßigen Künstlern und unerwünschter Kunst ins Gericht. Im Sinne des SED-Chefs und Staatsratsvorsitzenden Walter Ulbricht, der sich wie weiland Kaiser Wilhelm II. zum obersten Richter in Sachen Kunst, Kultur und Lebensweise aufschwang, wurde auch die junge Generation und ihr unangepasstes, als unsozialistisch diffamiertes Gebaren verdammt. Das Zentralkomitee der SED verlangte die schlichte, vor allem zukunftsfrohe Abschilderung der Alltags- und Arbeitswelt im Sinne des sozialistischen Realismus, doch waren nicht alle Künstler dazu bereit. Die vom 11. Plenum ausgehende neue Eiszeit wirkte sich verheerend auf das geistige und kulturelle Klima in der DDR aus. Die SED-Führung glaubte nach dem Mauerbau vom 13. August 1961 die Zügel anziehen zu können und vorzuschreiben, was gedichtet, gemalt, dargestellt, fotografiert und gefilmt wird. Manche Künstler mit und ohne Parteibuch fühlten sich, als würden sie bei dem Generalangriff auf "schädliche Tendenzen" zur Schlachtbank geführt. Ulbricht warf "einigen Kulturschaffenden" vor, sie hätten die große schöpferische Freiheit, die die sozialistische Gesellschaftsordnung ihnen gewährt, "so verstanden, dass die Organe der Gesellschaft auf jede Leitungstätigkeit verzichten und Freiheit für Nihilismus, Halbanarchismus, Pornographie und andere Methoden der amerikanischen Lebensweise gewähren." Gemeint war unter anderem Biermann, "der seine Kloakenbegriffe benutzt zur Besudelung der Partei der Arbeiterklasse, für deren hohe Ziele sein eigener Vater von den Faschisten ermordet wurde", behauptete der für kulturelle Dinge zuständige SED-Funktionär Alexander Abusch.

Einzig die Schriftstellerin Christa Wolf, damals Kandidatin des ZK der SED, wagte es auf der ZK-Tagung, diesen kulturpolitischen Kurs infrage zu stellen, kam mit ihren Einwänden aber nicht durch. Bekannte Künstler wandten sich, da sie im Sinne der SED nicht "parteilich" genug malten, schrieben, sprachen und sich bewegten und deshalb in ihrem Schaffen behindert wurden, von der DDR ab und reisten aus. Manche verloren wie der systemkritische Wissenschaftler Robert Havemann ihre Arbeit oder wurden wie sein Freund, der Liedermacher Wolf Biermann, ausgebürgert. Von dem durch eine bornierte Funktionärsclique provozierten Exodus hat sich die DDR niemals erholt.

24. Januar 2017

Zurück zur Themenübersicht "Berlin, Potsdam, Land Brandenburg"