"Lebe im Ganzen"
Berliner Erinnerungen aus Bronze und Stein an die Pädagogen Diesterweg, Comenius und Hecker



Robert Metzkes ehrt Diesterweg durch eine auf zwei niedrigen Stufen stehenden Bronzeskulptur mit Kindern und Tieren.



Das im Böhmischen Dorf, mitten im Bezirk Neukölln, aufgestellte Comenius-Denkmal erinnert an einen bedeutenden Menschenfreund, Theologen und Gelehrten mit Weitblick.



Der mit einer Porträtplakette von Comenius geschmückte Findling wurde 1987 zum 250jährigen Jubiläum des Böhmischen Dorfes enthüllt.



Ein Zögling der Realschule ehrt Johann Julius Hecker Park von Schloss Köpenick, dem Sitz des ersten preußischen Lehrerseminars, mit einem Lorbeerzweig. (Fotos: Caspar)

Ein liebenswertes Bronzedenkmal für den Pädagogen Friedrich Adolph Wilhelm Diesterweg (1790 -1866) steht an der Burgstraße auf einer kleinen Grünfläche, vis à vis der Berliner Museumsinsel. Die Wiese am Wasser heißt James-Simon-Park und erinnert an einen der ganz Großen unter den Berliner Mäzenen der Kaiserzeit. Der jüdische Textilhändler und Kunstsammler James Simon (1851-1932), dem die Staatlichen Museen unter anderem die Büste der altägyptischen Königin Nofretete verdanken, ist auf einer Gedenktafel dargestellt, die 2006 neben dem Eingang der Baden-württembergischen Landesvertretung an der Tiergartenstraße angebracht wurde, genau auf dem Platz, wo bis zum Ende des Zweiten Weltkrieg die Villa Simon stand. Die von Johannes Grützke gestaltete Tafel ehrt einen Berliner, der "für einen Gemeinsinn (stand), der 1933 gewaltsam zerstört wurde". Dass das neue Eingangsgebäude für die fünf Häuser auf der Berliner Museumsinsel nach James Simon heißt, ist ein weiser Entschluss, denn mit dieser Namensgebung wird ein großer Menschen- und Kunstfreund wieder ins öffentliche Bewusstsein zurück geholt, dessen Name während der Nazizeit aus rassistischen Gründen nicht erwähnt werden durfte und nach 1945 nur noch Kennern als Mäzen und sozial engagierter Mensch ein Begriff war.

Zu James Simon passt ein anderer Menschenfreund - Adolph Diesterweg. Der Bildhauer Robert Metzkes hätte sich mit einer Büste vor einem Gebäude der Humboldt-Universität zu Diesterwegs 200. Geburtstag zufrieden geben können. Doch schuf der Bildhauer ein auf zwei niedrigen Stufen stehendes Ensemble mit Kindern und Tieren. Ein Junge im Pierrotkostüm mit einem Zweispitz in der Hand schaut gedankenversunken vor sich hin, ein anderer betrachtet ein kleines Gürteltier, das vor ihm auf dem Tisch läuft. Dazu kommen ein astronomisches Messgerät, eine Früchteschale, Tulpen sowie eine Taube, die gleich wegfliegen will. Die beiden Jungen würdigen Diesterwegs Büste, die wie zufällig auf dem Tisch steht, keines Blickes. Dass es sich um das Denkmal eines berühmten Lehrers und Schulreformers handelt, ist nicht sofort zu erkennen. Aufklärung gibt eine an den Tisch gelehnte ovale Tafel mit der Losung "Lebe im Ganzen! A. Diesterweg."

Solide Bildung für Kinder aus unteren Schichten

Mit dem Bronzedenkmal wird ein Mann geehrt, der frühzeitig mit den Ideen des Schweizer Pädagogen Johann Heinrich Pestalozzi (1746-1827), der sich als Menschenfreund, Schul- und Sozialreformer, Philosoph sowie Politiker einen Namen gemacht hatte und weit bis in unsere Zeit hinein wirkt. in Berührung kam und ab 1832 in Berlin tätig war. Diesterweg trat für die Reformierung des Volksschulwesens und besonders für eine bessere pädagogische Ausbildung und soziale Anerkennung der Volksschullehrer ein. Er schrieb Schulbücher über Mathematik, Geometrie und deutsche Sprache, gab das "Pädagogische Jahrbuch für Lehrer und Schulfreunde" heraus, ferner eine "Populäre Himmelskunde und Mathematische Geographie", die zahlreiche Auflagen erlebte, und einen "Wegweiser zur Bildung für Deutsche Lehrer". Nicht zu vergessen sind zahlreiche Abhandlungen, in denen er sich für eine solide Bildung der Kinder aus unteren sozialen Schichten einsetzte. Diesterweg wandte er sich gegen den Einfluss der Kirche, aber auch des Staates auf die Schule, verurteile geistigen Drill und forderte eine pädagogisch-fachliche statt geistliche Schulaufsicht.

Die Hoffnungen, die der Schulreformer in die Revolution von 1848/48 setzte, blieben unerfüllt. Dagegen verschafften ihm seine bildungs- und sozialpolitischen Forderungen bei der preußischen Obrigkeit den Ruf eines Umstürzlers, weshalb er 1850 zwangspensioniert wurde. Diesterweg ließ sich davon nicht beirren und kämpfte als Landtagsabgeordneter und Stadtverordneter weiter gegen die massiven Einmischungsversuche des Staates auf das Schulwesen. So blieb es nicht aus, dass sein Name in den politischen Auseinandersetzungen für Polemiken und Wortspiele benutzt wurde. Da der Pädagoge den Einfluss der Kirche auf die Schule bekämpfte und die Trennung von evangelischen und katholischen Schülern in Konfessionsschulen als bornierte Dummheit kritisierte, tönte es von den Kanzeln: "Diesterweg, wüster Weg". Dem hielten progressive Lehrervereine mutig die Parole "Diesterweg - dies ist der Weg" entgegen, und das war auch gut so. Zwischen 1987 und 1992 wurde unweit des Böhmischen Dorfs in Neukölln, dem früheren Rixdorf, eine Anlage geschaffen, die in Berlin ihresgleichen sucht - der Comenius-Garten. Benannt nach dem Theologen und Lehrers Johann Amos Comenius (1592-1670), lehnt sich dieses nur 7000 Quadratmeter große Paradies abseits des brausenden Großstadtverkehrs auf der Karl-Marx-Straße an pädagogischen und aufklärerischen Vorstellungen des Universalgelehrten und letzten Bischofs der Böhmischen Brüdergemeinde an. Comenius forderte einen systematischen Unterricht in der Aufeinanderfolge von häuslicher Erziehung, Volksschule, Lateinschule und Universität. In seinen Schulen wurden Kinder unabhängig von Geschlecht und Herkunft unterrichtet, wobei statt die Muttersprache statt des üblichen Latein verwendet wurde. Comenius' Buch "Orbis sensualium pictus" (Die sichtbare Welt, Nürnberg 1658) war das erste europäische Schulbuch mit Texten und Bildern.

Wächter und fürsorglicher Vater

Obwohl schon einige Jahrzehnte tot, war Comenius für die hier vor den Toren der preußischen Residenz Anfang des 18. Jahrhunderts auf Befehl Friedrich Wilhelms I. angesiedelten böhmischen Glaubensflüchtlinge ein geistlicher Vater und moralischer Halt. Dem Monarchen wurde 1912 an der Kirchgasse nur wenige Schritte vom heutigen Comenius-Garten entfernt ein Bronzedenkmal gewidmet. An Jan Amos Comenius, der im Tschechischen Jan Amos Komenský heißt, erinnert außerdem ein Granitfindling mit bronzener Bildnisplakette an der Ecke Kirchgasse/Richardstraße, während er überlebensgroß, ein Käppchen auf dem Kopf und mit einem langen Mantel bekleidet auf einem flachen Sockel mitten in dem nach ihm benannten Garten gleichsam als Wächter und fürsorglicher Vater steht. Geschaffen wurde die bronzene Skulptur von dem Bildhauer Josef Vajce. Er hat das langbärtige Oberhaupt der Brüdergemeinde mit einer freundlichen Handbewegung dargestellt, als wolle er den Flaneur zu einer Disputation oder zum Besuch des Gottesdienstes einladen. Gemälde und in Kupfer gestochene Porträts, die Comenius mit einer solchen Geste darstellen, sind aus dem 17. Jahrhundert überliefert und dienten Vajce als Vorlagen.

Das Denkmal wurde 1992 zum 400. Geburtstag von Comenius vom damaligen Parlamentspräsidenten der Tschechischen und Slowakischen Republik, dem namhaften Reformpolitiker Alexander Dubcek, als Geschenk seines Landes an die Bundesrepublik Deutschland eingeweiht. Damit rückte ein Gelehrter ins allgemeine Bewusstsein, der die Natur als Werkstatt des Wissens auffasste, als ein von Menschen wiedergewonnenes Paradies. Der Comenius-Garten ist alles andere als eine edel gestaltete barocke Anlage mit kostbaren, penibel gepflegten Gewächsen. Am Eingang am Karl-Marx-Platz/Richardplatz beginnend, gibt es im Uhrzeigersinn einen Rundgang durch das Leben des Menschen: von der Schule des vorgeburtlichen Werdens, wie Comenius sagte, über die Mutterschule, die Gemeine Schule, die Lateinschule und den Akademiebereich bis hin zur Schule des Berufs und zur Greisenschule, die in der Seniorentagesstätte angesiedelt ist. Endpunkt ist der Böhmische Friedhof, der als Schule des Todes aufgefasst ist. Ergänzt wird der auch mit einigen wissenschaftlichen Messgeräten aus Comenius' Zeiten ausgestattete Garten von einem Labyrinth, dem Seelenparadies und dem Seminargebäude, von dem es nur wenige Schritte zum Comeniusdenkmal sind.

Der evangelische Theologe Johann Julius Hecker (1707-1768) gilt als Gründer der praxisorientierten Realschule und war auch der Schöpfer des ersten preußischen Lehrerseminars. An ihn erinnert im Garten des heute als Kunstgewerbemuseum genutzten Schlosses Köpenick ein Denkmal aus Stein. Ein junger Mann ehrt mit einem Lorbeerzweig den aus einer niederrheinischen Lehrerfamilie stammenden Hecker, dessen Bronzebildnis in den Stein eingelassen ist. Nach dem Studium der Theologie, alten Sprachen, Medizin und Naturwissenschaften in Hecker wurde Hecker 1735 zum Prediger, Lehrer und Inspektor des Militärwaisenhauses in Potsdam berufen und 1738 zum ersten Prediger an der Berliner Dreifaltigkeitskirche vom Soldatenkönig Friedrich Wilhelm I. ernannt, der Heckers Ideen sehr zugetan war und ihn in seinen Reformbemühungen unterstützte. Der Ruf erfolgte, nachdem der König von einer Predigt Heckers so beeindruckt war, dass er ihn beauftragte, Prediger an der neugebauten Dreifaltigkeitskirche zu Berlin z werden. "Er muß, wie er heute hier gethan, den Leuten auf der Friedrichstadt den Herrn Jesum predigen und sich der Jugend recht annehmen, denn daran ist das Meiste gelegen."

Praktika bei Handwerkern und Arbeit im Schulgarten

Johann Julius Hecker kaufte 1746 das verwaiste Gebäude des Friedrichstädtischen Gymnasiums in Berlin und gründete dort in Gestalt der Ökonomisch-mathematischen Realschule einen neuen Schultyp. 1750 wurde er zum Oberkonsistorialrat ernannt. Zur Verbreitung und Förderung von vornehmlich pädagogischen Schriften und Ideen gründete er außerdem eine Verlagsbuchhandlung und eine Wochenzeitschrift. 1748 gründete er ein Lehrerseminar, aus dem 1753 das Kurmärkische Landschullehrerseminar hervorging und das seit 1753 seinen Sitz im Schloss Köpenick, das vom Kurfürsten Friedrich III., ab 1701 König Friedrich I. in Preußen, erbaut, von den Hohenzollern aber nicht mehr bewohnt wurde. Der hier von ihm gegründeten Realschule wurde noch ein Küster- und Schulmeisterseminar angegliedert.

Seine Schüler nahmen an Praktika in Handwerksbetrieben und Manufakturen teil, es gab auch einen Schulgarten, über den der Heckersche Realschüler, Schriftsteller und Verleger Friedrich Nicolai viele Jahre später ins Schwärmen geriet. Dort lernten die Zöglinge, wie man Hecken anlegt, wie man säht, pflanzt, pfropft und okuliert, ja auch wie die damals überall in Preußen wachsenden Maulbeerbäume gepflegt werden. Sie spielten in der Wirtschaft des Landes eine große Rolle, weil das Gespinst der Seidenraupen wichtig für die heimische Seidenindustrie war. Nach Heckers Tod im Jahr 1768 ging seine Realschule in das Königliche Friedrich-Wilhelm-Gymnasium über.

2. April 2017

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