"Es gibt wohl Zeiten, die der Irrsinn lenkt…"
In den Moabiter Sonetten hat der von der SS ermordete Albrecht Haushofer sein tragisches Leben in ergreifende Worte gefasst



Albrecht Haushofer und weitere "Helden ohne Degen" werden an der Straße der Erinnerung am Spreebogen in Moabit durch Büsten geehrt. Unter ihnen sind Albert Einstein, Käthe Kollwitz, Thomas Mann, Edith Stein und Konrad Zuse. Ein weiteres Denkmal ist den Menschen gewidmet, die 1989 die mit dem Ruf "Wir sind das Volk" das SED-Regime zu Fall brachten und die Mauer durchbrachen.



Auf den Innenwänden der Gedenkstätte auf dem ehemaligen Gefängnisgelände unweit des Hauptbahnhofs können Besucher Verse aus den Moabiter Sonetten lesen. Bild- und Texttafeln berichten über die Geschichte der Haftanstalt, die nach dem Zweiten Weltkrieg eingeebnet wurde.



Haushofers Ehrengrab befindet sich auf dem Kriegsgräberfriedhof Wilsnacker Straße im Ortsteil Moabit. Die Tafel am Eingang zitiert aus dem Sonett "Dem Ende zu": "Der Wahn allein war Herr in diesem Land. / In Leichenfeldern schliesst sein stolzer Lauf, / Und Elend, unermessbar, steigt herauf." (Fotos: Caspar)

Zwischen dem 22. und 24. April 1945 wurden 18 Häftlinge aus dem Zellengefängnis Lehrter Straße 3 in Berlin hinterrücks von der Gestapo ermordet. Unter ihnen war Albrecht Haushofer, ein Mitwisser des gescheiterten Attentats vom 20. Juli 1944 auf Hitler. Während seiner Haft in der "Sonderabteilung 20. Juli 1944" des Zellengefängnisses unweit des heutigen Berliner Hauptbahnhofs schrieb er die Moabiter Sonette, die mit weiteren Gedichten bei dem Toten gefunden wurden. Mit ihnen hat Haushofer den Empfindungen und Hoffnungen der in ständiger Todesangst gehaltenen Gefangenen und die bedrückenden Verhältnisse in dem Gefängnis ein ergreifendes Denkmal gesetzt, aber auch sein eigenes Versagen angesichts der Verbrechen des Naziregime in Worte gefasst.

Eine Büste an der Straße der Erinnerung im Spreebogen ehrt Albrecht Haushofer, der sich von einem seinerzeit bekannten Geopolitiker und Vertrauten des am 10. Mai 1941 mit einem Jagdflugzeug nach England geflüchteten Hitler-Stellvertreters Rudolf Heß zu einem entschiedenen Gegner der nationalsozialistischen Terrorherrschaft entwickelt hatte. Da er mit dieser spektakulären Flucht in Verbindung gebracht wurde, stand er unter Gestapo-Aufsicht. Diese hinderte ihn nicht, Kontakte zum Widerstand zu halten. Obwohl er mit dem gescheiterten Attentat auf Hitler 20. Juli 1944 nichts zu tun hatte, tauchte er angesichts der landesweiten Fahndungen durch die SS und Gestapo unter, wurde am 7. Dezember 1944 verhaftet und musste befürchten, vor den Volksgerichtshof gestellt und zum Tod verurteilt zu werden.

In den Moabiter Sonetten nannte sich Haushofer nach einer Figur der antiken Mythologie einen "Kassandro", "weil ich der Seherin von Troja gleich, / die ganze Todesnot von Volk und Reich / durch bittre Jahr schon vorausgekannt". Haushofer sprach sich für die Beseitigung Hitlers aus, als andere noch vor einem Attentat zurückschreckten. "Ich klage mich in meinem Herzen an: / Ich habe mein Gewissen lang betrogen, / Ich hab mich selbst und andere belogen - / Ich kannte früh des Jammers ganze Bahn. / Ich hab gewarnt - nicht hart genug und klar! / Und heute weiß ich, was ich schuldig war". Nach dem Anschlag des Grafen Claus Schenk von Stauffenberg in der Wolfsschanze am 20. Juli 1944 untergetaucht, wurde er Anfang Dezember 1944 von der Gestapo verhaftet. Im Gefängnis Moabit erwartete er sein Todesurteil. "Es gibt wohl Zeiten, die der Irrsinn lenkt. / Dann sinds die besten Köpfe, die man henkt", schrieb er.

In seiner weitgehend unbekannten schriftstellerischen Arbeit hat es Haushofer, im Hauptberuf Professor für politische Geografie und Geopolitik an der Auslandswissenschaftlichen Fakultät der Berliner Universität, verstanden, seine regimekritischen Anschauungen zu kaschieren. Von seinen in der Antike spielenden Dramen "Scipio" (1934), "Sulla" (1938) und "Augustus" (1939) wurden nur das erste und das letzte vor dem Ende der Nazizeit aufgeführt. Die Dramen "Die Makedonen" und "Chinesische Legende" konnten erst posthum veröffentlicht werden. Trotz der jüdischen Herkunft seiner Mutter konnte Haushofer durch Schutz und Vermittlung von Rudolf Heß eine Lehrtätigkeit an der Berliner Hochschule für Politik beginnen. Der enge Kontakt zu dem Hitler-Stellvertreter Heß bewahrte die Familie Haushofer vor Verfolgung aufgrund der Nürnberger Gesetze von 1935. Neben seiner Arbeit an der Hochschule beriet Haushofer die Dienststelle Ribbentrop als freier Mitarbeiter. In dieser Tätigkeit übernahm er geheime politische Missionen nach Großbritannien, Südosteuropa und Japan.

Der Mord an Haushofer und seine Kameraden in einer Grünanlage unweit des Gefängnisses an der Lehrter Straße geschah unmittelbar vor Kriegsende, als schon die Rote Armee in den Berliner Außenbezirke stand. Hitlers SS-Schergen hatten die auf Befreiung hoffenden Gefangenen mit der Lüge zu beruhigen versucht, dass sie ins Gestapo-Gefängnis in der Prinz-Albrecht-Straße verlegt werden. Doch dann wurde einer nach dem anderen durch Genick- und Kopfschüsse ermordet. Unter ihnen waren Albrecht Graf von Bernstorff, Klaus Bonhoeffer, Karl Ludwig Freiherr von und zu Guttenberg, Albrecht Haushofer und weitere prominente Gegner des NS-Regimes. Den Mördern ist nichts geschehen. Sie brachten sich entweder selber um oder tauchten mit falschem Namen unter und starteten neue Karrieren. Ermittlungsverfahren der Westberliner Justiz wegen der Morde zwischen dem 22. und 24. April 1945 führten nicht zur Anklageerhebung. Die Ursache dafür lässt sich nicht rekonstruieren, die Akten der Staatanwaltschaft wurden nicht an das Landesarchiv abgegeben und gelten als verschollen. Der Ausgang des Verfahrens ist eines von vielen Beispielen für die Milde und Nachsicht westdeutscher Gerichte in der Nachkriegszeit für Nazimörder und Blutrichter, die sich damit herausredeten und Verständnis erhielten, sie hätten nur nach Befehl gehandelt und außerdem könne heute nicht Unrecht sein, was damals Recht war.

Albrecht Haushofers Bronzebüste im Spreebogen ist ein Werk des Bildhauers Josef Nalépa. Auf dem Sockel sind drei seiner Sonette zu lesen. Eines schildert, wie die Deutschen dem Rattenfänger Hitler bis ins Verderben folgen, im zweiten sagt er, warum er nicht geflohen ist, als er es noch konnte, und das dritte setzt sich mit der eigenen Schuld auseinander. "Ich klage mich in meinem Herzen an: / Ich habe mein Gewissen lang betrogen, / Ich hab mich selbst und andere belogen - / Ich kannte früh des Jammers ganze Bahn. / Ich hab gewarnt - nicht hart genug und klar! / Und heute weiß ich, was ich schuldig war". Von den Gebäuden des aus der Kaiserzeit stammenden Gefängnisses und dem Park am damaligen Lehrter Bahnhof, in dem die Morde geschahen, ist nichts mehr übrig. Lediglich haben die ehemaligen Gefängnismauern die Zeiten überstanden und sind jetzt als Teil eines Geschichtsparks zu sehen.

4. Juli 2017

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