Kaiserzeitliche Beeindruckungsarchitektur
Im Berliner Kammergerichtsgebäude wurden in der NS-Zeit Schauplatz Bluturteile gesprochen, nach dem Zweiten Weltkrieg war es Sitz des Alliierten Kontrollrats





Weitgehend im Stil des Neobarock erhalten ist das kaiserzeitliche Kammergerichtsgebäude, hier die Ansicht am Kleistpark. Imposant ist auch das monumentale Treppenhaus des Hauses, in dem nach 1945 der Alliierte Kontrollrat tagte.



Während der nationalsozialistischen Schauprozesse unter der Leitung des Blutrichters Roland Freisler war der kaiserzeitliche Prunk im Plenarsaal durch Hakenkreuzfahnen verdeckt. Auf dem Kamin links stand eine riesige Hitler-Büste.



Eine an der Potsdamer Straße zwischen zwei Säulenhallen aufgestellte Steintafel ist den Opfern des im Kammergerichtsgebäude tagenden Volksgerichtshofs gewidmet.





Im Eingangsbereich des Gerichtspalastes und in der Elßholzstraße wird an jüdische Juristen erinnert, die dem Rassenwahn der Nationalsozialisten zum Opfer fielen. (Fotos: Caspar)

Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs haben die vier Besatzungsmächte USA, Großbritannien, Frankreich und Sowjetunion den Alliierten Kontrollrat als höchste Regierungsgewalt im untergegangenen Deutschen Reich ins Leben gerufen. Für die Viersektorenstadt Berlin war die Alliierte Kommandantur zuständig, die dem Alliierten Kontrollrat unterstand. Er trat am 30. Juli 1945 am Rande der Potsdamer Konferenz zu seiner konstituierenden Sitzung zusammen. Vorgesehen war, dass er alle zehn Tage zu einer Plenarsitzung zusammentritt. Da er stets einstimmig entscheiden sollte, waren Konflikte vorprogrammiert. Sitz des Gremiums war das Preußische Kammergericht am Kleistpark im Berliner Bezirk Schöneberg. Hier sprach der von Roland Freisler geleitete Volksgerichtshof über die Teilnehmer am gescheiterten Attentat vom 20. Juli 1944 auf Hitler zahlreiche Todesurteile aus. Kaum bekannt sei, dass der Prozess gegen die Nazi- und Hauptkriegsverbrecher am 18. Oktober 1945 im Plenarsaal des Kammergerichts mit der Vorlage der Anklageschrift eröffnet, dann aber in Nürnberg fortgesetzt wurde. Dem Präsidenten des Volksgerichts, Roland Freisler, blieb dieses Verfahren erspart, denn er wurde am 3. Februar 1945 bei einem Bombenangriff auf Berlin von einem herabstürzenden Balken erschlagen. Gerichtspräsident Roland Freisler wusste, dass Hitler die Verfahren genau beobachtet. Um die Angeklagten einzuschüchtern und sich als besonders strammer Nazi zu erweisen, machte Freisler sie durch Brüllen, Beleidigungen und Unterstellungen nieder.

Nach dem Ende des NS-Regimes konnten in der Bundesrepublik Deutschland ehemalige Richter und Staatsanwälte auch des Volksgerichtshofes ihre Karrieren nahezu nahtlos fortsetzen. Nicht einer wurde rechtskräftig verurteilt. Joachim Rehse, der 1967 wegen seiner Mitwirkung an 237 Todesurteilen zunächst zu lächerlichen fünf Jahren Haft verurteilte Beisitzer am Volksgerichtshof, wurde 1968 in einem Revisionsverfahren mit der Behauptung frei gesprochen, NS-Recht sei geltendes Recht gewesen. Erst 1984 stufte der Deutsche Bundestag den Volksgerichtshof als Terrorinstrument ein und stellte fest, seine Urteile hätten keine Rechtswirkung. Der Historiker Johannes Tuchel hat 2016 ein Buch im Berliner Lukas Verlag "Die Todesurteile des Kammergerichts 1943 bis 1945" dokumentiert. Der Band wurde von der Gedenkstätte Deutscher Widerstand in Kooperation mit dem Forum Recht und Kultur im Kammergericht e.V. herausgebracht.

Neobarocker Dekor blieb erhalten

Die Architektur des nach Plänen zwischen 1901 und 1913 nach Plänen von Paul Thoemer, Rudolf Mönnich und Carl Vohl erbauten Gerichtspalastes ist imposant. Wer das mit einem riesigen Wappenschild über dem Eingang geschmückte Haus mit riesiger Kuppelhalle und eindrucksvoller Treppenanlage betrat, sollte sich klein und hilflos vorkommen, und auch heute kann man sich der kaiserzeitlichen Beeindruckungsarchitektur kaum entziehen. Im Unterschied zu anderen Berliner Großbauten hat man nach dem Zweiten Weltkrieg das Kammergerichtsgebäude nicht seines neobarocken Dekors innen und außen beraubt und die Verzierungen aus Sandstein und Stuck dort belassen, wo man sie in der Kaiserzeit angebracht hat.

In mehr als 80 Sitzungen erließ der im alten Kammergericht tagende Alliierte Kontrollrat zahlreiche Befehle, Gesetze, Verordnungen und Direktiven. Die ersten beiden Gesetze betrafen die Aufhebung nationalsozialistischer "Rechtssprechung" sowie die Auflösung und Liquidierung der NS-Organisationen. In den 1946 erlassenen Befehlen 3 und 4 ging es um die Aussonderung und Vernichtung von Literatur und Werken nationalsozialistischen und militaristischen Inhalts beziehungsweise um die Registrier- und Arbeitspflicht für alle Personen im erwerbsfähigen Alter. Weitere Beschlüsse betrafen Grenzziehungen und Modalitäten der Umsiedlung und Vertreibung der Menschen aus den deutschen Ostgebieten. Großen Raum in der Arbeit des Kontrollrats nahen Maßnahmen zur Entmilitarisierung der Wirtschaft des untergegangenen Reichs ein. Festgelegt wurde, dass die Besatzungsmächte Aufgaben zur Demilitarisierung und Bereitstellung von Gütern zwecks Reparation im jeweiligen Besatzungsgebiet von den Siegermächten selbstständig durchgeführt werden soll.

Alliierter Kontrollrat erließ Anti-Nazi-Gesetze

Am 25. Februar 1947 beschloss der Alliierte Kontrollrat das Gesetz Nr. 46 über die Auflösung des Staates Preußen, seiner Zentralregierung und nachgeordneten Organe. "Der Staat Preußen, der seit jeher Träger des Militarismus und der Reaktion in Deutschland gewesen ist, hat in Wirklichkeit zu bestehen aufgehört", heißt es in der Präambel. Der Kontrollrat sprach sein noch unter dem Eindruck deutscher Verbrechen stehendes Urteil "geleitet von dem Interesse an der Aufrechterhaltung des Friedens und der Sicherheit der Völker und erfüllt von dem Wunsche, die weitere Wiederherstellung des politischen Lebens in Deutschland auf demokratischer Grundlage zu sichern". Für die Siegermächte des Zweiten Weltkriegs stand fest, dass Preußen die Wurzel allen Übels ist. Diktatur, Massenmord und Militarismus, Großkapital und Großgrundbesitz, Antiparlamentarismus sowie die Verfolgung jedweder Opposition und die Knebelung der Presse- und Meinungsfreiheit - das alles und noch viel mehr wurde undifferenziert mit "Preußen" in Verbindung gebracht. Dabei trafen die Vorwürfe nur zum Teil zu. Allen stand noch vor Augen, welch perfide Propaganda die Nazis mit Preußen und seinen Herrschern, insbesondere mit Friedrich II., dem Großen, betrieben und wie sehr sie "preußische Werte" missbraucht hatten. Übersehen wurde bei der Verdammung allerdings, dass es auch ein "anderes", ein tolerantes, weltoffenes, kunst- und bildungsbeflissenes Preußen gab und dass viele Widerstandskämpfer, darunter die Verschwörer des 20. Juli 1944, zur preußischen Elite gehörten und sich auf gute preußische Traditionen beriefen.

Das Gesetz Nr. 46 war letzte politisch bedeutsame Entscheidung des Kontrollrats, der als oberstes Verwaltungsorgan der vier Besatzungsmächte angesichts zunehmender Spannungen im Zeichen des Kalten Kriegs zwischen Ost und West an Bedeutung verlor. Formal wurde der Alliierte Kontrollrat erst 1990 im Rahmen der deutschen Wiedervereinigung aufgelöst. Die am 22. November 1945 ins Leben gerufene und ebenfalls im ehemaligen Kammergerichtsgebäude tätige Alliierte Luftsicherheitszentrale war bis zum 31. Dezember 1990 als einziges Organ aus der Nachkriegszeit tätig. Seit 1991 beherbergt es wieder das Kammergericht, den Verfassungsgerichtshof des Landes Berlin und die Generalstaatsanwaltschaft sowie weitere Einrichtungen der Berliner Justiz. Der Prozess gegen die Hauptkriegsverbrecher wurde am 18. Oktober 1945 im Plenarsaal des Kammergerichts mit der Vorlage der Anklageschrift eröffnet, dann aber in Nürnberg fortgesetzt wurde, weshalb dieses und weitere Verfahren als Nürnberger Kriegsverbrecherprozesse in die Geschichte eingingen.

Am 3. September 1971 wurde im alten Kammergerichtsgebäude nach langen Verhandlungen das Viermächte-Abkommen unterzeichnet, das das Verhältnis von Westberlin zur Bundesrepublik Deutschland und den Transitverkehr zwischen beiden deutschen Staaten regelte. Stolpersteine an der Elßholzstraße am Eingang zum Kammergerichtsgebäude und eine Tafel im Eingangsbereich erinnern an Berliner Juristen, die in der NS-Zeit ihre Arbeit und ihr Leben verloren, weil sie Juden waren.

1. November 2017

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