"Berliner was willste noch mehr?"
Die dickbäuchige Anschlagsäulen des Ernst Litfaß wurden sehr schnell populär und fanden auch anderswo Anklang



Ein säulenförmiges Denkmal an der Ecke Münzstraße und Almstadtstraße erinnert an Ernst Litfaß, den die Berliner als "Säulenheiligen" verehrt haben.



Für Verdienste um die Außenwerbung wird diese Medaille mit dem Bildnis von Litfaß vergeben. Die Bundesrepublik Deutschland widmete Litfass 2016 zu seinem 200. Geburtstag eine mit der Säule geschmückte Gedenkmünze zu 20 Euro.



Die 1855 aufgestellten Litfaßsäulen waren große Sehenswürdigkeiten und wurden sogar besungen.





Alles konnte man auf den dicken Säulen erfahren, auch dass auf die Ergreifung eines Raubmörders eine Belohnung von 500 Mark ausgesetzt ist. Um 1900 war das sehr viel Geld.





In der Nähe des S-Bahnhofs Hackescher Markt gibt es einen Litfassplatz, in dessen Mitte sich eine übergroße Litfaßsäule erhebt.




Auf dem Dorotheenstädtischen Friedhof ist Ernst Litfaß, der Vater der Außenwerbung, bestattet. (Fotos/Repros: Caspar)

Wildes Bekleben von Wänden und Zäunen ist keine Erfindung unserer Tage. Manchmal sind die bunten Papierschichten zentimeterdick und blättern irgendwann unter ihrem eigenen Gewicht ab. Niemand findet sich, sie wieder zu entfernen, schon gar nicht diejenigen, die ihre Ankündigungen und Suchmeldungen angekleistert haben. Mitte des 19. Jahrhunderts gab es in der preußischen Hauptstadt Berlin wegen unkontrolliert angeschlagener Zettel und Plakate manche Aufregung. Stadtverwaltung und Hausbesitzer ärgerten sich über Verschandelung ihrer Gebäude. Hilfe kam von dem Berliner Druckereibesitzer Ernst Theodor Amandus Litfaß (1816-1874) und den nach ihm benannten Anschlagsäulen.

Der auf zahlreichen Auslandsreisen gebildete Drucker, Verleger und Mäzen ließ am 1. Juli 1855 nach Pariser Vorbild die ersten von 150 runden Plakat- und Zettelsäulen aufstellen. Dazu hatte er eine amtliche Genehmigung erhalten. "Dem Buchdrucker Ernst Litfaß, allhier ansässig in der Adlerstraße 6, wird auf dero persönliches Ersuchen hin gestattet, auf fiskalischem Straßenterrain Anschlagsäulen zwecks unentgeltlicher Aufnahme der Plakate öffentlicher Behörden und gewerbsmäßiger Veröffentlichungen von Privatanzeigen zu errichten. Alles andere Plakatieren von Zetteln ist künftig verboten", gab Polizeidirektor Karl Ludwig von Hinkeldey am 5. Dezember 1854 bekannt und erteilte Litfaß das Monopol für diese Art öffentlicher Bekanntmachung. Die Litfaßsäule war geboren, ihr Siegeszug war nicht aufzuhalten.

Wasser aus der Säule

Auf den über drei Meter hohen Säulen aus Gusseisen verbreiteten der Berliner Magistrat und die Polizei amtliche Verlautbarungen, die bei Litfaß gedruckt wurden. Außerdem warben zahlreiche Unternehmen für ihre Erzeugnisse und Dienstleistungen. Zum Repertoire gehörten ferner Theaternachrichten, Produktreklame sowie amtliche und private Suchmeldungen. Andere Säulen besaßen inwendig eine Wasserleitung und dienten als Brunnen. Da "Wasser aus der Wand" Mitte des 19. Jahrhunderts noch weitgehend unbekannt war, erfreuten sich die Litfaßbrunnen als Treffpunkt der Bevölkerung großer Beliebtheit. Hier konnte man private Nachrichten austauschen und Neuigkeiten aller Art schnell weitergeben.

Ernst Litfaß nutzte einige Säulen als öffentliche Toiletten und half damit zusätzliche Bedürfnisse zu befriedigen. Das tut heute auch die Firma Wall, allerdings auf andere Art nicht mehr mit den engen Litfaßsäulen, sondern in komfortabel eingerichteten Toilettenhäuschen, die über die ganze Stadt verteilt sind. Aktuell gibt es Streit wegen Bestrebungen, der Wall AG die Lizenz zu entziehen. Es gibt Politiker, denen es nicht gefällt, dass das auch mit einigen sozialen und kulturpolitisch wichtigen Aufgaben befasste Unternehmen mit den City Toiletten Außenwerbung betreibt und im Gegenzug für deren Unterhalt aufkommt. Die Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Umwelt ist an dieser Art von Gegengeschäften nicht mehr interessiert. Aus Gründen der Transparenz soll es die bisherige Koppelung der Werberechte an die Bewirtschaftung von Brunnen und Toiletten nicht mehr geben. Die Bewirtschaftung der Brunnen und Toiletten wird als Aufgabe der öffentlichen Daseinsvorsorge und als Teil der Rekommunalisierung öffentlicher Aufgaben angesehen. Nun befürchten vor allem Menschen, die in ihrer Mobilität eingeschränkt sind, dass die Umstellung nicht so funktioniert wie das alte System und viele Menschen ernste Probleme bekommen können. Die Debatte ist noch nicht beendet.

Ernst Litfaß' ab 1855 auf Plätzen und an Straßenkreuzungen aufgestellte Novität wurde schnell populär und war aus dem Stadtbild bald nicht mehr wegzudenken. Bereits zehn Jahre nach der Premiere wurden in Berlin fünfzig weitere Anschlagsäulen aufgestellt. Schon bald sang man die "Ernst-Litfaß-Annoncier-Polka" und andere Gassenhauer auf "Litfaß' dickbäuchige Kinder" oder die "eisernen Dicken", wie man damals sagte. Die Säulen waren so beliebt, dass man ihretwegen Feste mit Musik und Gedichten veranstaltete, und Leierkastenmänner sangen zur Drehorgel ein Lied, das so begann: "Manch Haus hing ganz in Lumpen, /Denn die papierne Tracht / Hat jeder sanfte Regen /Gottsjämmerlich gemacht. / Heut sind die Ecken reiner, / Piekfeiner, ja piekfeiner, / Denn Litfass kam aus seiner, / Ja seiner Eck' heraus." Jetzt müsse man nicht länger nach Informationen herumirren, sondern nur noch auf die Säulen schauen, heißt es in dem Liedchen weiter, das mit dem befreienden Ruf endet "Berliner was willste noch mehr". Auch andere Städte waren bei der Übernahme der Anschlagsäulen nicht faul und machten damit den Namen des innovativen Berliner Druckers weithin bekannt, was dessen Geschäften natürlich nützlich war.

Erfolgreich als Drucker und Theatermann

Der gelernte Buchhändler war ein vielseitig interessierter und auch musisch veranlagter Mann. Als Schauspieler und Gründer des Berliner Theater "Lätitia", des späteren "Vorstädtischen Theaters", hatte der Musensohn jedoch bei weitem nicht so viel Erfolg wie mit seiner Arbeit als Drucker sowie als Verleger von Zeitungen und Almanachen. Dass sich der "Säulenheilige" Litfaß, wie man ihn nannte, mit den preußischen Behörden gut verstand, ist verwunderlich, denn in der 1848-er Revolution hatte er sich bei diesen als Liberaler und Herausgeber von Flugschriften und des regimekritischen Blattes "Berliner Krakeeler" unbeliebt gemacht. Der zum Königlichen Hofdrucker und zum Geheimen Commissions-Rath ernannte und mit zahlreichen Orden ausgezeichnete Unternehmer half Armen und Unterprivilegierten und machte sich als Mäzen sowie als Veranstalter von Benefizkonzerten in der Krolloper einen Namen. In seiner Freizeit betätigte er sich auch als Schriftsteller und Poet. Immer auf der Suche nach Neuem, war er es, der erstmals in Deutschland großformatige Plakate herstellte. Ungewöhnlich war ferner, dass Litfaß Grafiker und Schriftkünstler für die Außenwerbung beschäftigte. Aufgrund eines königlichen Privilegs verbreitete er in den preußisch-deutschen Kriegen von 1866 gegen Österreich und 1870/71 gegen Frankreich offizielle Kriegsnachrichten und Siegesmeldungen.

Nachbau auf dem Gendarmenmarkt

Leider existiert heute nirgendwo in Berlin noch eine originale Anschlagsäule aus dem 19. Jahrhundert. Viele wurden im Zweiten Weltkrieg zerstört, andere durch plumpe Nachbildungen aus Eisenringen oder Beton ersetzt, die sich nicht ins Stadtbild einfügen. Vielfach hat man statt ihrer Plakatwände aufgestellt, von denen wie in dem schon zitierten Lied vom Regen aufgeweichte Zettel herunterhängen. Außerdem ist das wilde Bekleben von Hauswänden und Bauzäunen groß in Mode.

Um die dicken Säulen, die man mit Leuchttürmen verglichen hat und lobte, weil sie so wunderbar über alle Aktualitäten in Bild und Wort berichten, nicht ganz aus dem Gedächtnis verschwinden zu lassen, hat die Wall AG vor einiger Zeit eine nach alten Vorlagen neu gebaute Litfaßsäule auf dem Gendarmenmarkt, nicht weit vom Französischen Dom entfernt, aufstellen lassen. Aufgeklebte Plakate werben hier stilgerecht für Veranstaltungen. Auch auf dem Lustgarten, auf dem Platz der Luftbrücke und an anderen Orten erinnern solche Nachbauten an den innovativen Drucker, dessen Grab auf dem Dorotheenstädtischen Friedhof ebenfalls im Auftrag des mit der Aufstellung von Toilettenhäuschen, Haltestellen, Uhren und anderen Stadtmöbeln befasstem Unternehmens restauriert wurde.

10. März 2017

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