Erfinder der Teerfarben und Stearinkerzen
Wie sich Oranienburg des Chemikers Runge erinnert und was dort mit preußischen Münzen geschehen ist





Das Runge-Denkmal und die Gedenktafel dahinter erinnern an einen bedeutenden Chemiker, der den Namen Oranienburgs weit über die deutschen Grenzen bekannt machte.



An der Fassade des aus der Kaiserzeit stammenden Runge-Gymnasiums unweit des S-Bahnhofs Oranienburg wird des berühmten Einwohners der Stadt gedacht.



Die Preußische Schlösserstiftung hat einige barocke Ausstattungsstücke wie diese vergoldete Wandkonsole und den Gobelin dahinter an ihren Ursprungsort, das Schloss Oranienburg, zurück gebracht.


Der Berliner Taler von 1820 könnte aus dem Silber bestehen, das in der Oranienburger Chemiefabrik durch Affinierung schlechter Scheidemünzen gewonnen wurde. (Fotos: Caspar)

Seit 1994 steht in der Sachsenhausener Straße in Oranienburg auf einem flachen Sockel das Bronzedenkmal des Chemikers Friedlieb Ferdinand Runge. Der Bildhauer Stephan Möller stellt den in einen bis an den Boden reichenden Mantel gekleideten Gelehrten so dar, als ob er die Straßenpassanten zu sich winkt, um ihnen eines seiner Experimente, symbolisiert durch Kolben und Flaschen auf einem kleinen Tisch vor ihm, zu erklären. Eine Gedenktafel an der Hauswand dahinter informiert, dass die Skulptur auf besonderem Boden steht. "Historischer Standort der Oranienburger Chemischen Produktenfabrik, deren technischer Direktor von 1832 - 1852 Prof. Dr. Friedlieb Ferdinand Runge, Entdecker der Teerfarben, war".

Die Aufstellung des Rungedenkmals ist eine späte Hommage der Stadt Oranienburg an einen ihrer ganz großen Einwohner. Dem Chemiker gelang 1834 im Oranienburger Schloss die Entdeckung von Phenol und Anilin im Steinkohlenteer sowie ein Jahr später die Entwicklung der ersten Teerfarben. Große Bedeutung hatte auch die Herstellung von Kerzen aus Stearin, die die teuren Leuchten aus Bienenwachs ablösten und für viele Leute erschwinglich waren. Runge entwickelte ferner eine Methode zur Gewinnung von Saft aus der Zuckerrübe, und außerdem stellte er als erster fest, dass Belladonna (Atropin) die Pupillen für längere Zeit erweitert, was den Augenärzten die Arbeit am Patienten wesentlich erleichterte. Das Grab des Wissenschaftlers befindet sich auf dem Städtischen Friedhof in Oranienburg. Ein Gymnasium in der Nähe des S-Bahnhofs Oranienburg trägt seinen Namen.

Hohenzollern hatten kein Interesse

Der Lebensweg von Friedlieb Ferdinand Runge war eng mit der Geschichte des Oranienburger Schloss verbunden (siehe Eintrag auf dieser Internetseite vom 29. April 2017). Das Denkmal hätte daher auch dort stehen können. Nach dem Dreißigjährigen Krieg (1618-1648) unter der Regentschaft des Großen Kurfürsten Friedrich Wilhelm für seine Gemahlin Luise Henriette, geborene Prinzessin von Oranien, errichtet und auf das Prächtigste ausgestattet, ist das Gebäude ein signifikantes Beispiel dafür, was Desinteresse und fehlendes Geld mit einem herausragenden Bau- und Kunstdenkmal anstellen können. Nach dem Tod seines letzten Besitzers aus dem Hause Hohenzollern (1758), des preußischen Prinzen August Wilhelm, verfiel der Palast auf Grund von mangelnder Pflege und fehlender Investition. August Wilhelm war der jüngere Bruders Friedrichs des Großen und Vaters von dessen Nachfolger Friedrich Wilhelm II. Die Hohenzollern, die eigentlich viel auf Pietät und Familientradition hielten, hatten sich in Potsdam (Sanssouci, Neuer Garten) und Charlottenburg engagiert, das damals noch eine selbstständige Stadt war und erst 1920 nach Groß-Berlin kam. Da war für die Pflege ihrer vielen anderen Schlösser kein Geld und Platz mehr.

Nach der Überführung des kostbaren Inventars ins Schloss Charlottenburg im Jahre 1802 wurde das Oranienburger Schloss für 12 000 Taler an den Textilfabrikanten Johann Gottfried Hempel verkauft. Der Sohn des Baumwollwebers gründete 1814 im inzwischen ziemlich marode gewordenen, aller seiner kostbaren Ausstattungsstücke entkleideten Schloss eine Kattun- und Schwefelsäurefabrik, deren ätzenden Dämpfe weder den Arbeitern noch den kostbaren Gemälden und Stuckaturen gut taten. Im Jahre 1832 übernahm die Preußische Seehandlung die "Chemische Produkten-Fabrik Oranienburg" und berief Runge zum technischen Leiter. 1833 brach im Mittelbau des Schlosses ein verheerender Brand aus, dem mehrere der ehemaligen Paraderäume zum Opfer fielen. Neun Jahre später zerstörte ein weiterer Brand den Südflügel, der daraufhin abgebrochen wurde. Runge arbeitete bis 1848 im Schloss und machte hier seine bahnbrechenden Entdeckungen.

Nach dem Umzug der Chemiefabrik in ein etwas entfernt liegendes Gebäude, vor dem jetzt das Rungedenkmal steht, zerfiel das Schloss weiter, ja es verkam zur Halbruine. Rettung nahte, als König Friedrich Wilhelm IV. 1850 bei der Grundsteinlegung für das Denkmal der Namensgeberin von Oranienburg, Luise Henriette, verkündete: "Es sollen nicht mehr Eulen und Unken diese Mir so bedeutungsvollen Räume bewohnen; Ich will ein Denkmal aus diesen verfallenen Mauern des Schlosses herstellen, welches zur Bildung der preußischen Jugend dienen soll". Der Plan gelang, und so wurde nach Umbau-, Sanierungs- und Restaurierungsarbeiten am 1. Oktober 1861 im Oranienburger Schloss ein Königliches Lehrerseminar eröffnet, das bis 1925 bestand. Vergleichbar ist die Bildungsstätte durchaus mit einem weiteren Institut dieser Art, das im barocken Schloss Köpenick untergebracht war. Auch an diesem Palast vor den Toren Berlins hatten die Hohenzollern ihr Interesse verloren und es einer anderen Nutzung als nur zum Plaisir des königlichen Hofes zuzuführen (siehe Eintrag auf dieser Internetseite/Museen vom 16. April 2017).

Einschneidende Eingriffe erfolgten, als das Schloss nach dem Ersten Weltkrieg in eine Kaserne und nach Errichtung der nationalsozialistischen Diktatur als SS-Kaserne und Polizeischule verwandelt wurde. Auch in dieser Phase ging viel kostbare Substanz verloren. Die Wiedergewinnung des vom Krieg sowie in der Nachkriegszeit arg geschundenen und weiterhin als Kaserne, jetzt der Grenztruppen der DDR, genutzten Schlosses und seiner so oft entstellten Räume gelang unter der Regie der Stiftung Preußische Schlösser und Gärten Berlin-Brandenburg erst in den späten 1990-er Jahren. Dabei wurden historische Raumfluchten wiederhergestellt und sogar Reste der ursprünglichen Ausmalung wieder sichtbar gemacht sowie Ausstattungsstücke an ihren alten Ort zurück geführt.

Metalltrennung in Säurekesseln

In der Hempelschen Chemiefabrik wurden große Mengen eingesammelter preußischer Scheidemünzen mit chemischen Verfahren behandelt, um das darin befindliche Edelmetall und das Kupfer, das mit diesem legiert war, voneinander zu trennen. Dabei wurden die aus Zwölftel- und Vierundzwanzigsteltalern sowie anderen kleinen Werten bestehende Masse mit Schwefelsäure regelrecht gekocht. Da die Münzen auch winzige Anteile aus Gold besaßen, konnte bei diesem Verfahren auch ein wenig Gold gewonnen werden. Die Maßnahme war nötig, weil Preußen zur Bezahlung seiner Kontributionen an die im Krieg von 1806/7 siegreichen Franzosen kurantes Geld brauchte und die aus der Zeit Friedrichs des Großen und seinen Nachfolgern stammenden Münzen aus minderwertigem Silber, dem so genannten Billon, für diesen Zweck ungeeignet waren. Nach den Befreiungskriegen von 1813 bis 1815 gab es überdies in Preußen in mehreren Stufen eine Finanzreform, in deren Rahmen neues Geld hergestellt wurde. Millionen Münzen, die heute die Augen der Sammler leuchten lassen, verschwanden damals in den mit Salzsäure gefüllten Kesseln und den Schmelztiegeln. Sie bildeten das Ausgangsmaterial für neue Geldstücke mit dem Bildnis und Wappen Friedrich Wilhelms III. von Preußen.

Bei einer Sitzung in der Berliner Numismatischen Gesellschaft im Bode-Museum hielt Elke Bannicke, eine Mitarbeiterin des Berliner Münzkabinetts, unlängst einen interessanten Vortrag mit dem Titel "Gold aus Oranienburg". Vorgestellt wurde ein kleiner Goldbecher, den die Schlösserstiftung im vergangenen Jahr aus dem Kunsthandel gekauft hat und im Oranienburger Schloss zeigt. Er besteht aus purem Gold, das in der Oranienburger Kattun- und Schwefelsäurefabrik aus dem Metall von preußischen Scheidemünzen durch Scheidung mit Schwefelsäure gewonnen wurde. Der 6,6 Zentimeter hohe und 14 Gramm schwere Goldbecher mit der Widmung "Dem guten Landesvater der dankbare Chemiker" ist ein Geschenk des Fabrikbesitzers und Chemikers Hempel an König Friedrich Wilhelm III. Ursprünglich hatte der Monarch zwei dieser mit Eierbechern vergleichbaren Kostbarkeiten erhalten, wohin der zweite Becher gelangte, ist nicht bekannt.

1. Mai 2017

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