Maikäfer, Sankt Walter und die Goldelse
Was Spitznamen für Berliner Bauwerke und Denkmäler zu bedeuten haben



Angehörige des preußischen Garde-Füsilier-Regiments machten aus dem Spottnamen Maikäfer einen Kosenamen und nahmen ihm damit die Schärfe.



Wenn die Sonne strahlt, kann man auf der Kuppel des Fernsehturms ein Kreuz sehen. Selbstverständlich war dieser Effekt nicht gewollt.



Das Haus der Kulturen der Welt steht am Rand eines künstlichen Hügels, so dass seine ungewöhnlichen Konturen auch im östlichen Teil der damaligen Viermächte-Stadt zu sehen waren.



Zur Erinnerung an die Hungerjahre während der Berlin-Blockade 1948/9 und die Überlebenshilfe durch alliierte Flugzeuge wurde 1951 vor dem Flughafen Tempelhof ein Denkmal errichtet, das die Berliner sogleich Hungerharte nannten.



Die eigenartige Form des Denkmals zur Erinnerung an Haydn, Mozart und Beethoven wurde von den Berlinern als Musikerofen gedeutet.



Wer Berlin von der Aussichtsplattform unter der vergoldeten Viktoria von oben betrachten will, muss etwa 300 Stufen überwinden, denn die Siegessäule besitzt inwendig keinen Fahrstuhl. (Fotos: Caspar)


Ehemalige Angehörige des in Berlin stationierten Garde-Füsilier-Regiments zu Fuß schmückten sich 1926 mit einer Medaille am gelben Band, die dem hundertjährigen Bestehen dieser von König Friedrich Wilhelm III. gegründeten und anfangs in Potsdam stationierten Truppe gewidmet wurde. Von 1851 bis 1918 waren Teile des Regiments in der Berliner Maikäferkaserne stationiert. Der Name kommt hat mit kessen Potsdamer Kindern zu tun, die die auf dem Bornstedter Feld bei Potsdam die zu Übungen ausgerückten Soldaten mit Maikäfern beworfen und sich auf diese Weise über sie lustig gemacht haben sollen. So wenigstens lautet eine allgemein anerkannte Deutung.

Natürlich mochten die Soldaten den Spitznamen nicht, denn wer lässt sich schon gern mit den Krabbeltieren vergleichen, die es damals noch in großen Mengen gegeben hat, während man sie heute mit der Lupe suchen muss. Da sich der Spott aber schnell einbürgerte und den Rekruten und ihren Offizieren wie eine Klette anhaftete, machten diese aus der Not eine Tugend und verwandelten den Schimpfnamen in einen Ehrennamen. So konnte man alsbald am Kasernentor "Es lebe hoch das Regiment, welches sich mit Stolz Maikäfer nennt!" lesen. Zu ihnen zu gehören, wurde als besondere Auszeichnung verstanden.

Das Garde-Füsilier-Regiment war von 1851 bis zum Ende des Ersten Weltkriegs in der Maikäferkaserne an der Chausseestraße in Berlin stationiert, etwa dort, wo heute der Bundesnachrichtendienst untergebracht ist. Nach dem Ende der Monarchie und des Ersten Weltkriegs im November 1918 wurden die "Maikäfer" aufgelöst. Die Kaserne kam anschließend in die Obhut der Berliner Polizei, der Exerzierplatz wurde in einen Sportplatz verwandelt. Zur Traditionspflege gehörte in der Kaiserzeit die Herstellung von Reservistenkrügen und ebensolchen Tellern, auf denen stramme Soldaten Wache schieben und von Maikäfern flankiert werden.

Langer Lulatsch und Telespargel

Die Verleihung von freundlichen und manchmal auch recht unfreundlichen Spitznamen ist keine Berliner Spezialität, der Brauch ist weit verbreitet und zeigt, ob sich Menschen sowie Bauten und Kunstwerke einer besonderen Wertschätzung erfreuen oder nicht. Die Berliner kennen den Mont Klamott, einen aus Trümmerschutt des Zweiten Weltkriegs gebildeten Berg im Volkspark Friedrichshain, das Hungerharke genannte Luftbrückendenkmal vor dem Flughafen Tempelhof und den Langen Lulatsch als volkstümlichen Namen für den in den 1920-er Jahren erbauten Funkturm am Rand des Messegeländes. Der die ganze Stadt beherrschende Fernsehturm am Alexanderplatz wurde mit den Spitznamen Renommierpinsel, Telespargel und Sankt Walter belegt. Die zuletzt genannte Bezeichnung bezieht sich auf das Kreuz, das Sonnenstrahlen auf der Kuppel des in der Zeit des SED- und Staatschefs Walter Ulbricht erbauten und 1969 zum 20. Jahrestag der DDR eingeweihten Sendeturms bilden. Der damals allmächtige Sachse war alles andere als der Kirche zugetan und soll über den Spottnamen nicht begeistert gewesen sein.

Das dem Bildhauer Rudolf Siemering geschaffene Musikerdenkmal auf dreieckigem Grundriss im Tiergarten ehrt die drei Komponisten Haydn, Mozart und Beethoven. Als es 1904 enthüllt wurde, stieß das Monument bei der Kunstkritik wegen seiner Überladenheit auf Ablehnung und bei den Berlinern auf manchen Spott. Sie verglichen das Marmorwerk mit vergoldeten Applikationen mit einem üppig dekorierten Kachelofen, wie er zur Kaiserzeit in jeder "besseren Wohnung" stand. Der schlechte Zustand des Denkmals, mit dem der Künstler offenbar neue Wege zu beschreiten suchte, machte vor ein paar Jahren eine durchgreifende Restaurierung nötig. Dabei wurde der "Musikerofen" in alle seine Bestandteile Einzelteile zerlegt, gereinigt und gefestigt und am alten Platz neu aufgestellt.

Die Berliner belegten die Kongresshalle ebenfalls im Tiergarten wegen ihrer ungewöhnlichen geschwungenen Form mit dem Kosenamen Schwangere Auster. Das heute Haus der Kulturen der Welt genannte Gebäude wurde nach Plänen des Architekten Hugh Stubbins als Beitrag der Vereinigten Staaten von Amerika zur Internationalen Bauausstellung INTERBAU errichtet und im September 1957 feierlich eingeweiht. Mitten im Kalten Krieg sollte die Halle für Kongresse, Konzerte, Ausstellungen und andere Veranstaltungen wie ein "Leuchtturm der Freiheit" in den kommunistisch beherrschten Osten ausstrahlen.

Stammheim II und Zirkus Karajani

Der Berliner Dom am Lustgarten mit der riesigen, die Innenstadt beherrschenden Kuppel wurde in der Kaiserzeit wegen des dort entfalteten Prunks Reichsrenommierkirche oder Seelengasometer genannt, und das Kunstgewerbemuseum im Tiergarten erhielt wegen seiner abweisenden strengen Bauform den wenig schmeichelhaften Spitznamen Stammheim II nach der Justizvollzugsanstalt im Stuttgarter Stadtteil Stammheim. Überregional wurde das Gefängnis vor allem durch die dort einsitzenden Mitglieder der Roten Armee Fraktion bekannt. Eigens für die Prozesse gegen die Terrorgruppe wurde 1975 neben dem Gelände der JVA ein besonders abgesichertes Mehrzweckgebäude erbaut. Dass die zeltartig konstruierte Philharmonie im Tiergarten wenige Schritte weiter zeitweilig Zirkus Karajani nach dem Dirigenten Herbert von Karajan genannt wurde, ist nur noch Kennern bekannt. Verschwunden von der Bildfläche aber bei vielen Zeitgenossen nicht vergessen ist der Palast der Republik, auch Palazzo Prozzo oder Erichs Lampenladen. Seine Stelle nimmt das in den Umrissen des 1950 gesprengten erbaute Humboldt Forum ein. Für den Kuppelbau wird ganz bestimmt schon nach einem oder mehren Spitznamen gesucht.

Vor ein paar Jahren war die Siegessäule am Großen Stern im Bezirk Tiergarten eine große Baustelle. Die Restaurierungsarbeiten an der Goldelse, wie das Kriegerdenkmal aus dem 19. Jahrhundert im Volksmund heißt, waren wegen Korrosionsschäden an den Metallteilen nötig, aber auch weil Risse am Säulenschaft und seinem Unterbau geschlossen werden mussten, um das Eindringen von Wasser aufzuhalten. Durch die Neuvergoldung der Victoria mit der Schuhgröße 92 sowie der in die Säule eingefügten Kanonen und Blattgehänge hat die Siegessäule wieder ihre alte Schönheit zurück bekommen. Einbezogen in Arbeiten waren auch die Mosaiken in der Säulenhalle, über der sich die Säule erhebt. Vom damaligen Hofmaler Anton von Werner geschaffen, verklären die aus unzähligen bunten Steinchen bestehenden Wandbilder die Kriege von 1864, 1866 und 1871, die unter preußischer Führung zur deutschen Reichseinigung am 18. Januar 1871 führten.

Wer möchte, kann die Siegessäule inwendig über eine Treppe mit etwa 300 Stufen erklimmen und hat vom oberen Podest direkt unter dem Siegesengel einen prächtigen Blick auf den Tiergarten und ganz Berlin. Im Unterbau der Siegessäule erinnert eine Ausstellung an die wechselvolle Geschichte des Kriegerdenkmals und weist darauf hin, dass es ursprünglich auf dem Königsplatz, dem heutigen Platz der Republik vor dem Reichstagsgebäude, stand, jedoch im Zusammenhang mit Hitlers Plänen zur Umgestaltung von Berlin in die "Welthauptstadt Germania" an den Großen Stern versetzt wurde.

14. Februar 2017



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