Kreditkaufhaus, HJ-Führung, SED-Zentrale
Das Haus Torstraße 1 blickt wie kaum ein zweites in Berlin auf eine wechselvolle und sehr zwiespältig Geschichte zurück



Das Kreditkaufhaus Jonass hatte mit seinen Angeboten für preiswerten Einkauf großen Erfolg, bis die Nazis dem Unternehmen aus rassistischen Gründen den Garaus machten. Nach jahrelangem Leerstand zeigt sich das ehemalige Kaufhaus Jonass wieder als eindrucksvolles Zeugnis der Neuen Sachlichkeit und lädt heute als Soho House Gäste aus aller Welt in seine Klubräume ein.



In dem Eckhaus an der Elsässer Straße/Prenzlauer Allee wurden für die HJ sowohl fröhliches Jugendleben als auch vormilitärscher Drill und rassistische Erziehung ausgeheckt und die junge Generation ganz und gar auf Hitler, das Hakenkreuz und die mit der Siegesrune versehenen Fahne eingeschworen, die angeblich mehr als der Tod ist, wie es in einem von Baldur von Schirach gedichteten Lied heißt.



In dem zur SED-Zentrale umgewandelten Kaufhaus Jonass ging der Ungeist des sowjetischen Diktators um, der erst 1956 von seinen eigenen Leuten als Massenmörder entlarvt wurde. Die Gedenktafel vor dem Eingang nennt Einzelheiten.



Das Foto zeigt eine Sitzung des SED-Politbüros in den fünfziger Jahren mit Ulbricht, Grotewohl und Pieck (von rechts nach links).



Zwei in den Jahren 1976 und 1988 angebrachte Bronzetafeln am Haupteingang des Gebäudes Torstraße 1 erinnern an die ersten SED-Vorsitzenden Grotewohl und Pieck. (Fotos/Repros: Caspar)

Schon vor ihrer "Machtergreifung" 30. Januar 1933 haben die Nationalsozialisten mit der Parole "Brechung der Zinsknechtschaft" zum Kampf gegen "jüdische Kaufhäuser und Unternehmer" aufgerufen und damit bei ihren Anhängern und Mitläufern viel Zustimmung gefunden. Opfer der unter ihrer Herrschaft mit aller Brutalität vorangetriebenen und mit Enteignungen verbundenen Arisierung war neben vielen anderen Geschäften und Einrichtungen auch das Berliner Kaufhaus Jonass, das seit 1929 in einem auffällig gestalteten Gebäude an der Ecke Torstraße/Prenzlauer Allee untergebracht war. Die heutige Torstraße trug verschiedene Namen, darunter Lothringer Straße nach dem 1871 vom neuen Deutschen Reich dem französischen Nachbarn abgetrotzten Reichsland Elsass-Lothringen und in DDR-Zeiten Wilhelm-Pieck-Straße nach dem Mitbegründer der SED und ersten Staatspräsidenten der DDR.

Im Jahr 1889 hatte die Jonass & Co., GmbH eine große Versandhandlung für Uhren gegründet und war zunächst in der Belle-Alliance-Straße, dem heutigen Mehringdamm, ansässig. Inhaber von Jonass & Co. war Hermann Golluber, der an der Stelle eines Exerzierhauses des Kaiser Alexander Garde-Grenadier-Regiments Nr. 1 mit seinem Geschäftspartner Hugo Halle das neue Gebäude für das Kredit-Warenhaus Jonass & Co. AG errichten ließ. Die Architekten Gustav Bauer und Siegfried Friedländer gestalteten das Eckhaus wie ein aufgeschlagenes Buch in der damals neuartigen Skelettbauweise. Friedländer wurde 1942 von den Nationalsozialisten in Riga ermordet.

Im Stil der Neuen Sachlichkeit

Der im Stil der Neuen Sachlichkeit errichtete Bau mit einem Dachrestaurant bot den Bewohnern des nahe gelegenen Scheunenviertels und darüber hinaus günstige Einkaufsmöglichkeiten. Textilien, Haushaltswaren und andere Erzeugnisse konnten auf Kredit und in Teilzahlung gekauft werden. Diese Möglichkeit und die billigen Preise bescherten dem in einer damals dichten Wohnbebauung gelegenen Kaufhaus Jonass mit einer über 15.000 Quadratmeter großen Nutzfläche großen Zulauf. Vor allem die nördlich des Alexanderplatzes in schwierigen Verhältnissen wohnenden Leute nutzten die Möglichkeiten, die ihnen das Kreditkaufhaus bot. Wer ein Viertel des Warenwertes bezahlt hatte, konnte den Rest in vier Monatsraten "abstottern", also abzahlen.

Nach Hitlers Machtergreifung 1933 nahmen die beiden jüdischen Teilhaber des Kaufhauses Jonass zwei "deutschblütige" Angestellte in die Geschäftsführung auf, um der Arisierung zu entgehen. Das nutzte Golluber und Haller aber wenig, denn sie wurden aus dem Geschäft gedrängt. Golluber konnte 1939 in die USA fliehen, wo er bald starb. Ab 1934 erfolgte der Warenverkauf von Jonass & Co. in neuen Räumlichkeiten in dem von Peter Behrens gebauten Alexanderhaus am Alexanderplatz. Die neuen Besitzer schlossen das Kaufhaus an der Lothringer Straße und vermieteten es an die NSDAP, die es als Zentrale der Hitlerjugend nutzte. In dem Gebäude residierte deren Reichszentrale mit dem Reichsjugendführer Baldur von Schirach und nach ihm Arthur Axmann an der Spitze. Während Schirach in Nürnberg zu 20 Jahren Zuchthaus verurteilt wurde und diese Strafe in Berlin-Spandau absitzen musste, entging Axmann, der in den letzten Kriegstagen noch zahllose Hitlerjungen in den Tod geschickt hatte, seiner Strafe und konnte sich als Geschäftsmann und Kaffeehändler mit Verbindungen zur DDR eine zweite Existenz und Chef einer Wirtschaftsauskunftei aufbauen.

Die Gegend war den Nazis lieb und teuer, denn gegenüber dem Kaufhaus Jonas wurde 1930 einer ihrer Helden, der SA-Mann Horst Wessel, auf dem Alten Marien- und Nikolaifriedhof an der Prenzlauer Allee Friedhof beerdigt. Das Grab war eine wichtige Wallfahrtstätte junger und alter Nazis, und so war es auch kein Zufall, dass der Bezirk Prenzlauer Berg in "Horst Wessel" umbenannt und auch weitere Örtlichkeiten in der Umgebung seinen Namen trugen. So haben die Nazis den damaligen Bülow-Platz mit der Volksbühne in der Mitte Horst-Wessel-Platz genannt. Er ist heute als Rosa-Luxemburg-Platz ein wichtiger Treff- und Verkehrsknotenpunkt und auch Haltestelle der Berliner U-Bahn.

Rache an den Rädelsführern

Nach der Enteignung der jüdischen Besitzer in den 1930-er Jahren war das Gebäude Torstraße 1 nach dem Ende der NS-Diktatur Zentrale der 1946 aus dem zwangsweisen Zusammenschluss von KPD und SPD gebildeten Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands (SED). Nachdem die SED-Führung aus dem "Haus der Einheit" 1959 in das ehemalige Reichsbankgebäude am Werderschen Markt umgezogen war, war im ehemaligen Kaufhaus Jonass bis 1990 das Institut für Marxismus-Leninismus (IML) beim ZK der SED untergebracht. Das IML erforschte die Geschichte der deutschen und internationalen Arbeiterbewegung und gab die Werke von Karl Marx und Friedrich Engels sowie weitere "Klassiker" des Marxismus-Leninismus heraus. Hier publizierte das IML, aus einem riesigen Fundus aus Dokumenten, Manuskripten und Büchern schöpfend, seit Ende der 1960er Jahre die große deutschsprachige Marx-Engels-Gesamtausgabe (MEGA).

Das "Haus der Einheit" war lange Zeit das eigentliche Machtzentrum der DDR. Unter dem Porträt und im Geist des damals so sehr geliebten Führers aller Werktätigen, Josef Stalin, wurden in dem Bürogebäude alle wichtigen Entscheidungen über das Wohl und Wehe der jungen DDR getroffen. Von hier gingen in enger Abstimmung mit den "sowjetischen Freunden" auch die Befehle zur Niederschlagung des Arbeiteraufstandes vom 17. Juni 1953 aus. Bei den Demonstrationen für mehr Lohn, demokratische Mitbestimmung, freie Wahlen und den Abzug der sowjetischen Besatzer griffen Ostberliner Arbeiter auch den Sitz des ZK der SED sowie das Haus der Ministerien an der Ecke Wilhelmstraße und Leipziger Straße unweit des Potsdamer Platzes an. Parteischef Walter Ulbricht zitterte ein paar Tage um seinen Posten, doch als der erste und einzige Volksaufstand von sowjetischen Panzern niedergewalzt und auch in anderen Städten der DDR mit eiserner Faust Ruhe und Ordnung wiederhergestellt waren, nahm der Sachse mit der Fistelstimme blutige Rache an den "Rädelsführern" und machte auch nicht vor kritischen Genossen im eigenen Parteiapparat Halt.

Solange die DDR bestand, wurde das Arbeitszimmer von Wilhelm Pieck in der dritten Etage des "Hauses der Einheit" mit allen Bildern, Büchern und Devotionalien als Gedenkzimmer gehegt und gepflegt. Selbst als Staatspräsident bewahrte der gelernte Tischler in seinem Schreibtisch einen Hammer, einen Zollstock, einen Bohrer, eine Kneifzange und anderes Werkzeug auf. In Piecks Sekretariat wurden Urkunden sowie Broschüren und Bücher von und über Piecks gesammelt. Nach der deutschen Wiedervereinigung wurden diese Erinnerungsstücke wie alle anderen Schriften und Dokumente des ehemaligen IML in das Bundesarchiv überführt.

Erinnerung an gute und an schlechte Zeiten

Ab 1995 stand das gruselig anmutende Haus mit den verwaisten Büros und Besprechungszimmern leer und fiel 1996 einer jüdischen Erbengemeinschaft zu. Pläne zur Nutzung als Hotel, als Verwaltungssitz einer Berliner Wohnungsbaugenossenschaft oder Bürogebäude fanden keine Interessenten, deshalb boten die Erben den Komplex weltweit zum Kauf an. Ein Problem waren nicht vorhandene Autostellplätze, ein anderes war die Frage, wie weit man ein Haus mit dieser Vergangenheit neuen Nutzungen anpassen kann und darf.

Nach Jahren des Leerstands und der Vernachlässigung erwarb die deutsch-britische Investorengruppe Cresco Capital das heruntergekommene Gebäude für neun Millionen Euro und ließ es für weitere 30 Millionen Euro unter Beachtung des Denkmalschutzes in das Soho House Berlin umbauen. Jetzt ist das ehemalige Kaufhaus eine noble Residenz für Künstler, Journalisten, Regisseure und Manager aus dem Medienbereich. Die Gedenktafeln neben dem Eingang mit den Köpfen des DDR-Präsidenten Wilhelm Pieck und des DDR-Ministerpräsidenten Otto Grotewohl wurden während der Umbauphase zunächst entfernt und sind jetzt wieder zu sehen. Vor dem Eingang dokumentieren Fotos und viersprachige Kurztexte auf gläsernen Tafeln die Geschichte des Gebäudes. Nach 1989 besaß die Nachfolgepartei der SED, die PDS, in einigen Räumen noch bis 1995 ein Archiv sowie eine Bibliothek und Werkstätten.

Mit ihrem Roman "Torstraße 1" hat die Schriftstellerin Sybil Volks die dramatische Geschichte des Kaufhauses Jonass bis heute nachgezeichnet. Darin geht es um einen Mann und eine Frau, die am gleichen Tag geboren wurden und ihre Kindheit im Kaufhaus Jonass und im Kiez darum herum verlebt haben. Es war eine Kindheit voller Entbehrungen, aber auch mit viel Zuwendung aus der Familie. Jetzt steht die achtzigjährige Elsa vor dem eleganten Soho House, und alles kommt in ihr wieder hoch. Ihr Freund aus Kindertagen ist Bernhard, dessen Vater am Haus mitgebaut hat. Die Kinder und ihre Familien müssen erleben, wie die Besitzer enteignet werden und rassistischer Verfolgung ausgesetzt sind, und sie sehen auch, wie sich die Hitlerjugend in dem ehemaligen Kaufhaus breit macht. Nach dem Ende der Naziherrschaft arbeitet Bernhard im Institut für Marxismus- Leninismus der SED. Zwar trennten Krieg und Mauer die Familien, doch bleiben sich Elsa und Bernhard nahe und treffen noch einmal am Ort guter und schlimmer Erinnerungen aufeinander.

15. März 2017

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