"Ich hoffe, dass sich alles zum Guten wenden wird"
Was das jüdische Mädchen Anne Frank seinem Tagebuch anvertraut hat und warum es weltberühmt wurde











In Amsterdam (oben), Berlin-Pankow und an anderen Orten erinnern Standbilder an Anne Frank, die sich und ihrer Familie ein die Zeiten überdauerndes literarisches Denkmal gesetzt hat. In der Amsterdamer Prinsengracht 263 hielt sich die Familie Frank hinter einem Aktenregal versteckt, bis sie verraten, verschleppt und bis auf Vater Otto Frank ermordet wurde.



Nach jüdischem Brauch haben Besucher der Gedenkstätte Bergen-Belsen kleine Kieselsteine auf den schlichten Grabstein für Margot und Anne Frank gelegt. (Fotos/Repros: Caspar)

Was das jüdische Mädchen Anne Frank ihrem Tagebuch anvertraut hat und warum es weltberühmt wurde Die am 19. Juni 1929 in Frankfurt am Main geborene Anne Frank, Verfasserin des wohl berühmtesten Tagebuchs des 20. Jahrhunderts, war 1934 mit ihren Eltern angesichts der Judenverfolgung aus Nazideutschland in die Niederlande geflüchtet, wo sich ihr Vater Otto Frank eine neue Existenz aufbaute. Nach der Besetzung der Niederlande durch die Wehrmacht begann auch dort die Hatz auf Juden. Als die Familie erfuhr, dass sie sich bei den deutschen Behörden melden soll, um deportiert zu werden, tauchte sie in einem Versteck unter, das der Vater vorsorglich im Hinterhaus eines Bürogebäudes in der Amsterdamer Prinsengracht 263 eingerichtet hatte.

Dort verfasste Anne, die schon sehr frühzeitig das Schreiben für sich entdeckt hatte und von der Arbeit als Journalistin und Romanautorin träumte, jenes Tagebuch in Briefform an ihre fiktive Freundin Kitty und andere Adressaten. Am 6. Juni 1944, als alliierte Truppen in der Normandie landen, herrscht im Versteck hinter einem Schrank Aufruhr. Die Untergetauchten hören im englisches Rundfunk von der Invasion, durch die eine zweite Front gegen Hitlerdeutschland eröffnet wurde. Hoffnungsfroh schreibt Anne an Kitty: "Sollte dieses Jahr, dieses 1944, uns den Sieg schenken? Wir wissen es noch nicht, aber die Hoffnung belebt uns, gibt uns wieder Mut, macht uns wieder stark. Denn mutig müssen wir die vielen Ängste, Entbehrungen und Leiden durchstehen. Nun kommt es darauf an, ruhig und standhaft zu bleiben, lieber die Nägel ins Fleisch zu drücken, als laut zu schreien. […] Kitty, das Schönste an der Invasion ist, dass ich das Gefühl habe, dass Freunde im Anzug sind", schreibt Anne Frank in der Hoffnung schon im September oder Oktober wieder zur Schule gehen zu können. Wie sollte sich diese Hoffnung wenige Tage, nachdem sie dem Tagebuch anvertraut wurde, in Nichts auflösen."

Das Leid der Millionen

Am 22. Mai 1944 schrieb Anne, die Invasion, die Befreiung und die Freiheit würden einmal kommen. Mit Entsetzen registriert sie, "dass die Stimmung, uns Juden gegenüber bei vielen Leuten umgeschlagen ist. Wir haben gehört, dass Antisemitismus auch in Kreisen aufkommt, die früher nie daran gedacht hätten. Das hat uns tief, tief getroffen. […] Ich liebe die Niederlande. Ich habe einmal gehofft, dass es mir, der Vaterlandslosen, ein Vaterland werden wird. Ich hoffe es noch." Am 15. Juli 1944 notiert sie: "Es ist mir nun mal unmöglich, alles auf der Basis von Tod, Elend und Verwirrung, aufzubauen. Ich sehe, wie die Welt langsam immer mehr in eine Wüste verwandelt wird, ich höre den anrollenden Donner immer lauter, der auch uns töten wird, ich fühle das Leid von Millionen Menschen mit. Und doch, wenn ich zum Himmel schaue, denke ich, dass sich alles wieder zum Guten wenden wird, dass auch diese Härte aufhören wird, dass wieder Ruhe und Frieden in die Weltordnung kommen werden."

Eine der letzten Einträge ist vom 21. Juli 1944, einen Tag nach dem gescheiterten Attentat des Grafen Stauffenberg auf Hitler. Ihrer imaginären Brieffreundin Kitty schreibt die achtzehnjährige Anne: "Nun werde ich hoffnungsvoll, nun endlich geht es gut. Ja, wirklich, es geht gut! Tolle Berichte! Ein Mordanschlag auf Hitler ist ausgeübt worden, und nun mal nicht durch jüdische Kommunisten oder englische Kapitalisten, sondern durch einen hochgermanischen deutschen General, der Graf und außerdem noch jung ist. Die ,göttliche Vorsehung' hat dem Führe das Leben gerettet, und er ist leider, leider mit ein paar Schrammen und einigen Brandwunden davongekommen. […] Hitler ist so freundlich gewesen, seinem treuen und anhänglichen Volk mitzuteilen, dass alle Militärs von heute an der Gestapo zu gehorchen haben, und dass jeder Soldat, der weiß, dass sein Kommandant an diesem feigen und gemeinen Attentat teilgenommen hat, ihn abknallen darf." Anne spinnt den Faden weiter und stellt sich und der Brieffreundin Kitty vor, dass der kleine Michel, dem die Füße schmerzen, seine Herrn Offizier abknallt mit der Beschuldigung "Du wolltest den Führer ermorden, das ist dein Lohn!"! Kurz darauf wurde die Familie verraten, verhaftet und ins Vernichtungslager verschleppt. Anne und ihre Schwester Margot starben infolge von Entkräftung im Konzentrationslager Bergen-Belsen an einem nicht bekannten Tag. In den Niederlanden, Deutschland und anderswo erinnern Denkmäler an das deutsche Mädchen, dem das Exilland Niederlande zur neuen Heimat geworden ist.

Die Aufzeichnungen in niederländischer Sprache gehören zu den eindringlichsten Dokumenten für das Leben in tiefer Illegalität während der nationalsozialistischen Judenverfolgung. Sie schwanken zwischen Selbstvertrauen und Zweifeln, Träumen und Ängsten und sind gepaart mit der Hoffnung auf ein Ende der Gefangenschaft. Als genaue Beobachterin der Bewohner und Vorgänge in dem Versteck hinter einem Bücherregal hielt sie mit sarkastischen, aber auch humorvollen Anmerkungen nicht zurück. Ihre Notizen in einem Schreibheft und auf losen Blättern betrachtete Anne Frank als Grundlage für einen Roman, den sie nach der Befreiung verfassen wollte. Aus dem Tagebuch geht hervor, dass Anne die Deportationen und das auf Juden ausgesetzte Kopfgeld bekannt waren.

Verraten, verschlept, ermordet

Nachdem die Familie Frank und weitere Mitbewohner am 4. August 1944 von einem namentlich mit letzter Gewissheit nicht bekannten Juden- oder Kopfgeldjäger an die Gestapo verraten und verhaftet worden war, begann für sie ein entsetzlicher Leidensweg, der sie ins Sammellager Westerbork und von dort nach Auschwitz und in andere Konzentrationslager führte. Anne Frank starb im März 1945 an Krankheit, Hunger und Entkräftung im Konzentrationslager Bergen-Belsen. Ihr Tagebuch war bei der Verhaftung der Familie der Gestapo entgangen. Miep Gies, eine Freundin der Familie, übergab es nach dem Krieg an Otto Frank, der als einziger der Untergetauchten überlebt hatte. Er veröffentlichte sie 1947 unter dem Titel "Het Achterhuis" (Das Hinterhaus). 1950 erschien "Das Tagebuch der Anne Frank" in deutscher Übersetzung.

Anne Franks Erlebnisse, Ängste und Träume, ihre Beobachtungen der komplizierten zwischenmenschlichen Beziehungen unter den Bedingungen der Illegalität vom 6. Juli 1942 bis zum 4. August 1944 haben Millionen Leser berührt und gaben den Stoff für Filme und eine Oper her. 1957 gründete Otto Frank die Anne Frank Foundation, um das Haus in Amsterdam, in dem sich die Familie sich verborgen gehalten hatte, vor dem Verfall zu retten und es der Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Außerdem schuf Otto Frank in Basel den Anne Frank Fonds als Wohltätigkeitsstiftung. Er vermachte ihm das Copyright an dem Tagebuch mit der Auflage, den überwiegenden Teil der Einnahmen für humanitäre Projekte einzusetzen. So hilft der Fonds Verfolgten des Naziregimes und Überlebenden des Holocausts und kümmert sich um die Erziehung der Jugend gegen Rassismus. Interessesse verdient die Bearbeitung des Tagebuchs durch Otto Frank, aber auch die Art und Weise, wie Neonazis und Geschichtsrevisionisten versuchten und versuchen, es als Fälschung hinzustellen und überhaupt den Mord an den Juden durch die Nationalsozialisten zu leugnen.

20. April 2017

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