Was Parolen und Hassbilder anrichten
Zentrum für Antisemitismusforschung an der TU Berlin erhält zwei neue Professuren und analysiert einzigartige Sammlung antisemitischer Bilder



Juden als Tiere hinter den Gittern eines Zoos, so hätten es Antisemiten schon während der Kaiserzeit am liebsten gehabt. Die Postkarte stammt aus dem Jahr 1899.



Das Pseudogeld zu 10 Mark mit dem mit einem Judenstern "geschmückten" Reichsadler, dem Judenkopf und den Hakenkreuzen sagt mehr als tausend Worte.





In der Gedenkstätte Deutscher Widerstand an der Stauffenbergstraße in Berlin werden die Quellen und Auswirkungen des Antisemitismus im nationalsozialistischen Deutschland analysiert, ebenso im Haus der Wannseekonferenz, in dem Anfang 1942 Einzelheiten für die "Endlösung der Judenfrage" festgelegt wurden.



Der reiche Jude behandelt die deutschen Arbeiter wie seine Marionetten, deshalb sollen sie die NSDAP wählen, die ihnen Rettung und Wohlstand verheißt. Das Plakat wurde zur Reichstagswahl am 4. Mai 1924 verbreitet, elf Jahre später waren die Nazis an der Macht.



Das Buch "für Groß und Klein" von Elvira Bauer aus dem Stürmer-Verlag in Nürnberg war in der NS-Zeit weit verbreitet. Die Autorin verbreitete in aggressiver Stürmer-Manier Rassenhass und behauptete "Als Gott der Herr die Welt gemacht, / Hat er die Rassen sich erdacht: / Indianer, Neger und Chinesen / Und Juden auch, die bösen Wesen." (Fotos/Repros: Caspar)

Das Zentrum für Antisemitismusforschung (ZfA) der Technischen Universität Berlin hat eine Heisenberg-Professur bei der Deutschen Forschungsgemeinschaft eingeworben. Diese Professur soll der thematischen, theoretischen und methodischen Neuausrichtung des Zentrums für Antisemitismusforschung dienen und dessen Arbeit vor allem auf die Gebiete der Visual History und der Emotionsforschung ausweiten. Mit Prof. Dr. Uffa Jensen konnte ein herausragender Wissenschaftler für die Technische Universität Berlin gewonnen werden. Er gilt als einer der profundesten Kenner sowohl des modernen Antisemitismus als auch der Emotionsgeschichte. "Antisemitische Bilder, Postkarten und Karikaturen unterstützen die Verbreitung von Vorurteilen, heutzutage verbreiten sie sich über die soziale Medien schneller denn je", sagt der Historiker. Er will durch Analyse versendeter Postkarten mit antisemitischen Darstellungen verstehen, wie die Menschen, die diese verschickten, diese wahrnahmen, was sie dachten - auch um zu begreifen, wie antisemitische Inhalte heute auf die Menschen wirken.

Sorge um Wiedergeburt des Antisemitismus

Prof. Dr. Samuel Salzborn übernimmt eine zweijährige Gastprofessur für Antisemitismusforschung am ZfA der TU Berlin auf, finanziert vom Land Berlin. Er wird den aktuellen Antisemitismus in den Parteien gleich welcher Ausrichtung, den Schulen und der politischen Bildung, bei der extremen Rechten, im Islamismus und in der internationalen Politik untersuchen. Die Gastprofessur ist die erste dieser Art im Bereich Antisemitismusforschung in Deutschland, die von einem Politikwissenschaftler besetzt wird. Berlins Wissenschaftsstaatssekretär Steffen Krach sagte, die Stadt und das gesamte Land hätten wegen ihrer Geschichte eine besondere Verantwortung für das Thema. "Wenn auf Schulhöfen das Wort Jude wieder als Schimpfwort verwendet wird, macht uns das Sorge", sagte er.

Grundlage für die wissenschaftliche Neuausrichtung des ZfA bietet die Zusammenarbeit mit dem belgische Holocaust-Überlebenden Arthur Langermann. Er stellte seine Sammlung judenfeindlicher Plakate, Postkarten und Bilder der TU Berlin zur wissenschaftlichen Erforschung zur Verfügung. Die Ergebnisse sollen nach dem Willen des 75-jährigen Sammlers vor allem junge Menschen über Formen und Folgen des Antisemitismus informieren und sie gegen Vorurteile und Fremdenhass wappnen. Langermans Vater starb in Auschwitz, seine Mutter überlebte, sprach aber selten über den Krieg und das, was sie erleben musste. Er, Arthur Langermann, habe sich gefragt, was die Juden getan haben müssen, um so hassvoll und niederträchtig behandelt zu werden. Auf Flohmärkten und bei Auktionen kaufte er Propagandaplakate, Gemälde und andere Zeugnisse zu diesem schrecklichen Thema. In den letzten Jahren beobachte er eine Wiedergeburt des Antisemitismus. Um dieser Entwicklung entgegenzuwirken, stelle er seine umfassende Sammlung der TU als Leihgabe zur Verfügung. Die in fünfzigjähriger Suche angelegte Kollektion, die nicht nur die Zeit des Nationalsozialismus umfasst, sondern auch Dokumente aus den Epochen davor sowie solche aus den Jahrzehnten nach 1945, ist eine der größten dieser Art. Auf ihnen sind Juden mit verzerrten Fratzen, als Ratten oder schädliche Insekten dargestellt.

Wer sich mit der Geschichte des Antisemitismus in Deutschland befasst, hat es nicht nur mit den Rassegesetzen der Nazis von 1933 und 1935, mit Ausgrenzungen, Boykotten, Pogromen und der "Endlösung der Judenfrage", mit Auschwitz und Zyklon B zu tun. Taucht man in dieses furchtbare Kapitel unserer Geschichte tiefer ein, so stößt man sehr schnell auf massive gemalte, gesprochene und gedruckte Hetze gegen Juden schon in der deutschen Kaiserzeit und davor. Der am 13. Oktober 2017 im Alter von 94 Jahren verstorbene Berliner Sammler und Buchautor Wolfgang Haney, als so genannter Mischling 1. Grades Opfer nazistischer Rassegesetze, hat es sich zur Aufgabe gemacht, Zeugnisse für die Verfolgung und Ermordung der Juden zwischen 1933 und 1945, aber auch Belegstücke für antisemitische Hetze davor zusammen zu tragen und vor der Vernichtung zu bewahren. Das Ergebnis dieser Mühen ist Büchern und Ausstellungen dokumentiert, die auf Haneys Sammlung und Erkenntnissen beruhen. Eines dieser Publikationen wurde von Hans-Ludwig Grabowski und Wolfgang Haney herausgegeben und trägt den an eine Hetzparole angelehnten Titel ",Der Jude nahm uns Silber, Gold und Speck...'. Für politische und antisemitische Propaganda genutzte Geldscheine aus der Zeit der Weimarer Republik und des Dritten Reichs. Dokumentation basierend auf Belegen der Sammlung Wolfgang Haney, Berlin". Das Buch erschien 2015 im Battenberg Verlag in der H. Gietl Verlag & Publikationsservice GmbH Regenstauf, hat 278 Seiten und zahlreiche Abbildungen (ISBN 978-3-86646-122-2). Ohne Haneys Hartnäckigkeit und Spürsinn wären viele auf Trödelmärkten, in Antiquariaten und an anderen Orten entdeckte Dokumente dieser Art von oft unscheinbarem Aussehen auf Nimmerwiedersehen verschwunden. Dem unermüdlichen Sammler verdanken Historiker Erkenntnisse, die sie aus Archivdokumenten und dicken Enzyklopädien sicherlich nicht gewinnen würden, weil sie uns oft besser als tausend Worte den Alltag des Judenhasses zum Ausdruck bringen.

"Der Jude nahm uns Silber, Gold und Speck..."

Das trifft auf die in dem Band publizierten Geldscheine aus der Inflationszeit nach dem Ersten Weltkrieg und weitere Belege dieser Art zu, auf die ultrarechte und vor alle nazistische Kreise üble antisemitische Propagandasprüche und infame Karikaturen gedruckt, geschrieben oder gezeichnet haben. Für den Geldscheinspezialisten, Radakteur und Buchautor Hans Ludwig Grabowski sind die Geldscheine und gelegentlich auch Fantasiedrucke wichtige zeithistorische Belege, "da sie nicht nur einst als Geld umliefen oder Geld nachahmten, sondern versehen mit zusätzlichen Beschriftungen, Beklebungen, Abstempelungen oder Überdrucken auch einen unverfälschten Einblick in die politischen Verhältnisse und Argumentationen ihrer Zeit bieten". Nach der Einführung der wertbeständigen Rentenmark Ende 1923 gab es riesenhafte Berge wertloser Geldscheine. Die meisten landeten im Reißwolf, doch manche haben in Sammelalben die Zeiten überstanden. Weitere Scheine erhielten Aufdrucke oder Aufkleber mit unverdächtigen Werbesprüchen, aber auch mit schlimmen Hassparolen gegen das republikanische "System" und seine Protagonisten sowie gegen jüdische Politiker, Geschäftsleute und allgemein "die Juden".

Auf Dutzenden Geldscheinen liest man Parolen wie "Der Jude nahm uns Silber, Gold und Speck / Und gab uns dafür den papiernen Dreck" oder "Das sauer uns ersparte Gut / Nahm hinweg der Börsenjud, / Unser Silber, unser Gold / Sind in seine Tasche gerollt. / Das Raubsystem verdient den Tritt, / Drum kämpft in Hitler's Reihen mit! Wählt Liste 9." Reichlich verwendete Hakenkreuze und andere Symbole sowie der Name des als Heilsbringer und Retter der Nation gefeierten Führers der NSDAP Adolf Hitler weisen in die Richtung, aus der zum Transport von Hassparolen missbrauchten Geldscheine kamen. Da manchmal eine Wahlliste erwähnt wird, kann man ungefähr die Zeit feststellen, in der die Machwerke entstanden sind. In letztgenannten Fall war es die Reichstagswahl von 1930, bei der die Hitler-Partei mit 107 Abgeordneten hervor ging. Das Buch bietet eine Fülle von Beispielen meist aus der Sammlung Haney für den Missbrauch von Geldscheinen zu Propagandazwecken, doch geht es über die deutschen Grenzen hinaus, denn es werden auch einige ähnlich bedruckte Geldscheine aus Österreich und der Schweiz vorgestellt.

20. Oktober 2017

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