Lebensmittel unter freiem Himmel zu verkaufen war in Berlin zur Kaiserzeit sehr umstritten. Um hier mehr Ordnung und Hygiene zu gewährleisten, wurden 14 Markthallen zwischen 1884 und 1892 nach Plänen des Stadtbaurats Hermann Blankenstein errichtet. Bis auf wenige Ausnahmen haben die ebenso prunkvoll wie funktional gestalteten "Gemüsekirchen" den Zweiten Weltkrieg sowie Abrisse und Neubauplanungen danach nicht überstanden. Die Zentralmarkthalle am Alexanderplatz musste in den 1960-er Jahren der Neugestaltung des Ostberliner Stadtzentrums weichen. Weitere Markthallen sind Kriegsverluste oder wurden nach 1945 abgetragen und überbaut. In Resten, aber auch ganz erhalten und Funktionstüchtig sind die Markthallen in der Zimmerstraße, Dorotheenstraße, Invalidenstraße/Ackerstraße, Dresdner Straße, Pücklerstraße sowie am Arminiusplatz und am Marheineckeplatz. Stadtbaurat Hermann Blankenstein verwendete, ganz der Tradition der Schinkelschule verpflichtet, für die spätklassizistische Fassaden der Markthalle III eine Kombination von Sandstein und Backstein in Form von Klinkern, Formsteinen und Terrakotten in hellgelben und hellroten Farbtönen. Die aus einem riesigen, mit Glasscheiben überdachten Hof bestehende Markthalle verfügte zum Zeitpunkt der Eröffnung über eine nutzbare Grundfläche von 3233 Quadratmetern mit 353 fest eingerichteten Ständen.
Redaktionen von Naziblättern
Im Berliner Zeitungsviertel gelegen, musste die Markthalle III 1910 wegen Unrentabilität schließen. Danach hat man aus dem Haus mit der aufwändig gestalteten Straßenfront das Konzerthaus Clou gemacht, das mit 4000 Plätzen das größte Berliner Tanzlokal war, wie eine Gedenktafel am Eingang berichtet. Am 1. Mai 1927 trat der Führer der NSADAP Adolf Hitler zum erstenmal im Clou und damit in Berlin als Redner auftrat. Der Tanz- und Veranstaltungspalast war den Nazis lieb und teuer. Der Münchner Zentralverlag der NSDAP Franz Eher Nachf. richtete an der Zimmerstraße 90/1 und in benachbarten Gebäuden seine Berliner Niederlassung ein, und auch verschiedene Nazizeitungen hatten hier ihre Redaktionen. Darunter befanden sich das von Joseph Goebbels herausgegebene Hetzblatt "Der Angriff", die SS-Zeitschrift "Das schwarze Korps" und die Berliner Ausgabe des Zentralorgans "Völkischer Beobachter". Die Druckmaschinen standen in den Häusern Zimmerstraße 87-89. Auf ihnen wurden nach dem Zweiten Weltkrieg das SED-Parteiorgan Neues Deutschland gedruckt.
Im Zweiten Weltkrieg erlitt das Bauensemble schwere Bombenschäden. Lediglich das Vorderhaus blieb stehen, während alle hinteren Gebäudeteile, in denen auch das Clou untergebracht war, zerstört und abgetragen wurden. Direkt vor dem Haus verlief zwischen 1961 und 1989 die Berliner Mauer. Deshalb war das Bauensemble für die Ostberliner unzugänglich und so dem Verfall preisgegeben. Das Vorderhaus konnte 2006 umfassend restauriert werden und steht unter Denkmalschutz.
Die "braune" Vergangenheit der zum Tanzpalast verwandelten Markthalle III wird auf der erwähnten Tafel so beschrieben: "Schon 1927 fanden im CLOU Massenveranstaltungen der Nationalsozialisten statt. Teile des Propagandaapparates befanden sich mit Verlag und Druckerei in Vorderhaus und Seitengebäuden. Die Keller wurden von der Gestapo als Verhörkeller genutzt. Das Clou diente während der sogenannten Fabrik-Aktion als Sammellager für hunderte jüdische Zwangsarbeiter, die von der Gestapo Ende Februar 1943 aus Berliner Fabriken in die Vernichtung verschleppt wurden." Im Vorderhaus der ehemaligen Markthalle III sind heute unter anderem Kunstgalerien untergebracht. Zwischen 2011 und 2014 befand sich im Erdgeschoss eine Ausstellung zur Geschichte des Ministeriums für Staatssicherheit der DDR.
Erinnerungen an die Fabrikaktion Anfang 1943
Das von der Gestapo besetzte Prinz-Albrecht-Gelände an der Wilhelmstaße, das "Clou" in der Zimmerstraße, das Sammellager in der Großen Hamburger Straße, die Fontanepromenade, die Burgstraße, der zu Deportationen mit der Reichsbahn verwendete Bahnhof Grunewald, Adolf Eichmanns Judenreferat in der Kurfürstenstraße 115/116 und viele andere Gebäude und Straßen in Berlin hatten unter den Berliner Juden einen grausigen Ruf. Wer dorthin bestellt oder verschleppt wurde, musste um Leib und Leben fürchten. In Rosenstraße unweit des Alexanderplatzes erinnern Steinfiguren an den Protest gegen die sogenannte Fabrik-Aktion Ende Februar 1943. Mutige, zu allem entschlossene Frauen wehrten sich gegen die Deportation ihrer jüdischen Männer und Söhne in die nationalsozialistischen Vernichtungslager. Unter den Augen der Gestapo verlangten sie die Freilassung ihrer Angehörigen - und hatten Erfolg. Die Nazis konnten unnötiges Aufsehen über die Transporte in den Tod nicht gebrauchen, außerdem mussten sie gerade den Untergang der 6. Armee der Wehrmacht in Stalingrad einen Monat zuvor verkraften. Auf Bild- und Schrifttafeln wird über das einst blühende jüdische Leben in diesem Viertel, eine an der Heidereutergasse erbaute Synagoge sowie über die Proteste gegen Deportationen berichtet. Etwas haben sie genutzt, denn es gelang, einige wenige Juden vor dem Tod im Gas zu bewahren. Im September 1942 mussten noch 75.800 Juden in rüstungswichtigen Betrieben Zwangsarbeit verrichten. Hitler befahl, diese so genannten Rüstungsjuden durch andere Zwangsarbeiter zu ersetzen, weshalb das Reichssicherheitshauptamt die ersten im Clou und an anderen Orten zusammengestellten Transporte in die Vernichtungslager Riga und Auschwitz schickte.
Berlin sollte judenrein werden
Anfang 1943 gab es in Berlin rund 15.100 jüdische Zwangsarbeiter in Berlin registriert, und außerhalb der Reichshauptstadt hat man weitere 5.300 jüdische Zwangsarbeiter gezählt. Um Berlin "judenrein" zu machen, drängte der Propagandaminister und Berliner Gauleiter auf rasche "Abschiebung" der noch verbliebenen Juden in den Osten. Mit diesem Begriff, aber auch mit Umsiedlung oder Verschickung wurden die Fahrten in den Tod verbal kaschiert. In Berlin dauerte die Razzia wegen der größeren Personenzahl rund eine Woche. Gestapo und bewaffnete SS-Leute riegelten am Morgen des 27. Februars schlagartig etwa einhundert Betriebe ab und transportierten die Verhafteten auf offenen Lastkraftwagen zu vorbereiteten Sammelstellen, darunter auch in das Haus der Jüdischen Gemeinde in der Rosenstraße. Andere Personen, die durch den Judenstern kenntlich waren, wurden von der Schutzpolizei auf offener Straße verhaftet. Später durchsuchte die Gestapo Wohnungen und nahm die jüdischen Bewohner mit.
Insgesamt wurden bei dieser Großrazzia in Berlin mehr als 8.000 Juden inhaftiert. Die meisten wurden nach Auschwitz und in andere Konzentrationslager verschleppt und ermordet. Indes konnten sich etwa 4 000 Juden untertauchen, was Goebbels am 2. März 1943 in seinem Tagebuch so kommentierte: "Leider hat sich auch hier wieder herausgestellt, dass die besseren Kreise, insbesondere die Intellektuellen, unsere Judenpolitik nicht verstehen und sich zum Teil auf die Seite der Juden stellen. Infolgedessen ist unsere Aktion vorzeitig verraten worden, so dass uns eine Menge von Juden durch die Hände gewischt sind. Aber wir werden ihrer doch noch habhaft werden." Überlebende berichteten nach dem Ende des NS-Staates, sie seien kurzfristig gewarnt worden. Die Gestapo suchte weiter und konnte mit Hilfe von Spitzeln und so genannten Judengreifern zahlreiche Verhaftungen vornehmen. Historiker rechnen mit 55 000 Berliner Juden, die von den Nationalsozialisten ermordet wurden. Im Untergrund konnten, von mutigen Menschen versteckt und versorgt, etwa 1500 Berliner Juden überleben.
8. März 2017
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