Berliner Stadtjubiläum mit Webfehler >
Einwände von Historikern auf Fragwürdigkeit einer uralten Quelle durften Feierlaune nicht stören





Unterschiedlich wie die Logos von 1987 verliefen
die Feierlichkeiten in Westberlin (oben) und Ostberlin.




Nicht allen Berlinern gefiel der teure "Jubiläumszirkus", aber
wenigstens konnte man sich im Westteil der Stadt darüber lustig machen.




Eigenartige Biedermeier-Gemütlichkeit verströmt die mit der Gerichts-
laube verzierte Grußkarte von 1937 des Nazi-Oberbürgermeisters Julius Lippert.




Der Bärenbrunnen im Nikolaiviertel stand im Mittelpunkt der
Feierlichkeiten von 2012. Das Quartier war zur Siebenhundertfünfzig-
jahrfeier 1987 als Mischung zwischen Alt und Neu errichtet worden.




Als sich Berlin 2012 feierte, hat man auch an den Missbrauch
des Jubiläums durch die Nationalsozialisten erinnert.(Fotos/Repros: Caspar)

1987 beging Berlin (Ost) und Berlin (West) sein 750jähriges Bestehen. Doch wurde Berlin tatsächlich vor 750 Jahre gegründet, oder ist die Stadt nicht ein paar Jahre oder Jahrzehnte älter? Solche Fragen wollten vor 40 Jahren die in Feierlaune schwelgenden Politiker hüben und drüben nicht hören. Damals wurden weder Kosten noch Mühen gescheut, um die Stadt international ins rechte Licht zu rücken und das jeweils eigene System zu preisen. Berlin, ob Ost oder West, putzte sich heraus. Kriegszerstörte Bauwerke wie Schinkels Schauspielhaus am Gendarmenmarkt, die Nikolaikirche und das Ephraimpalais im Ostteil der Stadt wurden aufgebaut und standen zu Konzerten beziehungsweise Ausstellungen zur Verfügung. Ohne das Stadtjubiläum wäre vermutlich beiderseits der Mauer vieles verrottet. Im Westteil erinnerten sich geschichtebewusste Leute, dass etwas mit dem ehemaligen Gestapogelände an der Wilhelmstraße geschehen muss und begann mit Planungen für eine Ausstellungshalle, aus der später, im wiedervereinigten Berlin, die von unzähligen Interessenten besuchte Topographie des Terrors wurde. So hatte das Jubiläum bei aller Fragwürdigkeit des Datums sein Gutes.

Auf beiden Seiten der Mauer gab es Ausstellungen, Tagungen, Politikerreden, und unzählige Bücher wurden anlässlich der Jubelfeiern gedruckt. Beiderseits der Grenze wurden bei schönstem Wetter prunkvolle Festumzüge veranstaltet. Bürgermeister und andere offizielle Persönlichkeiten besuchten einander, sprachen auf Empfängen Toaste aus, spiegelten der Welt so etwas wie Normalität vor. Die einfache Bevölkerung hatte jedoch weiterhin Mühe, die andere Seite zu besuchen. Westberliner mussten, daran sei erinnert, weiterhin Anträge stellen und Tagegelder bezahlen, wenn sie in den Ostteil fuhren. Die Bewohner von Ostberlin und der DDR mussten im Rentenalter sein, wenn sie einen Besuch im Westen machen wollten. Jüngere mussten wichtige familiäre Gründe bei der Antragstellung vorweisen und durften, wenn sie Glück hatten und Überprüfungen durch die Volkspolizei und die Stasi durchlaufen hatten, die Grenze passieren.

Bei so viel Jubelstimmung waren Hinweise aus Historikerkreisen auf einen historischen "Webfehler" unerwünscht, dass der Anlass der Jubelfeiern an den Haaren herbeigezogen war. Dazu muss man wissen, dass Berlin über Jahrhunderte eine Doppelstadt war, bestehend aus Berlin und Cölln. Angelegt wurde die Siedlung irgendwann im frühen 13. Jahrhundert. Das 750jährige Stadtjubiläum von 1987 wurde von der Ersterwähnung der Stadt Cölln im Jahre 1237 hergeleitet. Damals unterzeichnete ein Geistlicher eine lateinisch geschriebene Urkunde und setzte hinter seinen Namen Symeon den Zusatz "de Colonia", also aus Cölln. Der gleiche Geistliche unterschrieb 1244 eine andere Urkunde als Symeon, praepositus de Berlin, also Propst Symeon von Berlin. Wäre man korrekt vorgegangen und hätte auf die Historiker gehört, dann hätte das Berliner Stadtjubiläum nicht 1987, sondern erst 1994 stattfinden müssen. Aber so lange wollte man nicht warten, und überhaupt, was schert einen die Geschichte, wenn ein Anlass gesucht wird und gewollt ist.

Umzüge im Zeichen des Hakenkreuzes

Weitgehend unbeachtet bei den Feierlichkeiten im Jahr 1987 blieb, dass 1937 die 700-Jahrfeier Berlins im Zeichen des Hakenkreuzes mit Pauken und Trompeten begangen wurde. Damals stützten sich die Organisatoren auf den gleichen Eintrag des Symeon de Colonia von 1237 und ließen eine Diskussion über die Berechtigung der Jubelfeier mit Paraden, Umzügen und Ausstellungen nicht zu. Ganz gewiss wird 2037 die Achthundertjahrfeier Berlins begangen. Vielleicht denkt man dann daran, dass der Anlass auf ziemlich wackeligen Füßen steht - wie übrigens Gründungsfeste anderer Städte auch.

Bei den Festlichkeiten von 1937 taten Historiker taten daran, die Veranstaltungen nicht infrage zu stellen. Sie wussten, dass die Existenz jenes Schriftstücks rein zufällig ist und dass andere, ältere Dokumente ebenfalls mit der Nennung von Cölln und Berlin fehlen. Da die Gründung von Berlin-Cölln (oder umgekehrt) auf etwa 1230 angesetzt wurde, hatte Stadtarchivar Ernst Kaeber noch während der Weimarer Republik Berlins Oberbürgermeister Gustav Böß eine Jubelfeier im Jahr 1930 vorgeschlagen. Da aber die Zeiten mitten in der Weltwirtschaftskrise hart waren und in Deutschland große Arbeitslosigkeit herrschte, lehnte der Politiker ab.

Bei der Eröffnung der Feierlichkeiten von 1937, ein Jahr nach den Olympischen Spielen, erklärte Propagandaminister Joseph Goebbels, der zugleich Berliner Gauleiter war, mit Blick auf den Kampf der Nationalsozialisten seit den zwanziger Jahren um die Reichshauptstadt, es sei für sie eine besondere Ehre und große Freude, "zum Buch der ruhmreichen Geschichte Berlins ein Blatt hinzugefügt zu haben, von dem wir glauben und hoffen, dass es von den späteren Generationen nicht achtlos überschlagen werden wird. Es ist uns gelungen, in knapp zehn Jahren aus dieser nach Moskau einst rötesten Stadt der Welt wieder eine wahrhaft deutsche Stadt zu machen." Wer heute durch die Straßen fahre und Zehntausende, ja Hunderttausende von fröhlichen, optimistischen und begeisterten Menschen sehe, dem gehe eine Ahnung davon auf, "dass unsere Aufgabe nicht nur eine wirtschaftliche, eine politische oder nur eine soziale gewesen ist, sondern dass es vielmehr eine Aufgabe am Menschen war; dass wir nicht nur diese Stadt in ihrem äußeren Bild, sondern dass wir sie geändert haben auch in den Menschen aller Schichten."

Goebbels' Schmeichelrede

Goebbels behauptete in seiner Schmeichelrede, der üble Beigeschmack, den man empfand, wenn von Berlin oder vom Berliner die Rede war, sei nun geschwunden. Die Nationalsozialisten hätten Berlin von diesem üblen Ruf befreit, "indem wir eine parasitäre jüdische Oberschicht beseitigt und das, was am Berliner gut uns sympathisch ist, nämlich seinen Fleiß, seine Tüchtigkeit, seine Lebensbejahung und seinen Lebenshumor, seinen Lebensoptimismus und seinen Lebenswitz, seine Beweglichkeit und seine Disziplin, seine Hinneigung zu soldatischen Eigenschaften und Tugenden, dass wir das alles wieder zum Durchbruch gebracht haben". Hitlers Propagandachef fügte seiner Eloge die Erwartung hinzu, dass Berlin eine fleißige, fanatische, kurzum eine nationalsozialistische Stadt, eine der treuesten in der Gefolgschaft des Führers und seiner Bewegung sein wird, "wenn die 700 von heute eine 7000 geworden ist". Es sollte nur wenige Jahre dauern, bis die Reichshauptstadt in Trümmern lag und das "Tausendjährige Reich" sein kurzes Leben ausgehaucht hatte.

Die offizielle Festbroschüre von 1937 malte die Entwicklung Berlins "vom kleinen Vorposten des Deutschtums im Osten zur Weltstadt und zur Hauptstadt eines fest begründeten und zum ersten Male in seiner Geschichte wahrhaft einheitlichen Volkes" in rosigen Farben. Bescheiden seien die Anfänge der Stadt in der Zeit der brandenburgischen Markgrafen gewesen, so lautete die Botschaft, doch schon immer hätten sich die Berliner ihrer Feinde erwehrt und für Ruhe, Ordnung und Sicherheit gesorgt. Unter den Hohenzollern sei es langsam aufwärts gegangen. Beschützt durch eine starke Armee und geleitet von weitsichtigen Staatsmännern habe sich die Stadt zu einer aufstrebenden Metropole gemausert, in der es sich gut leben ließ. Dass an dieser Entwicklung in hohem Maße zugewanderte Franzosen und Juden Anteil hatten, ja dass die preußische Haupt- und Residenzstadt ohne sie ziemlich glanzlos geblieben wäre, wurde in der braun übergossenen Lobhudelei selbstverständlich ausgeblendet.

"Mr. Gorbatschow, open this gate"

Als 1987 die Siebenhundertfünfzigjahrfeier im geteilten Berlin begangen wurde, mochte man sich an das Jubiläum von 1937 nur ungern erinnern. Zwar wurden beiderseits der Mauer Fragen nach dem Sinn solcher Veranstaltungen und der Berechtigung des historisch ziemlich fragwürdigen Bezugs auf das Jahr 1237 gestellt. Doch der Wille der Politiker überwog, die Werte der eigenen Gesellschaft herauszukehren und der anderen Seite zu zeigen, was man aus der Geschichte gelernt und wie man die Zukunft gestalten will. Zwei Jahre später fiel die Mauer, und 1990 war Deutschland einig Vaterland. Getrübt wurden die Feierlichkeiten in der Sicht der Ostberliner Führung durch das den Besuch des US-Präsidenten Ronald Reagan. Auf westlicher Seite des Brandenburger Tors stehend, rief er dem sowjetischen Partei- und Staatschef Michael Gorbatschow zu: "Mr. Gorbatschow, open this gate. Mr. Gorbatschow, tear down this wall." Nur mit Mühe bewahrten Erich Honecker und seine Politbürokraten die Contenance. Dass eines Tages die Mauer geöffnet, ja dass der zweite deutsche Staat verschwinden würde, kam ihnen nicht in den Sinn, lag ganz außerhalb ihrer Vorstellungskraft.

13. Januar 2017

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