"Vernichtung durch Arbeit"
Was sich in der "Zentralen Dienstelle für Juden" an der Neuköllner Fontanepromenade 15 abspielte und was aus dem Gebäude wird



Eine gelb gestrichene Parkbank vor der Baustelle Fontanepromenade 15 erinnert daran, dass es in der Nazizeit so genante "Judenbänke" gab, und wer dort Platz nahm, war ganz der Willkür der braunen Machthaber und ihrer willigen Helfer ausgesetzt.



In hoffentlich nicht allzu langer Zeit öffnet das von Dach bis Keller sanierte Haus seine Pforten, und dann wird auch die Gedenktafel neben dem Eingang von der Schutzhülle befreit.



Ein Gedenkstein auf dem Friedhof in der Hermannstraße 84-90 in Berlin-Neukölln nennt jene Kirchengemeinden, die im Zweiten Weltkrieg Zwangsarbeiter zum Teil unter menschenunwürdigen Bedingungen beschäftigt haben.



Eine überlebensgroße Figurengruppe aus Sandstein, die eine schwere Last aus Bronze trägt, erinnert auf dem Gelände des Evangelischen Waldkrankenhauses in Berlin-Spandau an das Leid der zur Zwangsarbeit verpflichteten Menschen. (Fotos: Caspar)

In einer gutbürgerlichen Gegend am Südstern im Bezirk Neukölln steht ein eingeschossiges, wie ein kleines Palais gestaltetes Gebäude mit einer neobarocken Fassade. Nahezu vergessen ist, dass ab 1938 im früheren Verbandshaus der Berliner Fuhrwerk-Genossenschaft mit der Adresse Fontanepromenade 125 die "Zentralstelle für Juden" des Berliner Arbeitsamtes untergebracht war. Seit 1938 durften Juden sich nicht selber Arbeit suchen, sondern mussten das tun, was das Arbeitsamt bestimmte. Es verteilte jüdische Zwangsarbeiter beiderlei Geschlechts auf zahlreiche Betriebe in der Reichshauptstadt. Wer in das Haus unweit des Südsterns bestellt wurde oder Post von der Behörde bekam, musste sich auf Schwerstarbeit unter schlimmen Bedingungen einstellen und wusste auch, dass eine "Abschiebung nach dem Osten" bevorsteht. Unter dieser euphemistischen Umschreibung und weiteren Begriffen wie Aussiedlung und Verschickung verstanden die Nationalsozialisten nichts anderes als die Transporte mit der Reichsbahn in die Stätten des Massenmords an der jüdischen Bevölkerung.

Wer in Auschwitz, Majdanek, Sobibor und anderen Stätten des Grauens nicht gleich vergast oder erschossen wurde, weil er oder sie zu jung, zu alt oder zu krank war, musste Sklavenarbeit in den Konzentrationslagern und in Rüstungsfabriken leisten. Die Listen wurden in dem eher unscheinbaren Haus an der Fontanepromenade geschrieben. Der Spitzname "Schikanepromenade" für diese Adresse des Grauens umschreibt nur unzureichend, was sich dort wirklich ereignet hat.

Seit Jahren steht das zeitweilig von der "Reorganisierten Kirche Jesu Christi der Heiligen der letzten Tage" genutzte Haus zwischen einem vornehmen Wohngebäude aus der Kaiserzeit sowie Gemeinschaftsschule und einer Kita leer. Das hat ihm nicht gut getan, und als der Bremer Architekt und Unternehmer Marc Brune die heruntergekommene Immobilie für rund 800 000 Euro kaufte, um sie sanieren und restaurieren zu lassen und für Wohn- und Geschäftszwecke zu nutzen, erhob sich Widerstand. Nicht gegen die Rettung der Fontanepromenade 15 als solche, sondern weil befürchtet wurde, mit der Sanierung innen und außen, mit der Festigung der Wände und Balken und dem Ausbau des Daches könnte auch die Erinnerung an die braune Vergangenheit dieses Ortes getilgt werden, der zu den steinernen Zeugen des von den Nazis durchgesetzten Prinzips "Vernichtung durch Arbeit" gehört.

Danach sollten die Zwangsverpflichteten nur so lange am Leben bleiben, wie sie die ihnen befohlene Tätigkeit verrichten konnten. "Hinsichtlich der Vernichtung asozialen Lebens steht Dr. Goebbels auf dem Standpunkt, dass Juden und Zigeuner schlechthin, Polen, die etwa 3 bis 4 Jahre Zuchthaus zu verbüßen hätten, […] vernichtet werden sollten. Der Gedanke der Vernichtung durch Arbeit sei der beste" heißt es in einem Aktenvermerk vom 14. September 1942 von Reichsjustizminister Otto Thierack über ein Gespräch mit dem Propagandaminister und Berliner Gauleiter Goebbels und dem Reichsführer SS Himmler. Wer an dieser Arbeit zugrunde gehe, um den sei es nicht schade, notierte Goebbels in seinem Tagebuch.

Nach der "Fabrik-Aktion" Anfang 1943, in deren Verlauf jüdische Zwangsarbeiter, sofern sie nicht untertauchen konnten, aus der Reichshauptstadt in die Konzentrations- und Vernichtungslager gebracht wurden, organisierten Beamte an der Fontanepromenade 15 den Arbeitseinsatz von "Mischlingen" und jüdischen Partnern aus Mischehen ebenfalls mit dem Ziel der "Vernichtung durch Arbeit".

Inzwischen sind die Befürchtungen über mögliche Geschichtsvergessenheit gegenstandslos. Vielleicht hat zum denken der Hinweis der 94-jährigen Holocaust-Überlebenden Inge Deutschkron geholfen, dass sie in dem Gebäude zur Zwangsarbeit bei der IG Farben verpflichtet wurde und sie nur durch das Engagement des Berliner Bürsten- und Besenfabrikanten Otto Weidt, überlebt hat. Der Investor ist einverstanden, einen Gedenkraum einzurichten und ihn für Vereine zu öffnen, die sich mit der Judenverfolgung und dem antifaschistischen Widerstand in der Zeit der Hitlerdiktatur befassen. In hoffentlich nicht allzu langer Zeit fallen die Gerüste und die Bauplanen, und dann wird man wieder auf einer Tafel rechts neben dem Eingang etwas über die Geschichte des Hauses erfahren.

Berlin ist randvoll mit solchen Gedenkorten und mit Erinnerungstafeln gefüllt, und bald kommt auch das unter Denkmalschutz stehende Haus an der "Schikanepromenade" dazu. Dann wird deutlich, dass hier unzählige Menschen stundenlang und oft unter freiem Himmel warten mussten. Als sich Anwohnern beklagten, sie würden sich durch die "Schlangen" belästigt, wurden auf dem Mittelstreifen der Fontanepromenade zwei gelb gestrichene und mit dem Hinweis "Nur für Juden" versehene Bänke aufgestellt. Auf den übrigen Bänken duften sich "Arier" niederlassen.

26. Januar 2017

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