"Eigentum verpflichtet"
Was Pankow dem Zigarettenfabrikanten Josef Garbáty verdankt und wie es Kindern des Jüdischen Waisenhauses ergangen ist







Vor dem S-Bahnhof Berlin-Pankow erinnern der Schriftzug, hier von der Rückseite aufgenommen, sowie die Schriftplatte im Boden an Josef Garbáty, dem Pankow viel zu verdanken hat.







Das II. Jüdische Waisenhaus an der Berliner Straße blickt auf eine bewegte Geschichte zurück, die Gedenktafel neben dem Eingang macht mit wenigen Worten auf sie aufmerksam.



Bild- und Texttafeln in der Janusz-Korczak-Bibliothek schildern die guten und die schrecklichen Etappen in der Geschichte des Waisenhauses.



Die Fassade der Zigarettenfabrik in der Pankower Hadlichstraße ist ganz dem im frühen 20. Jahrhundert beliebten Jugendstil verpflichtet. (Fotos: Caspar)

Etwa 55 000 Berliner Juden wurden von Nationalsozialisten ermordet. Überall in der Stadt erinnern Stolpersteine aus Messing vor ihren Wohnhäusern und an anderen Orten an die Opfer von Hitlers Rassenwahns. Im ehemaligen Jüdischen Waisenhaus an der Berliner Straße 120/121 unweit des S-Bahnhofs Pankow sind auf einer bronzenen Gedenkwand die Namen von 579 von den Nazis ermordeten jüdischen Männer, Frauen und Kinder dokumentiert. Eine Ausstellung ein paar Treppenstufen höher schildert die wechselvolle Geschichte des nach Plänen von Alexander Beer 1912/13 erbauten Gebäudes mit der Inschrift II. WAISENHAUS DER JÜDISCHEN GEMEINDE IN BERLIN im Giebel.

Viele der hier lebenden und umsorgten Kinder und Jugendliche überlebten den Holocaust nicht, nur wenige Glückliche konnten fliehen. Zu den Ermordeten gehörte der Waisenhausdirektor Kurt Crohn, und auch der mit vielen Bauten für die Jüdische Gemeinde befasste Architekt Alexander Beer wurde, wie eine Gedenktafel im Eingangsbereich berichtet, Opfer des nationalsozialistischen Rassenwahns. Nach der zwangsweisen Räumung wurde das Waisenhaus es in eine Außenstelle des Reichssicherheitshauptamtes und damit zu einer gefürchteten Adresse der Nazidiktatur umgewandelt.

Qualmen mit der "Königin von Saba"

Das 1882 erbaute "Erziehungshaus Pankow" hatte ursprünglich jüdische Kinder aufgenommen, die vor den Pogromen im zaristischen Russland in das Deutsche Reich geflohen waren. Da dieses Asyl nicht ausreichte, um auch deutsche Waisenkinder zu beherbergen, wurde kurz vor dem Ersten Weltkrieg das monumentale Waisenhaus an der Berliner Straße errichtet. Dessen Herzstück ist der von dem Pankower Zigarettenfabrikanten Josef Garbáty gestiftete Betsaal, dessen prächtige Kassettendecke in den vergangenen Jahren restauriert wurde und bei Veranstaltungen aller Art bewundert werden kann.

Josef Garbáty hatte es zum Waisenhaus und zum Betsaal nicht weit, denn um die Ecke, in der Hadlichstraße, befand sich seine Zigarettenfabrik. Ein wundervoll mit "jugendstiligen" Ornamenten und Schriftzügen geschmücktes Portal macht darauf aufmerksam, dass hier Zigaretten in riesigen Mengen produziert und von Pankow in alle Welt geliefert wurden. Bereits am S-Bahnhof Pankow wird man auf Garbáty durch einen großen Schriftzug in luftiger Höhe sowie eine in den Boden eingelassene Schrifttafel aus dem Jahr 2002 aufmerksam. Sie nennt die Lebensdaten des jüdischen Unternehmers und Menschenfreundes, dessen Lebensmotto "Eigentum verpflichtet" war.

Josef Garbáty (1851-1939) war mit seiner Familie aus der mehrheitlich von Juden bewohnten und seit 1795 zum russischen Zarenreich gehörenden Stadt Lida in das Deutsche Reich, genauer gesagt nach Preußen ausgewandert. Mit seiner Frau Rosa Rahel hatte er die beiden Söhne Eugen und Moritz Garbáty. Der Unternehmer eröffnete in der Schönhauser Allee in Berlin seine erste Fabrik. Da diese den anwachsenden Bedarf nicht mehr schaffte, zog sie 1906 in die Hadlichstraße 19/20, die von der Berliner Straße abgeht.

Unterm Wert zwangsweise verkauft

Mit der Zeit entstand ein Imperium, das 1927 etwa 800 Menschen beschäftigte und in viele europäische Länder und nach Übersee lieferte. Der Firmenchef ließ in eigener Regie die Verpackungen der von seiner Fabrik produzierten Zigaretten herstellen. Dafür standen in der Hadlichstraße modernste Maschinen zur Verfügung. In der Fabrik richtet der Chef eine Betriebskantine und Pausenräume ein, es gab auch Bäder, eine Betriebswäscherei, eine Betriebsbibliothek sowie eine Betriebszeitung und einen Werkschor. Den Schachteln der Garbáty-Zigaretten wie die patentrechtlich geschützte Marke "Königin von Saba" sowie "Baccarat", "York" und "Duke of Edinbourgh" lagen die damals beliebten Zur damaligen Sammelbilder bei. Mit bunten Serien wie "Deutsche Heimat", "Gallery of Modern Beauty", "Wunderwelt des Schienenstranges", "Von Friedrich dem Großen bis Hindenburg" und "Sport-Wappen I Fußball" machte das Unternehmen Werbung für sich und seine Erzeugnisse. Josef Garbátys Sohn Moritz hatte sportliche Ambitionen. Er initiierte den Garbáty-Sportclub "G.S.C." und war dessen Vorsitzender. Darüber hinaus unterstützte die Firma Sportveranstaltungen und stiftete 1925 den Pokal für die Internationale Radfernfahrt Zürich-Berlin. Als in Berlin im Jahre 1936 die Olympischen Spiele ausgetragen wurden, konnte das von "Arisierung" bedrohte Unternehmen noch Ansichtskarten an seine Geschäftspartner verschicken.

Nachdem 1938 im Zuge der "Verordnung zur Ausschaltung der Juden aus dem deutschen Wirtschaftsleben" Garbátys Fabrik und Immobilien in und außerhalb Berlins an die aus Köln stammende Jacob-Koerfer-Gruppe und die Hamburger Reemtsma Cigarettenfabriken zwangsweise arisiert, also unterm Wert verkauft worden waren, gelang der enteigneten Familie die Emigration in die USA. Josef Garbáty wollte nicht in die Neue Welt umziehen und blieb in Pankow, wo er am 29. Juni 1939 starb, zwei Tage nach seinem 88. Geburtstag. Er wurde auf dem Jüdischen Friedhof in Berlin-Weißensee bestattet. Seine Betreuerin Sophie Boroschek wurde im Jahre 1943 im KZ Natzweiler-Struthof vergast.

Club, Cabinet und Karo

Die Fabrik überstand den Zweiten Weltkrieg relativ unversehrt und produzierte unter neuen Bedingungen weiter, denn das Rauchen war weit verbreitet, und Zigaretten dienten als eine Art zweite Währung, vor allem wenn es sich um "Amis" handelte, also um solche aus amerikanischer Produktion. Die sowjetische Besatzungsmacht sorgte dafür, dass die Zigarettenfabrik bald wieder ihren Betrieb aufnehmen konnte. In DDR-Zeiten wurde aus der Kommanditgesellschaft ein Volkseigener Betrieb gemacht, der sich "VEB Garbáty" nannte und 1960 mit dem "VEB Josetti" zur "Berliner Zigarettenfabrik" (Bezifa) zusammengeschlossen wurde. Der Name Garbáty wurde im Stadtbild des Berliner Bezirks Pankow getilgt und kehrte erst nach dem Ende der DDR und der deutschen Wiedervereinigung zurück. Bis zur "Wende" stellten die "VEB Vereinigte Zigarettenfabriken, Werk Berlin" mit knapp 500 Beschäftigten die Marken "Club", "Cabinet" und "Karo" her.

Nach der Wiedervereinigung wurden "ostdeutsche" Zigaretten nicht mehr gebraucht, die Raucher im untergegangenen zweiten deutschen Staat orientierten sich anders, und so kam es, dass der Nachfolger von Garbáty seinen Betrieb einstellen musste. Das in DDR-Zeiten als kubanische Botschaft genutzte Gebäude des ehemaligen jüdischen Waisenhauses wurde seit 2001 mit neuem Konzept vom Förderverein des ehemaligen Jüdischen Waisenhauses wiedereröffnet und bekam Spenden von einem Enkel Josef Garbátys, Thomas Garbáty. Das Gebäude ist Veranstaltungshaus, Kulturzentrum und Bibliothek, die den Namen Janusz Korczak trägt. Der polnische Arzt, Kinderbuchautor und Pädagoge wurde bekannt durch den Einsatz für Kinder seines Waisenhauses, die ins Vernichtungslager Treblinka verschleppt wurden. Er wollte eine Schützlinge nicht allein lassen und ging mit ihnen an einem nicht genau bekanten Tag im Jahr 1942 in den Tod. Von 1999 bis 2009 gab es in der Breiten Straße 43 das Café Garbáty, das heute in der Mühlenstraße 30 untergebracht ist und mit seinem Namen die Erinnerung an die Familie Garbáty wach hält.



16. März 2017

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