Vernehmer verlangten Geständnisse
Viele Besucher kamen zum Tag der offenen Tür in das ehemalige Stasi-Untersuchungsgefängnis Berlin-Hohenschönhausen



Lage und Existenz des seit Kriegende erst vom sowjetischen Geheimdienst KGB und ab 1951 vom Ministerium für Staatssicherheit betriebenen Sondergefängnisses waren geheim.



Man tat gut daran, das durch Mauern, Stacheldraht, elektrische Zäune und auf andere Art abgesicherte Gebiet, das weit mehr war als eine Untersuchungshaftanstalt zu meiden, wollte man nicht in den Blick der Stasi geraten.



Eine Berliner Gedenktafel aus Porzellan klärt auf, was sich hinter den Mauern des "Städtchens" abgespielt hat. Ehemalige Stasi-Leute finden solche Hinweise überhaupt nicht gut.



Dank der Intervention ehemaliger Häftlinge bekam der so genannte Grotewohl-Express Asyl im früheren Stasiknast Hohenschönhausen und kann dort, regensicher unter ein Dach gestellt, besichtigt werden.



Im früheren Haftkrankenhaus wurden Opfer der Stasi behandelt, die Ärzte und Pfleger unterlagen als Angehörige des MfS nicht er Schweigepflicht und fühlten sich auch nicht an den Eid des Hippokrates gebunden.



Mit netten Gardinen verhüllt, ist ein solcher im ehemaligen Mielke-Ministerium an der Ruschestraße in Berlin-Lichtenberg, wenige Kilometer Luftlinie vom Untersuchungsgefängnis Hohenschönhausen entfernt, Gefangenentransporter ausgestellt.



Ein Gedenkstein im Gefängnishof von Hohenschönhausen ehrt die vielen Opfer des DDR-Geheimdienstes. Nach und werden dank intensiver Recherchearbeit ihre Namen bekannt und öffentlich gemacht. (Fotos: Caspar)

Die Gedenkstätte Berlin-Hohenschönhausen hat am 9. und 10. Dezember anlässlich des Internationalen Tags der Menschenrechte zu kostenlosen Sonderführungen eingeladen. Jeweils am 10. Dezember erinnern die Vereinten Nationen an die Verabschiedung der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte Ende 1949. Bis heute machen Institutionen an diesem Tag auf die aktuelle Situation der Menschenrechte weltweit aufmerksam. Das Europäische Parlament und die Organisation Reporter ohne Grenzen verleihen an diesem Tag den Sacharow-Preis beziehungsweise den Menschenrechtspreis. Ehemalige politische Gefangene sowie Historiker und anderer Kenner dieses Ortes des Schreckens führten am zweiten Dezemberwochenende unter anderem in sonst unzugängliche Bereiche, in denen bis 1989 männliche Strafgefangene der Staatssicherheit Zwangsarbeit verrichten mussten. Außerdem wurden die Unterwelt der Stasi, also die Keller mit Küche, Wäscherei und Näherei, sowie das frühere Haftkrankenhaus für die Besucher geöffnet. Im Krankenhaus hat man Gefangene behandelt, die bei Fluchtversuchen angeschossen wurden oder während der Haft in Hungerstreik getreten waren oder einen Selbstmordversuch unternommen hatten. Ärzte und Pfleger des gruseligsten Hospitals der DDR waren allesamt Stasi-Mitarbeiter. Der Schriftverkehr mit ihnen wurde über Deckadressen abgewickelt, wie in der ständigen Ausstellung "Inhaftiert in Hohenschönhausen - Zeugnisse politischer Verfolgung 1945-1989" zu lesen ist.

Folter, Lockangebote, Epressungen

Das Untersuchungsgefängnis und anschließende Areale waren auf DDR-Karten grün eingezeichnet, ohne Konturen, Gebäude und Straßen. Mancher ahnte, was sich da hinter hohen Mauern und in den Plattenbauten abspielt, tat aber gut daran, den Ort zu meiden. Wer dienstlich im "Städtchen" zu tun hatte, musste Kontrollpunkte passieren und sich durch Sonderausweise legitimieren. Die schweren Eisentore öffneten sich nur für sie und die Gefangenentransporte. Überall auf dem Gelände angebrachte Kameras nahmen jede Bewegung auf, in einem Kontrollraum im Nordflügel wurde an Monitoren jeder und jedes überwacht. Für den wenige Kilometer Luftlinie vom Mielke-Ministerium entfernten Stasi-Knast Hohenschönhausen bestimmte Transporte fuhren oft stundenlang durch Ostberlin und Umgebung, damit die Gefangenen jede Orientierung verlieren und glauben, weit weg von ihrem Wohnort zu sein. Äußerlich waren die inwendig vergitterten Transporter der Marke Barkas 1000, in denen die Gefangenen eingepfercht waren, als solche nicht zu erkennen. Aufkleber wie "Frisches Obst" oder "Frischfisch" dienten der Tarnung.

Neben dem Gefängnis wohnten nur Mitarbeiter der Staatssicherheit. Viele von ihnen genießen auch heute die Freuden eines kleinen Gartenreichs mit schmucken kleinen Einfamilienhäusern. Große Plattenbauten mit Wohnungen und Büros verdecken auch heute die Sicht auf das hinter hohen Mauern und Wachtürmen verborgene Gefängnis, das nach der Wiedervereinigung in eine vielbesuchte Gedenkstätte umgewandelt wurde. Dass sie heute ohne besondere Formalitäten betreten und verlassen werden kann, nehmen ehemalige Gefangene und die aus aller Welt herbeiströmenden Besucher am Tag der offenen Tür mit Genugtuung hin. Kaum zu verstehen sei aber, so hörte man auch am Tag der offenen Tür, dass viele Stasi-Leute, auch Bedienstete von Hohenschönhausen, nach dem Ende der SED-Herrschaft und der DDR nicht oder kaum zu Verantwortung gezogen wurden und sich als heldenhafte Verteidiger des Sozialismus aufspielen. Einsichtslos wie sie sind, behaupten sie, im Gefängnis seien nur Kriminelle gewesen, denn es habe in der DDR keine politischen Gefangenen gegeben. Wer nach Hohenschönhausen kam, habe sich das selber zuzuschreiben, er oder sie habe ja keinen Fluchtversuch untenehmen oder sich dem Arbeiter-und-Bauern-Staat gegenüber auch nicht "feindlich-negativ" verhalten müssen.

U-Boot, Tigerkäfig und das Totenbuch

Diese Beschreibung von Regimegegnern ist in unzähligen Stasi- und Justizdokumenten zu finden, und was sich dahinter verbarg, wurde bei den Führungen ebenso diskutiert wie ausgeklügelte Methoden, die Gefangenen zu demütigen und zu verunsichern. Als das Untersuchungsgefängnis noch unter dem Befehl des sowjetischen Geheimdienstes KGB stand, waren brutale Verhör- und Foltermethoden an der Tagesordnung. Durch sie sollten die Gefangenen zu "Geständnissen" gebracht werden, auf deren Grundlage Militärgerichte hohe Zuchthaus- und vielfach auch Todesstrafen aussprachen. In Stasizeiten bedienten sich die Vernehmer vielfach subtilerer Methoden. Sie taten vielfach so, als ob sie schon alles über die Beschuldigten wüssten, und bräuchten eigentlich nur noch ein paar Details über Taten und Mitwisser, um ihren Bericht abschließen zu können. Den eingeschüchterten, durch pausenlose Verhöre, Essens- und Schlafentzug sowie durch Andeutungen über das Verhalten ihrer Angehörigen und Freunde zermürbten Gefangenen wurde eingeredet, sie könnten durch ein umfassendes Geständnis ihre Lage verbessern und das Gericht milde stimmen. Lockangebote und Erpressungen wechselten einander ab, und es wird berichtet, dass Vernehmer ihren Opfern einzureden versuchten, dass ihnen "das hier" selber unangenehm ist. Bei einem gewissen Entgegenkommen könnten die Gefangenen ihre Lage spürbar verbessern. Ehemalige Gefangene berichteten vom ganzen Gegenteil. Sie seien durch grelles Licht regelrecht gefoltert worden, das die Zellen nachts taghell erleuchtete, so dass Schlaf unmöglich war und die Gefangenen absichtlich in Unruhe und Stress versetzt wurden.

Besucher lernten bei den Sonderführungen unter anderem das ehemalige Arbeitslager des Mielke-Ministeriums kennen, schauten ins frühere NS-Archiv und in die Werkstätten, in denen Untersuchungshäftlinge Stasi-Überwachungstechnik, Möbel und anderes bauen mussten. Zu sehen waren auch die unter der Haftanstalt befindlichen Kelleranlagen, genannt U-Boot, in denen Gefangene gequält wurden. Die Führungen gingen dort durch Gewölbe mit der Häftlingsküche sowie Schlaf- und Aufenthaltsräumen der Gefangenen, aber auch in die Sauna, in der sich Stasi-Leute erholten und neue Kraft für weitere Gemeinheiten schöpften. Gezeigt wurden oberirdisch die kleinen "Tigerkäfige" genannten Buchten, in denen Gefangene, von ihren Wächtern streng beobachtet, ein wenig Luft schnappen und sich die Beine vertreten konnten, selbstverständlich immer allein, denn Kontaktaufnahme zu anderen Häftlingen wurde nicht zugelassen, nicht einmal der Blick in ein anderes Gesicht war beim Gang von der Zelle zum Verhörraum erlaubt. Zu sehen war auch der der so genannte Grotewohl-Express, ein zum Häftlingstransport genutzter Eisenbahnwaggon, der nach dem früheren DDR-Ministerpräsidenten Otto Grotewohl benannt wurde. Fast wäre der Waggon verschrottet worden.

Die Gedenkstätte Berlin-Hohenschönhausen hat die Namen von knapp 700 Menschen veröffentlicht, die zwischen 1945 und 1949 im sowjetischen Speziallager Nr. 3 oder im benachbarten Haftarbeitslager ums Leben kamen. Nach Angaben der Gedenkstätte wurden nach dem Zweiten Weltkrieg in Deutschland über 380.000 Zivilisten in sowjetische Speziallager eingewiesen. Mindestens ein Viertel von ihnen kam dort ums Leben. Etwa 20.000 waren in Berlin-Hohenschönhausen inhaftiert. Wie viele von ihnen dort genau starben, ist nicht bekannt. Die Toten wurden damals auf einem nahegelegenen Müllabladeplatz in der Gärtnerstraße in einem anonymen Massengrab verscharrt, von der Stasi auch Totenacker genannt. Nach der friedlichen Revolution 1989/90 hat man die sterblichen Überreste von 127 Gefangenen gefunden und am 24. Oktober 1995 auf dem städtischen Friedhof Hohenschönhausen würdevoll bestattet.

Tote auf Müllabladeplatz nebenan verscharrt

In der Datenbank totenbuch.stiftung-hsh.de können Angehörige und andere Interessierte erstmals selber prüfen, wer dort in sowjetischer Haft gestorben ist. Vermerkt sind Namen, Geburts- und Sterbedatum, Geburtsort und der letzte Wohnort. Die Totenliste liegt auch in gedruckter Form vor. Um die Namen der Toten herauszufinden, waren mehrjährige Recherchen notwendig. Dazu wurden vor allem Karteikarten aus dem russischen Staatsarchiv sowie Quellen des Suchdienstes des Deutschen Roten Kreuzes und der Wehrmachtsauskunftstelle ausgewertet. Das Forschungsprojekt wurde von der Bundesstiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur gefördert.. Durch Veröffentlichung des Totenbuchs bekamen die Opfer wieder einen Namen. Für die Hinterbliebenen ist es wichtig, Klarheit über das Schicksal ihrer Väter, Mütter, Geschwister und Kinder zu bekommen. Die Sammlung und andere Dokumente verdeutlichen,dass das Ende des Naziregimes für die Ostdeutschen der Beginn einer neuen Diktatur bedeutete, die erneut Hunderttausende in Lagern verschwinden ließ und viele umbrachte. Zwar wird das von Apologeten und unter ihnen viele Schergen des Mielke-Ministerium vehement bestritten. Die Tatsachen aber sprechen, wie auch am Tag der offenen Tür deutlich wurde, eine andere Sprache.

In der Sowjetischen Besatzungszone (SBZ) unterhielt das NKWD/Ministerium für Innere Angelegenheiten (MWD) der Sowjetunion bis Anfang 1950 insgesamt zehn Speziallager und drei Innere Gefängnisse. Im Speziallager Nr. 3 Berlin-Hohenschönhausen an der Genslerstraße und im Haftarbeitslager starben zwischen 1945 und 1948 rund eintausend Menschen. Das nach mehrjähriger Recherchearbeit entstandene Totenbuch der Gedenkstätte Berlin-Hohenschönhausen dokumentiert bis jetzt die Namen und weitere biografische Angaben von 702 Verstorbenen. Die Dokumentensammlung richtet sich vor allem an Hinterbliebene und Angehörige, von denen viele bis heute auf konkrete Antworten über das Schicksal von Familienmitgliedern, Freunden und Kollegen warten. Mit ihren Recherchen bemüht sich die Gedenkstätte, einen fundierten Gesamtüberblick über die in den Speziallagern verstorbenen Personen zu geben, das Schicksal der Betroffenen endgültig aufzuklären und ihre Identität über den Tod hinaus zu bewahren.

10. Dezember 2017

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