Haus mit spezieller Vergangenheit
Heike-Villa unweit des Stasi-Untersuchungsgefängnisses Berlin-Hohenschönhausen erhält eine neue Aufgabe



Die nach dem Ende der DDR-Staatsicherheit leer stehende Heike-Villa an der Freienwalder Straße 17 im Berliner Ortsteil Hohenschönhausen steht unter Denkmalschutz und wird aktuell in ein Büro- und Atelierhaus umgebaut. Wer an ihm vorbei geht, kann durch die Fensterhöhlen in große Säle und Büros blicken.





Wer in das Stasigefängnis an der Genslerstraße eingeliefert wurde, war der Willkür der Bewacher ausgesetzt. Viele Stasileute konnten nach dem Ende der SED-Diktatur eine neue Karriere starten und blieben auch von der bundesdeutschen Justiz verschont.



Bei Führungen durch die U-Boot genannten Katakomben unter der ehemaligen NSV-Großküche erfahren Besucher einiges über Schicksale derer, die hier nach 1945 im Dunkeln, bei Kälte und manchmal auch bei Hitze auf Verhöre und Gerichtsverfahren warten mussten. Die von der sowjetischen Besatzungsmacht eingerichteten Zellen wurden ab den sechziger Jahren nur noch als Magazine verwendet.



In dem um 1960 errichteten Neubau des Gefängnisses sind Zellen sowie Vernehmerzimmer aus Stasi-Zeiten erhalten. In Schränken waren Abhöreinrichtungen versteckt. Die Häftlinge saßen mit dem Rücken zur Tür und konnten nicht sehen, wer den Raum betritt. Nach Gutdünken zogen die Vernehmer die Vorhänge auf, so dass ein Stück Himmel zu sehen war, oder ließen sie geschlossen. Die Verhöre waren eine psychologisch fein abgestimmte Mischung von Drohungen und Lockangeboten.



Wer von den Gefangenen nicht parierte, wurde durch Beruhigungsmittel, Nahrungsentzug und auf andere Weise zur Räson gebracht. Es kam auch vor, dass Häftlinge in Zwangsjacken gesteckt und damit bewegungsunfähig gemacht wurden. Eine solche mit hinten geschlossenen Riemen ist in der Ständigen Ausstellung im Gefängnisneubau zu sehen. (Fotos: Caspar)

Die Villa des Industriellen Richard Heike in der Freienwalder Str. 17 im Berliner Ortsteil Hohenschönhausen ist ein Haus mit einer speziellen Vergangenheit. Der Wohn- und Verwaltungssitz einer Maschinenbaufabrik lag in DDR-Zeiten im Sperrgebiet rund um das Untersuchungsgefängnis des Ministeriums für Staatssicherheit (MfS). Die Freienwalder Straße führt geradewegs auf das berüchtigte Gefängnis mit der Adresse Genslerstraße 66. Das vornehme Haus auf einem großen Industriegelände an der Freienwalder-, Gensler- und Bahnhofstraße wurde 1911 errichtet. Noch heute erkennt man, dass es ganz im Geiste des Jugendstils errichtet wurde, ein vierstöckiger Bau mit den Wohn- und Geschäftsräumen eines Fabrikanten von Maschinen zur Fleisch- und Wurstherstellung. Richard Heike verfügte im Erdgeschoss über eine große Ausstellungshalle, in oberen Etagen hatte er Büros und Wohnräume. Hinter der Villa befand sich die eigentliche Maschinenfabrik. Sie war bis zum Ende des Zweiten Weltkriegs einer der wichtigsten Arbeitgeber im Berliner Ortsteil Hohenschönhausen. Während des Zweiten Weltkriegs setzte Heike sowjetische Kriegsgefangene als Zwangsarbeiter ein und verdiente viel Geld. Die Nationalsozialistischen Volkswohlfahrt (NSV) kaufte von ihm ein Gebäude an der Freienwalder Straße und installierte dort eine Großküche. Um sie herum entstanden später das Stasi-Gefängnis und weitere Bauten des DDR-Geheimdienstes.

Nachdem die Rote Armee im April 1945 Berlin erobert hatte, wurden Richard Heike und seine Haushälterin von sowjetischen Soldaten erschossen, sein Sohn starb in einem sowjetischen Arbeitslager. Bisher ist nicht viel bekannt, was gleich nach dem Krieg in dem Haus geschehen ist, es wird angenommen, dass hier das sowjetische Ministerium für Staatssicherheit (MGB) und seine "Organe" Untersuchungen gegen Nazis und solche Personen befasst waren, die für solche gehalten wurden. Das Haus in Sichtweite des Untersuchungsgefängnisses wurde zunächst von der Hauptabteilung Personenschutz des MfS genutzt und erhielt auf dem Dach eine Funkantenne, über die Kontakt zu Fahrzeugen ausgewählter DDR- und SED-Funktionäre gehalten wurden. In den 1960-er Jahren war die Heike-Villa zunächst Zentralarchiv des MfS, dann aber zog 1968 das NS-Archiv als besondere Diensteinheit in das Haus ein.

Echte und gefälschte Dokumente

Die Akten aus der Zeit des Nationalsozialismus waren von der Stasi überall in der DDR zusammengesucht worden, "um die in Westdeutschland und Westberlin im Staats-, Wirtschafts- und Militärapparat sowie in Parteien und Organisationen tätigen und durch ihre faschistische Vergangenheit belasteten Personen noch zielgerichteter zu entlarven", wie es in einer Weisung von Stasi-Minister Erich Mielke vom Dezember 1967 heißt. Mit Hilfe der in den eigenen Medien ausgewerteten, aber auch in der Bundesrepublik und darüber hinaus verbreiteten Dokumente hat die DDR Druck auf Bundespolitiker und andere Personen ausgeübt. Belastende Unterlagen wurden darüber hinaus von der Stasi eingesetzt, um die Vergangenheit von DDR-Bewohnern zu überprüfen und sie gegebenenfalls zur Mitarbeit zu bewegen. In der Heike-Villa befindliche NS-Unterlagen wurden unter anderem gegen den Staatssekretär unter Bundeskanzler Konrad Adenauer, Hans Globke, verwendet, der einen Kommentar zu den Nürnberger Rassegesetzen von 1935 verfasst hatte und in der DDR als unbelehrbarer Altnazi eine besondere Hassfigur darstellte. Das MfS verwendet in seinen Kampagnen echte Unterlagen, und wo es solche nicht gab, wurden welche in den Fälscherabteilungen ebenfalls im Hohenschönhausener Sperrbezirk fabriziert. Um den verhassten westdeutschen Staat national und international in Misskredit zu bringen und die DDR als Hort des Fortschritts und des Antifaschismus darzustellen, wurden spektakuläre Schauprozesse gegen Globke und andere Westdeutsche veranstaltet. In Abwesenheit der Angeklagten durchgeführt, endeten die Verfahren nach Weisungen von ganz oben, also aus dem SED-Politbüro, mit hohen Zuchthausstrafen.

Wortführer der DDR-Kampagne gegen westdeutsche Politiker von damals war das SED-Politbüromitglied Albert Norden. Er veröffentlichte 1965 ein so genanntes Braunbuch mit Namen von über 1.800 Nazis und Kriegsverbrechern in westdeutschen Führungspositionen. In weiteren Auflagen wurde die Liste auf über 2.300 Namen verlängert. Der Name des Braunbuches war bewusst gewählt, denn er lehnte sich absichtsvoll an das "Braunbuch über Reichstagsbrand und Hitlerterror" an, das 1933 in Paris mit Enthüllungen über die Verbrechen der NS-Diktatur erschienen war. Obwohl der größte Teil der Vorwürfe berechtigt war, haben Norden und seine Leute auch von der Stasi gefälschte Unterlagen verwendet, denn wichtig war für sie der Nachweis für die Verstrickung tonangebender Persönlichkeiten in die Verbrechen des NS-Regimes. Umstritten ist, ob im Fall des als "KZ-Baumeister" verunglimpften Bundespräsidenten Heinrich Lübke vom MfS gefälschte Dokumente eingesetzt wurden oder nicht.

Um westdeutschen Behörden Untätigkeit bei der Verfolgung von NS-Tätern vorwerfen zu können, hat die Stasi wichtige Erkenntnisse für sich behalten. Auf der anderen Seite schützte sie an Euthanasie-Morden beteiligte Mediziner, die nach 1945 in der Sowjetischen Besatzungszone beziehungsweise der DDR Karriere machten und mit hohen Orden und Titeln ausgezeichnet wurden. Die Ärztin Margarete Hielscher, die 1930 über das Thema "Die Unfruchtbarmachung Schwachsinniger aus rassenhygienischen und sozialen Gründen" promoviert hatte und zwischen 1943 und 1945 als Leiterin der Kinderfachabteilung der Thüringischen Landesheilanstalten Stadtroda für die Tötung von mindestens 72 Kindern verantwortlich war, wurde 1946 SED-Mitglied und kam niemals vor Gericht. Ebenfalls gingen die gut informierten Sicherheitsbehörden der DDR mit der Medizinprofessorin Rosemarie Albrecht um, die es bis zur Dekanin der Medizinischen Fakultät der Friedrich-Schiller-Universität Jena brachte und mit dem Ehrentitel "Verdiente Ärztin des Volkes" ausgezeichnet wurde. Als im Jahr 2000 wurde bekannt, dass sich in den Akten der DDR-Staatssicherheit Hinweise auf ihre Beteiligung Albrechts an den Euthanasie-Morden in Stadtroda fanden, setzte das Simon Wiesenthal Center ihren Namen auf eine Liste gesuchten NS-Kriegsverbrecher. Das Landgericht Gera stellte das Verfahren gegen die inzwischen 90-jährige Ärztin 2005 wegen Verhandlungsunfähigkeit ein; zuvor hatten 22 frühere Kollegen eine Solidaritätserklärung für sie abgegeben, darunter der emeritierte Direktor der Kinderklinik am Universitätsklinikum Jena, Erich Häßler. Dieser wiederum war 1919/20 Freikorpskämpfer gewesen, 1933 in die SA und 1937 auch in die NSDAP eingetreten. Er war Sachbearbeiter und Schulungsredner im Rassenpolitischen Amt Leipzig und ebenfalls am nationalsozialistischen Euthanasieprogramm beteiligt. Bereits 1949 konnte er seine Karriere als Kinderarzt wieder aufnehmen.

NS-Arzt als Wohltäter der Menschheit

Häßlers Vorgänger als Direktor der Jenaer Kinderklinik, der gebürtige Ägypter Jussuf Ibrahim, hatte diese Position bereits während der NS-Zeit inne. Zwar konnte er wegen seiner "rassisch nicht einwandfreien Herkunft" nicht Mitglied der NSDAP werden, war aber ebenfalls an Euthanasie-Verbrechen beteiligt. Mit Ehrendoktorwürden und dem Nationalpreis der DDR 1. Klasse ausgezeichnet, galt der Kinderarzt als "Retter der Säuglinge, Berater der Mütter und Wohltäter der Menschheit". In Jena wurden die Universitätskinderklinik, zwei Kindergärten und eine Straße nach ihm benannt, die jedoch nach dem Bekanntwerden seiner Mitwirkung an den Krankenmorden eine andere Bezeichnung erhielten. Harry Güthert, Professor in Jena und Erfurt und bis 1985 Chefredakteur der Fachzeitschrift "Zentralblatt für allgemeine Pathologie und pathologische Anatomie" war NSDAP-Mitglied und als Pathologe unter anderem im Konzentrationslager Buchenwald tätig. Die Liste der von der Stasi und DDR-Justiz geduldeten NS-Täter ließe sich auch mit Namen aus anderen Bereichen von Wissenschaft, Kultur und Wirtschaft beliebig fortsetzen. Es wird vermutet, dass die betreffenden Personen erpresst und in Abhängigkeit an das Regime gehalten wurden.

Das NS-Archiv verblieb bis zur Auflösung des MfS Ende 1989 in der Fabrikanten-Villa, danach übernahm das Staatsarchiv der DDR die Dokumente und die aus 7000 Bänden bestehende Bibliothek. Die Freienwalde Straße 17, im Stasi-Jargon Haus 3 genannt, richtete das Archiv seine Außenstele mit 36 Arbeitszimmern ein. Das ganze Material ging laut Einigungsvertrag an das Bundesarchiv Außenstelle Berlin. Die inzwischen in die Berliner Denkmalliste eingetragene Heike-Villa wurde vorübergehend als Asylantenheim für Bürgerkriegsflüchtlinge aus Bosnien genutzt und stand danach mehrere Jahre leer. Der Verfall des Hauses mit einer einzigartigen Vergangenheit konnte aufgehalten werden, und so steht ihm eine neue Zukunft als Heimstatt von Künstlerateliers und Büros bevor. Von Zeit zu Zeit veranstalten Mitarbeiter der benachbarten Gedenkstätte Hohenschönhausen dorthin Führungen und berichten, was sich hier in den vergangenen hundert Jahren ereignet hat. In der Ständigen Ausstellung über die Geschichte des früheren Untersuchungsgefängnis des MfS kann man einiges auch über die Heike-Villa sowie über den Umgang des sowjetischen Geheimdienst mit ihren Gefangenen sowie über die Art und Weise erfahren, wie die Stasi versuchte, diese mit einem ausgeklügelten Verfahren von "Zuckerbrot bis Peitsche" zu Geständnissen zu bewegen und die Namen von "Komplicen" preiszugeben.

Zweierlei Maß

Wo es der Stasi und der DDR-Justiz in den Kram passte, zogen sie ihre schützende Hand von NS-belasteten Personen ab und ließ sie die volle Härte des Gesetzes spüren. Ein Beispiel für späte Bestrafung nach einem spektakulären Schauprozess ist der ehemalige KZ-Arzt und SS-Hauptsturmführer Horst Fischer. Der stellvertretende Lagerarzt von Auschwitz konnte lange unbehelligt erst in Golzow bei Brandenburg an der Havel und später in Spreenhagen bei Fürstenwalde praktizieren und wurde wegen seiner Kontakte in den Westen von der Stasi beobachtet. Erst dadurch konnte er als NS-Verbrecher entlarvt werden. Am 25. März 1966 wurde er vom Obersten Gerichtshof der DDR wegen massiver "Verbrechen gegen die Menschlichkeit", tausendfach begangen an der Rampe von Auschwitz-Birkenau, zum Tod verurteilt. Ihm wurde vorgeworfen, über 70.000 Frauen, Männer, Kinder, Greise für die Gaskammern "selektiert" zu haben. Fischer gestand alles, er erklärte, gesehen zu haben, "dass die Leichen übereinander getürmt lagen, die Füße lagen jeweils an der Außenseite und die Köpfe in der Mitte des Raumes. Man hörte zu Anfang einzelne Schreie und dann später ein einziges, tiefes röchelndes Atmen." Nahezu zeitgleich mit den Frankfurter Auschwitz-Prozessen veranstaltet und bis ins Einzelne mit der Staatssicherheit abgeklärt, sollte das Verfahren gegen Fischer den Beweis erbringen, dass die DDR Nazi- und Kriegsverbrecher konsequent verfolgt und verurteilt und daher das "bessere Deutschland" repräsentiert. Nach der Ablehnung des Gnadengesuches durch den Staatsratsvorsitzenden Walter Ulbricht wurde Fischer am 8. Juli 1966 mit der "Fallschwertmaschine" in der Zentralen Hinrichtungsstätte der DDR in der Justizvollzugsanstalt Leipzig hingerichtet.

Zweierlei Maß wurde bei hohen Funktionären angelegt, etwa bei Kurt Blecha, einem ehemaligen Mitglied der NSDAP, der es zum langjährigen Leiter des Presseamtes beim Vorsitzenden des Ministerrates der DDR brachte. Nur intern wurden die Gründe bekannt, warum der DDR-Verteidigungsminister Willi Stoph von diesem Posten entbunden werden musste. Er hatte noch als Wehrmachtssoldat in seiner Regimentszeitung geschrieben, sein größtes Erlebnis sei gewesen, an einer Parade zu "Führers Geburtstag" teilgenommen zu haben. Die Westpresse machte diesen Fauxpas publik, und so war der damalige Partei- und Staatschef Walter Ulbricht zum Handeln genötigt. Stoph wurde Ministerpräsident und war zwischenzeitlich auch Vorsitzender des Staatsrats der DDR. Einem Skandal, einer Degradierung oder auch einem Gerichtsverfahren kam das SED-Politbüromitglied Erich Apel durch Selbstmord zuvor. Er war in Peenemünde führend am Bau von Hitlers "Vergeltungswaffen" V 1 und V 2 beteiligt und fungierte außerdem als einer der Leiter des KZ Dora bei Nordhausen, in dem unzählige Häftlinge unter schrecklichen Bedingungen ums Leben kam. Während Wernher von Braun beim Raketen- und Weltraumprogramm der USA Karriere machte, tat der in Richtung Sozialismus und Kommunismus "gewendete" Ingenieur und Raketenspezialist Apel das gleiche in der Sowjetunion. Kurz vor Unterzeichnung eines die DDR diskriminierenden Wirtschaftsabkommens mit der Sowjetunion für die Zeit bis 1970 nahm sich Apel am 3. Dezember 1965 durch einen Kopfschuss aus seiner Pistole im Berliner Haus der Ministerien das Leben. Die Parteiführung tat alles, um die wahren Beweggründe für den Suizid des Leiters der Staatlichen Plankommission zu verschleiern und sprach von Kurzschlussreaktion infolge nervlicher Überlastung. Beim Staatsakt sagte Ministerpräsident Willi Stoph: "Lieber Erich! In dieser Stunde des Abschieds danken wir dir noch einmal für alles, was du für unsere gute sozialistische Sache getan hast."

20. Dezember 2017

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