Zwischen Parteilichkeit und Pflicht zur Wahrheit
DDR-Historiker hatten es als Arbeiter an der ideologischen Front nicht leicht



Außer Frage stand in der DDR das ehrende Gedenken an den Bauernkrieg von 1525 und die Visionen des "frühbürgerlichen" Revolutionärs Thomas Müntzer. Sein Denkmal steht im Harzstädtchen Stolberg, wo der Geistliche 1489 geboren wurde.



Bei Friedrich dem Großen mussten marxistische Ideologen und Historiker manche Verrenkungen anstellen, um ihn im Sinne der SED in die deutsche Geschichte einordnen zu können. Die Heimkehr des Reiterdenkmals von 1851 auf die Straße Unter den Linden leitete eine Art Preußenrenaissance ein und war unter orthodoxen Genossen umstritten.



Antifaschismus war Grundprinzip im Arbeiter-und-Bauern-Staat, doch hielt es seine Machthaber nicht davon ab, Gegner und solche, die dafür gehalten wurden, rücksichtslos zu verfolgen und auch die innerparteiliche Opposition auszuschalten.



In den Thälmannfilmen der Defa von 1954 und 1955 agiert der Vorsitzende der Kommunistischen Partei Deutschland, dargestellt von Günther Simon, als mutiger und unbeugsamer "Sohn und Führer seiner Klasse", so die Titel der Monumentalstreifen. Selbst die Nazischergen können Ernst Thälmann nicht beugen, aus Angst vor ihnen haben sie ihn 1944 im KZ Buchenwald ermordet.



Die Enthüllung des Berliner Thälmann-Denkmals an der Greifswalder Straße wurde 1986 zum Anlass genommen, das Volk der DDR auf die Politik der SED einzuschwören und ihm neue Wettbewerbsverpflichtungen aufzunötigen.



In der Geschichtspropaganda der DDR nahm die deutsche Arbeiterbewegung den ersten Platz ein. Das Relief am Berliner Marstall ist den Helden der Novemberevolution von 1918 und ihrem bald darauf ermordeten Anführer Karl Liebknecht gewidmet.



Das Lenindenkmal auf dem damaligen Leninplatz, dem heutigen Platz der Vereinten Nationen, wurde in den frühen 1990-er Jahren abgebaut und vergraben. Den kolossalen Kopf kann man mit weiteren ehemals unter freiem Himmel stehenden Denkmälern in der Spandauer Zitadelle betrachten kann.(Fotos/Repros: Caspar)

Preußen - das war in der DDR ein heikles Thema, durchsetzt mit Vorurteilen und Tabus in der Propaganda und im Schulunterricht, wo lange das Bild der landgierigen Monarchen, bluttriefenden Generale, dummen Korporale und von stockschwingenden Krautjunkern gepflegt wurde, die ihre Bauern knechten. Nach der Entmachtung des sächsischen Preußenhassers Walter Ulbricht im Jahr 1971 vollzog sein Nachfolger Erich Honecker eine vorsichtige Neuorientierung. Jetzt war es möglich, Geschichtsliteratur und Filme jenseits der üblichen Schwarz-Weiß-Malerei zu produzieren und sogar gekrönten Häuptern eine Art menschliches Gesicht zu verleihen. Anfang der 1980-er Jahre wurde auf Weisung von Erich Honecker das Reiterdenkmal Friedrichs II., des Großen, aus dem unfreiwilligen Exil in einer entlegenen Ecke des Park von Sanssouci auf die Straße Unter den Linden zurück geholt und aufgestellt. Die Aufstellung des 1851 enthüllten Friedrich-Denkmals Unter den Linden in Berlin löste eine ideologische Debatte in der DDR über die Rolle dieses Königs und allgemein der Hohenzollern in der deutschen Geschichte aus. Polnische Genossen fanden die Rehabilitierung des ihnen wegen der Polnischen Teilungen besonders verhassten königlichen Landräubers nicht gut, protestierten aber ohne Erfolg. Als 1986 der 200. Geburtstag des Monarchen in beiden deutschen Staaten begangen wurde, gab es im Potsdamer Neuen Palais eine große Ausstellung mit Exponaten aus Westberlin, zwei Jahre später hat man auf ähnliche Weise den 300. Todestag des Großen Kurfürsten Friedrich Wilhelm von Brandenburg gewürdigt und sich jedesmal um ein differenziertes Urteil über diese beiden Vertreter der Familie Hohenzollern bemüht.

Angetreten war die KPD und - ab 1946 - SED mit der Verteufelung des preußischen Militarismus und deutschen Imperialismus in Bausch und Bogen. Die Auflösung des Staates Preußen 1947 durch die alliierten Siegermächte war damit begründet worden, dass er "seit jeher" Träger des Militarismus und der Reaktion gewesen sei. Alles Böse der Welt wurde von der Linken, allen voran den Kommunisten, fortan Königen und Kaisern, Feldmarschällen, Schlotbaronen und Junkern in die Schuhe geschoben. Dabei wirkten Traditionen der Arbeiterbewegung fort, die in königlicher und kaiserlicher Zeit arg unter staatlicher Repression und Ausgrenzung zu leiden hatte und die Monarchie und ihre Stützen als Feind Nummer 1 betrachtete.

Schwarzer Adler und Hakenkreuz

In dieser Sichtweise führte gedanklich eine gerade Linie vom schwarzen Preußenadler zum Hakenkreuz. Das war nicht aus der Luft gegriffen, sahen sich Hitler und seine Anhänger selber als Testamentsvollstrecker Friedrichs des Großen und Bismarcks an. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde durch Bilderstürmerei und Propaganda versucht, die Erinnerung an Preußen zu tilgen. Prominente Opfer dieser geistigen und materiellen Flurbereinigung waren die Schlösser in Berlin und Potsdam sowie zahllose Herrenhäuser und bedeutende Kirchen wie die Garnisonkirche in Potsdam, wo am 18. März 1933, wenige Wochen nach Errichtung der NS-Diktatur, über den Gräbern Friedrich Wilhelms I. und Friedrichs II. vom Reichspräsidenten Hindenburg und dem neuen Reichskanzler Hitler der Schulterschluss von "Altem Geist und neuer Kraft" beschworen worden war.

Marksteine auf dem Weg zu einer differenzierter Preußen-Rezeption waren die Biographien Friedrichs II. von Ingrid Mittenzwei im Jahr 1979 und die erwähnten Ausstellungen im Neuen Palais. Aufmerksam wurde registriert, dass diese Ausstellungen auch mit Leihgaben aus dem Westen bestückt waren. Diese Aktivitäten gingen einher mit Mühen um das architektonische Erbe in Übereinstimmung auch mit Tendenzen in der Bundesrepublik Deutschland, wo man die Linie des Abreißens und modernistischen Erneuerns langsam verließ und zum flächendeckenden Denkmalschutz überging. Während allerdings hochkarätige Bauwerke die Semperoper in Dresden sowie Schinkels Schauspielhaus, die Nikolaikirche und das Ephraimpalais in Berlin aufgebaut wurden, weil mit ihnen allerhand Staat gemacht werden konnte, ließ die SED Altsstadtviertel verfallen oder abreißen, um mit den auf der grünen Wiese errichteten Plattenbauten zu prunken. Auch das gehört zum zwiespältigen Verhältnis der früheren Machthaber in der DDR zur deutschen Geschichte und speziell zu Preußen.

DDR-Historiker nahmen Abschied von überholten, noch aus der deutschen Arbeiterbewegung übernommenen Ansichten über die Rolle Preußens in der deutschen Geschichte und zeigten, dass die einseitige "parteiliche" Geschichtsschreibung, wie sie noch in der Ulbrichtzeit bis 1971 gang und gäbe war, in die ideologische Sackgasse führt. Jetzt bekamen, von der SED-Führung und ihren ideologischen Multiplikatoren gefördert, so genannte preußische Tugenden wie Pünktlichkeit, Fleiß, Ordnung und Sauberkeit sowie Vaterlandsliebe neues Gewicht. Diese Orientierung kam nicht von ungefähr, weil sich die DDR wirtschaftlich und politisch im Niedergang befand und alles getan werden musste, ihren Bewohnern neue Sichtweisen und Ziele zu vermitteln.

Sachsens Glanz und Preußens Gloria

Das geschah auch im DDR-Fernsehen etwa mit dem aufwändig gestalteten und 21 Millionen Mark teueren Historienfilm "Sachsens Glanz und Preußens Gloria" über die Zeit Augusts des Starken sowie dreier Preußenkönige zwischen 1697 und 1763. Die Serie wurde in einer Zeit gedreht, als die Semperoper in Dresden, das Schauspielhaus und die beiden Kirchen am Berliner Gendarmenmarkt, die Berliner Nikolaikirche und das Ephraimpalais sowie weitere Bau- und Kunstdenkmäler in der Hauptstadt und draußen im Land "aus Ruinen" auferstehen durften. Alle diese von "ganz oben" geförderten Maßnahmen sollten so etwas wie DDR-Nationalbewusstsein erzeugen und die Rolle des zweiten deutschen Staates als Kulturnation und Gegenpart zur verhassten Bundesrepublik der Imperialisten und Kriegstreiber betonen und sein Ansehen in der Welt heben.

Zahlreiche Jubiläen waren Bestandteil der Traditionspflege in der Ulbricht- und der Honeckerzeit - der Bauernkrieg von 1525, die Luther- und Reformationsjubiläen von 1967 und 1983, das Karl-Marx-Jahr von 1983, die Siebenhundertjahrfeier Berlins 1987, die Feierlichkeiten anlässlich von "runden" Jahrestagen der Revolution von 1848/49, der russischen Oktoberevolution 1917, der Gründung der Kommunistischen Partei Deutschlands 1918 und zu anderen Anlässen. Sie waren nicht nur Thema von Tagungen, Ausstellungen und Publikationen sondern wurden auch, wo sich das anbot, zum Gegenstand von Wettbewerbsverpflichtungen, die immer mit der Floskel "Zu Ehren des…." begannen.

Das Gedenken an Martin Luther und der Thesenanschlag von 1517 wurde in der DDR von staatlicher Seite benutzt, um die von dem Theologen initiierte Erneuerungsbewegung innerhalb der Kirche auf seinen Beitrag zur frühbürgerlichen Revolution von 1525 seine Leistungen für die Bibelübersetzung und die Ausbildung der deutschen Sprache zu reduzieren. Da die Feierlichkeiten in die Zeit fielen, als in der DDR der 50. Jahrestag der Oktoberevolution von 1917 begangen wurde und sich die DDR-Führung mit dem großartig inszenierten Gedenken dem "großen Bruder" Sowjetunion empfahl, standen die Reformationsfeierlichkeiten unter hohem Konkurrenz- und Zeitdruck.

Selbstverständlich mussten "parteiliche" Historiker die ideologischen Kapriolen mitmachen. Viele, nicht alle Geschichtsforscher ganz der Partei verpflichtet. Sie schrieben heute das und morgen das, lobten einmal Stalin als nach Marx, Engels und Lenin größten Denker aller Zeiten und behaupteten mit dem SED-Chef Walter Ulbricht, der Diktator sei überhaupt kein Klassiker, nachdem 1956 seine Verbrechen von Nikita Chruschtschow in vorsichtiger Weise angesprochen worden waren. Nach der Verdammung von Stalin füllte in der DDR der von einer Historikerkommission unter Ulbrichts Leitung verfasste "Grundriss der Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung" die ideologische Lücke aus. Jetzt wurden deren große Führer August Bebel, Rosa Luxemburg, Karl Liebknecht und Ernst Thälmann als Kämpfer für Fortschritt, Sozialismus und Kommunismus der Jugend als Vorbilder und zur Nacheiferung ans Herz gelegt. Vor allem der 1944 von den Nazis im KZ Buchenwald ermordete Vorsitzende der Kommunistischen Partei Deutschlands, Ernst Thälmann, hatte des der SED-Führung angetan. Die in der Art sowjetischer Monumentalschinken gedrehten DEFA-Filme "Ernst Thälmann - Sohn seiner Klasse" sowie "Ernst Thälmann - Führer seiner Klasse" in der Regie von Kurt Maetzig waren für Schüler, Studenten und Angehörige der bewaffneten Organe Pflichtprogramm. "Klassenmäßig" in der Art von Parteitagsreden und Plakatparolen formulierte Dialoge ließen die von den DDR-Medien hochgelobten Farbfilme zu einer schwer verdaulichen Kost werden.

Uns allen zum Nutzen, Walter Ulbricht zu Ehren

In Büchern, Massenmedien und im Film kamen sie als unbestechliche, ganz auf ihrem großen Ziel der Befreiung der Menschheit von Ausbeutung und Unterdrückung orientierte Übermenschen daher. Alles, was nicht in dieses Idealbild passte, wurde ausgeblendet. Nach sowjetischer Manier haben Parteiideologen und Schreiber ihre Publikationen so hingebogen, dass sie den Vorgaben des Zentralkomitees entsprachen. Zu Unpersonen gemachten, in Partei- und Gerichtsverfahren verwickelten Politikern wurden Namen und Gesicht verweigert, sie kamen in den Medien nicht mehr vor. Über allem strahlte der Name des Übervaters Walter Ulbricht, und so jubelte das Organ des ZK der SED "Der Neue Weg" im Sommer 1963 anlässlich des 70. Geburtstag des Sachsen mit der Fistelstimme "Uns allen zum Nutzen, Walter Ulbricht zu Ehren, am 30. Juni planschuldenfrei". Zehn Jahre zuvor war gerade der Arbeiteraufstand vom 17. Juni 1953 blutig niedergeschlagen gewesen, und der in voraus eilendem Gehorsam gedrehter Defa-Film "Ulbricht beim Wiederaufbau" blieb im Archiv. Ebenso hat man es unterlassen, Straßen, Stadien und Betriebe nach Ulbricht zu benennen. "Aus grundsätzlichen Erwägungen heraus soll keinerlei Namensverleihungen von lebenden Persönlichkeiten erfolgen", wurde Antragstellern vom ZK der SED bedeutet.

Bei der Weihe des eingangs erwähnten königlichen Reiterdenkmals Unter den Linden 1851 waren die traumatischen Ereignisse der Revolution von 1848/49 bei den Berlinern noch lebhaft in Erinnerung. Über Friedrich Wilhelm IV., der wegen seiner Unerbittlichkeit während der Revolution in demokratisch gesonnenen Kreisen verhasst war, machte ein Vierzeiler die Runde. Er suggerierte, dass beim Alten Fritzen alles besser war als jetzt. "Alter Fritz, steig du hernieder, / und regier die Preußen wieder. / Lass in diesen schlechten Zeiten / Friedrich Wilhelm weiter reiten". Der Reim wurde in DDR-Zeiten auf Staats- und Parteichef Erich Honecker umgemünzt. Genutzt hat der Wunsch in beiden Fällen nicht. Die Monarchie wurde erst 1918 abgeschafft, und das SED-Regime fiel 1989 aus anderen Gründen in sich zusammen.

7. September 2017

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