"Liebesgrüße aus Auschwitz"
Eichmanns Vernichtungskrieg gegen Juden hat Ankläger und Verteidiger beim Prozess 1960 in Jerusalem aus der Fassung gebracht



"Ich bin das Opfer eines Fehlschlusses. Meine Schuld war mein Gehorsam" schrieb der fanatische Antisemit und manische Schreibtischtäter Adolf Eichmann, seine Hinrichtung am 1. Juni 1962 vor Augen, an seine Frau. Dass er in einem dunklen Anzug vor Gericht erscheint, war ihm wichtiger als die furchtbaren Beweise seiner Gräueltaten.





Adolf Eichmann zwang ungarische Juden, ihren Angehörigen in der Heimat das Vernichtungslager Auschwitz als schönen Ort namens Waldsee zu schildern, in dem es sich gut leben lässt.



An die Opfer der Gräuel und Morde in den deutschen Konzentrations- und Vernichtungslagern erinnert diese Skulptur von Fritz Cremer im Deutschen Historischen Museum Unter den Linden in Berlin. Der stürzende Mann mit hocherhobenen Fäusten gehört zu einer bronzenen Figurengruppe, die 1958 unterhalb des Glockenturms in der Gedenkstätte Buchenwald zu Ehren der Opfer des nationalsozialistischen Terrorregimes aufgestellt wurde. (Foto/Repros: Caspar)

Gegen Ende des Krieges sagte Adolf Eichmann, der Spediteur und Organisator des Holocausts, er wisse, dass der Krieg ist verloren, aber er werde "seinen Krieg" gegen die Juden doch noch gewinnen. Dann fuhr er nach Auschwitz, um die Tötung der hierher verschleppten Juden hinaufzusetzen - von 10.000 auf 12.000 pro Tag. Vom März bis Ende 1944 als Führer eines Sonderkommandos in Budapest zur Deportation von 440 000 ungarischen Juden tätig, sagte er einmal, er werde lachend in sein Grab springen, in dem Bewusstsein, insgesamt fünf bis sechs Millionen Juden getötet zu haben. Vor dem Gericht in Jerusalem aber gab er 1961 sich als verfolgte Unschuld, als kleines Licht und Befehlsempfänger aus, über den viel mächtigere Leute bestimmt haben. Als Eichmann den Richtern erklärte, der Holocaust sei eines der schwersten Vergehen der Geschichte gewesen, war das nach Meinung von Gabriel Bach, des stellvertretenden Anklägers im Eichmann-Prozess, nur ein Lippenbekenntnis, um sein Leben zu retten. Alles Leugnen und Beschönigen half nichts Eichmann wurde zum Tod verurteilt und am 1. Juni 1962 in einem Gefängnis bei Tel Aviv durch den Strang hingerichtet.

Erdrückende Beweise frech geleugnet

Dem Gericht lagen erdrückende Beweise vor, so die Bekenntnisse, die Eichmann im seinem argentinischen Exil 1957 gegenüber dem ehemaligen deutsch-holländischen Kriegsberichterstatter Willem Sassen ablegte. Der frühere SS-Untersturmführer nahm Eichmanns Lebensgeschichte auf Tonband auf, um sie eines Tages zu veröffentlichen. Mit Eichmann als Kronzeugen wollte er die Zahlen über den Mord an den europäischen Juden herunterrechnen. Sein aus Deutschland geflüchteter Gesprächspartner, der sich in Argentinien Ricardo Klement nannte, ergriff die Gelegenheit, sich als pflichtbewusster, seinem Führer treu ergebener und "idealistischer Nationalsozialist" zu präsentieren. Die nach und nach abgetippten Seiten waren mit handschriftlichen Verbesserungen von Eichmann versehen. Doch da dem Gericht nur die Abschrift zur Verfügung stand und nicht das gesprochene Wort, wurde das Dokument als Beweismittel nicht zugelassen. Außerdem behauptete Eichmann, uneinsichtig und frech wie er war, niemals so gesprochen zu haben. "Mich reut gar nichts. Ich krieche in keinster Weise zu Kreuze. […] Ich muss Ihnen ganz ehrlich sagen, hätten wir von den 10,3 Millionen Juden, die Korherr, wie wir jetzt wissen, ausgewiesen hat, 10,3 Millionen Juden getötet, dann wäre ich befriedigt und würde sagen, gut, wir haben einen Feind vernichtet. […] Ich war unzulänglicher Geist und wurde an eine Stelle gesetzt, wo ich in Wahrheit mehr hätte machen können und mehr hätte machen müssen", sagte Eichmann zu Sassen.

Das von Eichmann verfasste Protokoll der Wannseekonferenz vom 20. Februar 1942 hatte als Ziel elf Millionen Juden als Opfer der "Endlösung" genannt. Sassen fragte, ob es ihm, Eichmann, doch manchmal leid tut, was er getan hat. Worauf der über die so genannte Rattenlinie aus Deutschland geflohene ehemalige SS-Obersturmbannführer antwortete, nur eines tue ihm leid, dass er nicht hart genug war und nicht noch mehr Juden getötet wurden. Als Beweis für die Kaltschnäuzigkeit des Angeklagten führt Gabriel Bach an, er habe einen 45-minütigen Dokumentarfilm über die Todeslager zusammengestellt und ihn der Fairness halber dem Angeklagten gezeigt, bevor ihn das Gericht zu sehen bekam. "Ich kannte den Film schon, also habe ich Eichmann angesehen, weil ich wissen wollte, wie er reagiert, wenn er diese grausigen Sachen sieht. Er verhielt sich stoisch, reagierte gar nicht. Plötzlich aber war er ganz aufgeregt und sprach mit seinem Wächter. Später habe ich den Wächter gefragt, wieso. Eichmann protestierte dagegen, dass er einen grauen Anzug tragen musste, obwohl ihm versprochen worden war, immer seinen dunkelblauen Anzug tragen zu dürfen, wenn er in den Gerichtssaal kommt. Das beschäftigte ihn mehr als die Bilder, die man ihm zeigte."

Erst Kinder töten, dann die Erwachsenen

Bach berichtet von einem Zeugen, der als Kind schon in der Gaskammer stand. Die Tür war verschlossen, die Kinder sangen, und als es dunkel blieb, weinten sie und schrien. Doch dann öffnete sich die Tür, denn es war gerade ein Transport mit Kartoffelsäcken angekommen, und es gab nicht genug SS-Leute, sie zu entladen. Deshalb befahl der Kommandant, ein paar Kinder beim Ausladen einzusetzen, bevor man sie vergast. So wurden 20 Kinder herausgeholt, die übrigen starben im Gas. Nachdem die anderen Kinder ihre Arbeit verrichtet hatten, wurden auch sie ermordet. Der Zeuge wurde von der SS beschuldigt, er hätte einen der Lastwagen beschädigt, weshalb er ausgepeitscht und anschließend vergast werden sollte. "Der SS-Mann, der ihn auspeitschen sollte, hatte aber eine Zuneigung zu ihm und behielt ihn bei sich, als Schuhputzer und Diener. So blieb er am Leben." Bach zufolge gab es im Vernichtungslager ein Tor gegeben, durch das die Kinder gehen mussten. Wer nicht groß genug war, wurde gleich ermordet. Der Zeuge war sehr klein, also tat sein großer Bruder Steine in die Schuhe, damit er größer wirkt. "Das sah ein SS-Mann sah das, der Bruder wurde vergast, der Kleine überlebte. Als der Zeuge mit seiner Aussage fertig war, baten die Richter um eine Pause. Ich ging in mein Büro. Der junge Verteidiger von Eichmann kam herein und brach in einen hysterischen Weinkrampf aus."

In der Autobiografie des ehemaligen Kommandanten von Auschwitz, Rudolf Höß, gibt es eine Passage darüber, wie die SS täglich tausend Kinder in die Gaskammern stieß. Höß schildert darin, wie ihm dabei manchmal die Knie zitterten, auch oder erst recht dann, wenn einzelne Kinder auf Knien vor ihm lagen und um Gnade bettelten. Eichmann habe aber zu Höß gesagt, man müsse die Kinder zuerst töten, weil sie "Keimzelle für die Wiedererrichtung der Rasse" seien. Es sei unlogisch, die älteren Juden umzubringen, aber nicht die jüdischen Kinder. Würden sie überleben, wachse eine Generation von "Rächern" heran. Eichmann befand sich mit seinem Todesurteil in "bester" Gesellschaft, denn auch sein oberster Chef, Reichsführer SS Heinrich Himmler, und die Naziführung vertraten diesen Grundsatz ebenfalls und setzten ihn unbarmherzig durch. In dem Interview mit Willem Sassen nannte sich Eichmann einen vorsichtigen Bürokraten, zu dem sich "fanatischer Kämpfer für die Freiheit meines Blutes, dem ich anstamme" gesellte.

Gabriel Bach zufolge war Eichmann davon besessen, alle Juden zu vernichten. Er habe auf niemanden und nichts Rücksicht genommen. Als ihn Wehrmachtskommandanten im besetzten Paris baten, die Deportation eines jüdischen Radar-Professors zu stoppen, um diesen über "kriegswichtiges Wissen" auszufragen, lehnte Eichmann aus prinzipiellen Gründen ab. Würde er Ausnahmen machen, sei das demoralisierend für seine eigenen Leute. Kurz vor Kriegsende habe es Pläne geben, berichtet Bach weiter, alle in der Wehrmacht kämpfenden "Vierteljuden" in die KZ zu deportieren. Falls dies nicht möglich sei, sollten sie wenigstens kastriert werden. Wilhelm Keitel, der Chef des Oberkommandos der Wehrmacht, sprach sich dagegen aus, weil das Kampfmoral der Soldaten schwächen würde. Eichmann blieb bei seiner Forderung, die dann aber nicht mehr umgesetzt werden konnte.

Schöner Ort auf dem Lande namens Waldsee

Wie perfide Adolf Eichmann vorging, um seine Ziele zu erreichen, schilderte Gabriel Bach in dem aktuell bei ZDF History gezeigten Film "Die zweite Schuld". In ihm geht es um die Art und Weise, wie in der Bundesrepublik Deutschland Naziverbrecher erst gar nicht angeklagt beziehungsweise nach kurzer Haft wieder freigelassen wurden. Der Film berichtet, wie erst viele Jahre nach dem Ende der NS-Herrschaft die ersten Gerichtsverfahren eröffnet und welch milde Urteile über die sich auf Gedächtnisschwächen und Befehlsnotstand herausredenden Täter gesprochen wurden. In dem Film schildert Bach, dass Eichmann in Auschwitz die aus Ungarn deportierten Juden gezwungen hat, an ihre Familien und Freunde Postkarten zu schreiben, denen zufolge sie, die Gefangenen, an einem schönen Ort auf dem Lande namens Waldsee leben, nur wenig arbeiten müssen und schöne Aufflüge unternehmen. Die "Liebesgrüße" aus Auschwitz enthielten auch den Hinweis, es gebe in den Häusern nur noch wenige freie Zimmer, weshalb man schnell kommen möge, um noch welche zu ergattern. Außerdem sollten die Empfänger der Postkarten gute Schuhe mitbringen.

Alles Lüge und Betrug, denn nichts von dem, was Eichmann seinen Opfern diktierte, stimmte. Die Wehrmacht brauchte die Schuhe selber. Dass Häftlinge an ihre Angehörigen in der Heimat beruhigende Briefe und Postkarten schreiben mussten, gehörte zum System. Eine von Rudi Löwenstein geschriebene Postkarte aus Auschwitz-Birkennau vom 8. September 1943 an seine Eltern lautete so: "Bin einem neuen Arbeitseinsatz eingereiht und sende dir sowie dem lieben Vater die herzlichsten Grüße." Die Eltern erhielten ein paar Monate später die Nachricht, ihr Sohn sei an einer Herzschwäche verstorben. Datum und Todesursache waren wie bei unzähligen ähnlichen Mitteilungen gefälscht.

26. Oktober 2017

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